LG Magdeburg

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Zitieren als:
LG Magdeburg, Beschluss vom 25.09.2020 - 10 T 64/20 - asyl.net: M28914
https://www.asyl.net/rsdb/M28914
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit der Haft bei Ausbleiben der Anhörung in Anwesenheit anwaltlicher Vertretung:

1. Erfährt das Haftgericht, dass eine von der Abschiebungshaft betroffene Person eine anwaltliche Vertretung hat, so muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann.

2. Ist es der anwaltlichen Vertretung nicht möglich, sofort zum Anhörungstermin zu kommen, so ist ein neuer Termin zu bestimmen und über die Anordnung der Haft nur vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG zu entscheiden.

3. Es ist unerheblich, ob ein* bestellte*r Verfahrenspfleger*in beim Anhörungstermin anwesend war, da der anwaltlichen Vertretung Vorrang zukommt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Haftantrag, Anhörung, Verfahrenspfleger, Rechtsanwalt, Hauptsacheentscheidung, Abschiebungshaft, faires Verfahren, Anhörungstermin, Prozessbevollmächtigte,
Normen: FamFG § 419 Abs. 2, FamFG § 62 Abs. 1, FamFG § 427,
Auszüge:

[...]

Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuziehen; erfährt der Haftrichter während des Anhörungstermins, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss er dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann (BGH, Beschluss vom 25.10.2018 - V ZB 69/18 -, Rn. 4 f., zitiert nach juris). Der Bundesgerichtshof hat in dem zitierten Beschluss bereits die bloße Kenntnis des Gerichts von einem Anruf des Betroffenen bei einem Rechtsanwalt ausreichen lassen, um dem Gericht die Pflicht aufzuerlegen, dafür Sorge zu tragen, dass der Rechtsanwalt von dem Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann. Auch in dem hier zu entscheidenden Fall war dem Gericht durch die Berufung auf einen Rechtsanwalt bei der Erörterung der Personalien bekannt, dass der Beschwerdeführer einen Rechtsanwalt hinzuziehen wollte. Der Hinweis, dass alles andere nur über den Rechtsanwalt erklärt werde, zeigte auf, dass der Beschwerdeführer nur im Beisein eines Rechtsanwalts von seinem Anhörungsrecht Gebrauch machen wollte. Das Gericht hätte deshalb dem Beschwerdeführer Gelegenheit geben müssen, diesen Rechtsanwalt oder einen anderen zu verständigen, und dem Rechtsanwalt die Teilnahme am Termin ermöglichen müssen.

Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer seinen Rechtsanwalt im Rahmen der Erörterung der persönlichen Verhältnisse erwähnt hat. Mit dem Hinweis, dass "alles andere" nur über seinen Anwalt erfolgt, hat der Beschwerdeführer deutlich gemacht, dass jede weitere Erörterung, auch in der Sache selbst, nur unter Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes geschehen solle. Dementsprechend hat sich der Beschwerdeführer auch nicht zur Sache geäußert.

Eine Benachrichtigung konnte auch nicht vor dem Hintergrund unterbleiben, dass es unwahrscheinlich war, dass ein Rechtsanwalt sofort zu dem Anhörungstermin kommen werde. Denn wenn dessen Teilnahme an dem Anhörungstermin nicht möglich gewesen wäre, hätte ein neuer Termin bestimmt werden müssen und über die Anordnung der Haft nur vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG entschieden werden müssen (BGH, a.a.O.). Im konkreten Fall war eine solche Verschiebung ohne weiteren Beschluss möglich, da eine einstweilige Anordnung bereits im Hinblick darauf, dass es sich um eine geplante Festnahme handelte, am 28.01.2020 mit Frist bis zum 27.02.2020 getroffen worden war.

Dass dem Beschwerdeführer ein Verfahrenspfleger bestellt war, der im Termin auch anwesend war, ändert an dieser Verpflichtung nichts. Aus der Vorschrift des § 419 Abs. 2 FamFG, wonach die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterbleiben oder aufgehoben werden soll, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt vertreten werden, folgt, dass der Vertretung durch einen Rechtsanwalt Vorrang zukommt. Erklärt der Betroffene, dass er einen Rechtsanwalt beauftragt hat oder beauftragen möchte, so wird der Grundsatz des fairen Verfahrens auch dann verletzt, wenn ein Verfahrenspfleger bestellt ist. [...]