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VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 14.08.2020 - 11 A 198/19 (Asylmagazin 10-11/2020, S. 388 f.) - asyl.net: M28800
https://www.asyl.net/rsdb/M28800
Leitsatz:

Keine Ausbildungsduldung bei verspäteter Klärung der Identität:

1. Der Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung ist nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die Identität Betroffener nicht innerhalb der in dieser Vorschrift vorgegebenen Fristen geklärt worden ist. Hierfür ist unerheblich, ob die Identitätsklärung objektiv oder subjektiv unmöglich ist.

2. Erfolgt die Klärung der Identität erst nach dem Ablauf dieser Frist, so besteht weiterhin ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung, wenn Betroffene innerhalb der Frist alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen und die verspätete Identitätsklärung nicht zu vertreten haben.

3. Ist die verspätete Identitätsklärung hingegen durch die Betroffenen zu vertreten, besteht keine Möglichkeit der Erteilung eine Ausbildungsduldung. Die Regelung des § 60c Abs. 7 AufenthG, wonach eine Ausbildungsduldung im Ermessenswege erteilt werden kann, gilt in diesem Fall nicht. Denn sie ist lediglich in Fällen anwendbar, in denen eine Identitätsklärung nicht möglich ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Arbeitserlaubnis, Versagungsgrund, Identitätsklärung, Identitätsfeststellung, Vertretenmüssen,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 60a Abs. 2 Nr. 3a, AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

44 Allerdings steht der Erteilung der Ausbildungsduldung der Versagungsgrund nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 a) AufenthG entgegen.

45 Danach wird die Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn bei einer Einreise in das Bundesgebiet bis zum 31.12.2016 die Identität bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung nicht geklärt ist. Die Frist gilt als gewahrt, wenn der Ausländer innerhalb der Frist alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat und die Identität erst nach dieser Frist geklärt werden kann, ohne dass der Ausländer dies zu vertreten hat.

46 Dieser Versagungsgrund greift immer dann, wenn es an einer objektiven Klärung der Identität fehlt. Dabei ist eine objektive oder subjektive Unmöglichkeit der Klärung und ein Vertretenmüssen der Betroffenen nicht relevant. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, zudem auch aus dem systematischen Zusammenhang mit § 60c Abs. 7 AufenthG, wonach die Erteilung der Ausbildungsduldung nach Ermessen in Betracht kommt, wenn eine Identitätsklärung nicht erfolgt ist (Wittmann/Röder: Aktuelle Rechtsfragen der Ausbildungsduldung gem. § 60 c AufenthG, ZAR 2019, 412, 421; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 02. Juni 2020 – 10 CE 20.931 –, juris, Rn. 14). Die Klärung der Identität setzt die Gewissheit voraus, dass ein Ausländer die Person ist, für die er sich ausgibt (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. März 2012 – OVG 3 B 15.11 –, juris, Rn. 20). Von zentraler Bedeutung ist immer, dass keine Verwechslungsgefahr besteht (Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Oktober 2015, § 5 Rn. 48). Ohne Weiteres geklärt ist die Identität in der Regel bei Vorlage eines anerkannten Passes oder Passersatzes, da diesen Dokumenten nach internationaler Übung eine herausgehobene Identifikationsfunktion beikommen (Samel in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht 13. Auflage 2020, § 5, Rn. 43). Demgegenüber sind Zweifel an der Identität oftmals darin begründet, dass kein gültiger Pass vorgelegt wird oder werden kann. Eine Identitätsfeststellung ist dann indes nicht ausgeschlossen. Insbesondere andere amtliche Dokumente mit biometrischen Merkmalen (z.B. ein Führerschein, ein Dienstausweis oder eine Personenstandsurkunde mit Lichtbild) können zur Identitätsfeststellung geeignet sein, unter besonderen Umständen auch Dokumente ohne biometrische Merkmale (z.B. Geburts- und Heiratsurkunden oder Meldebescheinigungen). Auch eine Bestätigung im Rahmen einer Identifizierungskommission des Herkunftslandes kann unter Umständen in Betracht kommen (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 02. Juni 2020 – 10 CE 20.931 –, juris, Rn. 14). [...]

47 Nach diesen Maßstäben war die Identität der Klägerin zu dem in § 60c Abs. 2 Nr. 3 a) AufenthG genannten Zeitpunkt nicht geklärt. Die Klägerin hatte vor Antragstellung weder einen armenischen Pass noch andere amtliche Dokumente vorgelegt, die zur Gewissheit führten, dass sie die Person ist, für die sie sich ausgibt. Zu diesem Zeitpunkt beruhten die personenbezogenen Daten lediglich auf ihren Angaben im Asylverfahren. [...]

49 Die Klägerin hat die Frist auch nicht nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG dadurch gewahrt, dass sie bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung alle erforderlichen und ihr zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat und die Identität erst danach geklärt werden konnte, ohne dass sie dies zu vertreten hat. Die Klägerin hat nicht dargelegt, was sie daran gehindert hat, bereits vor der Beantragung der Ausbildungsduldung einen Passantrag bei der Armenischen Botschaft zu stellen. [...]

50 2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung ihres Antrags, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Ein Bescheidungsanspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 60c Abs. 7 AufenthG. Danach kann eine Duldung nach Absatz 1 Satz 1 unbeachtlich des Absatzes 2 Nummer 3 erteilt werden, wenn der Ausländer die erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat. Mit dieser Regelung sollte nach der Gesetzesbegründung den Fällen Rechnung getragen werden, in denen die Klärung der Identität nicht herbeigeführt werden konnte, obwohl der Ausländer alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat (BT-Drs. 19/8286, S. 16). Dementsprechend setzt die Vorschrift voraus, dass die Identität gerade nicht abschließend geklärt werden konnte. Für diese Auslegung spricht auch der systematische Zusammenhang mit § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG, der in § 60c Abs. 7 AufenthG auch in der Wendung zum Ausdruck kommt "unbeachtlich des Absatzes 2 Nummer 3" (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09. Juli 2020 – OVG 3 M 129/20 –, juris, Rn. 27, dort jedoch im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe offengelassen). Fälle, in denen die Klärung der Identität nach Ablauf der unter Abs. 2 Nr. 3 genannten Fristen erfolgt ist, fallen hingegen grundsätzlich nicht unter Abs. 7. Da nunmehr die Identität der Klägerin geklärt ist, liegen die Voraussetzungen nicht vor und das Ermessen der Beklagten ist nicht eröffnet. [...]