OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.12.2019 - 19 A 4945/18.A - asyl.net: M28714
https://www.asyl.net/rsdb/M28714
Leitsatz:

Verletzung der Sorgfaltspflicht durch Prozessbevollmächtigen eines Schutzsuchenden:

Reagiert ein Asylsuchender nicht auf die Schreiben seines Prozessbevollmächtigten, so ist dieser im Rahmen seiner anwaltlichen Sorgfaltspflicht dazu verpflichtet, sich über die einmalige Benachrichtigung hinaus zu vergewissern, ob die Schreiben den Asylsuchenden erreicht haben.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwalt, Asylverfahren, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Zustellung, Berufungszulassungsantrag, Sorgfaltspflichten, Fristversäumnis, Antragsfrist,
Normen: VwGO § 60 Abs. 1, VwGO § 173 S. 1, ZPO § 85 Abs. 1, AsylG § 78 Abs. 4 S. 1,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat die Antragsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG versäumt. [...]

Die vom Kläger am 18. Dezember 2018 beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist nach § 60 VwGO kann nicht gewährt werden. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers waren nicht ohne Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO gehindert, die Frist zur Beantragung der Zulassung der Berufung einzuhalten. Ihr Verschulden wird gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Kläger zugerechnet.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsbegehrens macht der Kläger im Kern geltend, dass ihm in seiner Unterkunft weder das anwaltliche Hinweisschreiben zur Ladung zur mündlichen Verhandlung noch das anwaltliche Hinweisschreiben bezogen auf die Zustellung des klageabweisenden Urteils von Seiten der Mitarbeiter des Sozialamts übergeben worden sei. Erst im Rahmen eines Besprechungstermins zwischen ihm und seinem Prozessbevollmächtigten habe sich herausgestellt, dass er die anwaltlichen Schreiben nicht erhalten habe. [...]

Denn es gehört zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts, im Rahmen des ihm Zumutbaren dafür Sorge zu tragen, dass seine Mitteilungen den Mandanten zuverlässig und rechtzeitig erreichen (BVerwG, Urteile vom 23. November 1982 - 9 C 167.82 -, BVerwGE 66, 240, juris, Rn. 8, und vom 24. November 1981 - 9 C 488.81 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 120, juris, Rn. 14).

Gerade mit Rücksicht darauf, dass regelmäßig eine Reaktion des Mandanten auf Benachrichtigungen der hier vorliegenden Art durch seinen Rechtsanwalt zu erwarten ist, und auf die bei Ausländern nicht selten auftretenden Schwierigkeiten bei der Postzustellung darf der Anwalt es nicht bei einem einmaligen Benachrichtigungsversuch bewenden lassen; er ist vielmehr gehalten, bei dem Mandanten gegebenenfalls nochmals und nicht nur mit einfachem Brief Rückfrage zu halten oder sich auf sonstige Weise zu vergewissern, ob dieser eine Verfolgung oder Weiterverfolgung seiner Rechte wünscht (BVerwG, Urteil vom 23. November 1982, a.a.O., Rn. 8; Beschluss vom 19. Oktober 2004 - 5 C 16.04 -, juris, Rn. 3).

Diese Anforderungen übersteigen auch nicht das, was von einem Betroffenen von Verfassungs wegen verlangt werden kann, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen. Im Hinblick auf die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG dürfen die Anforderungen an die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften nicht überspannt werden (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 24. Oktober 2017 - 1 BvR 877/13 -, NVwZ 2018, 579, juris, Rn. 24, und vom 16. Oktober 2007 - 2 BvR 51/05 -, BVerfGK 12, 303, juris, Rn. 10, jeweils m.w.N. aus der st. Rspr. des BVerfG).

Nach den genannten Maßstäben haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers hier ihre anwaltlichen Sorgfaltspflichten verletzt. Sie hätten – abgesehen von den genannten allgemein bestehenden Schwierigkeiten in der Kommunikationsbeziehung zu einem Asylantragsteller – schon nicht davon ausgehen dürfen, dass die ausbleibende Reaktion des Klägers auf das anwaltliche Hinweisschreiben zur Ladung zur mündlichen Verhandlung Rückschlüsse auf dessen Erhalt zulasse. [...]