Bei der Entscheidung über ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach erfolglosem Asylverfahren sind Integrationsleistungen wie Sprachkenntnisse und eine begonnene Ausbildung zu berücksichtigen.
(Leitsätze der Redaktion)
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24 Die Beklagte hat von ihrem durch § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingeräumten Ermessen bei der Bestimmung der Sperrfrist in einer dem Zweck der Regelung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.
25 Das mit der Abschiebung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot soll den Ausländer treffen, weil er Anlass für Vollstreckungsmaßnahmen gegeben hat und die Besorgnis besteht, dass dies bei einem künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet erneut der Fall sein könnte. Insofern soll die Abschiebesperrfrist den abgeschobenen Ausländer zur Beachtung des deutschen Aufenthaltsrechts im Allgemeinen und der Ausreisepflichten im Besonderen anhalten, um erneuten Zwangsvollstreckungsbedarf zu verhindern (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Februar 2018 - OVG 3 B 11.16 - juris Rn. 29 m.w.N.).
26 Von diesem Normzweck ausgehend erfordert die behördliche Ermessensentscheidung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Fall eines abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots eine sachgerechte Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse, den Ausländer eine gewisse Zeit vom Bundesgebiet fernzuhalten, und dem privaten Interesse des Ausländers an einer baldigen Wiedereinreise und einem erneuten Aufenthalt in Deutschland (vgl. VGH München, Beschluss vom 6. April 2017 - 11 ZB 17.30317 - juris Rn. 12).
27 In diese Abwägung sind die persönlichen Belange des Ausländers umfassend einzustellen, soweit sie der zur Entscheidung berufenen Behörde bekannt geworden sind und Einfluss darauf haben können, wie schwer den Ausländer das Einreise- und Aufenthaltsverbot im konkreten Einzelfall trifft. Das gilt im Lichte der Wertentscheidungen aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 GRCh in besonderer Weise für schutzwürdige familiäre Belange (vgl. z.B. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Februar 2018 - OVG 3 B 11.16 - juris Rn. 58; VGH München, Beschluss vom 11. Oktober 2018 - 21 B 18.30691 - juris Rn. 22). Ebenso zu berücksichtigen und bei der Ermessensentscheidung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht von vornherein unbeachtlich sind ferner die zur Identität des Ausländers gehörenden sozialen und wirtschaftlichen Bindungen an das Bundesgebiet. Sie sind in ihrer Gesamtheit dem Begriff des "Privatlebens" im Sinne von Art. 7 GRCh, Art. 8 Abs. 1 EMRK zuzuordnen (vgl. EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99 -, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 <1281>). Je stärker diese Bindungen sind, desto gravierender stellt sich für den Ausländer der Eingriff in sein Recht auf Achtung des Privatlebens dar, der mit seiner durch das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot begründeten Verpflichtung einhergeht, vom Bundesgebiet fernzubleiben. Nichts anderes gilt für das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Ausländers aus Art. 2 Abs. 1 GG, in das mit dem Einreise- und Aufenthaltsverbot ebenfalls eingegriffen wird (vgl. für die Relevanz von Art. 2 Abs. 1 GG im vorliegenden Zusammenhang auch BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 27/16 - juris Rn. 23 <zum Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgrund einer Ausweisung>).
28 In die Ermessensentscheidung grundsätzlich einzubeziehen sind deshalb insbesondere auch Integrationsleistungen des Ausländers, wie z.B. eine im Inland begonnene oder abgeschlossene Ausbildung und - schon im Hinblick darauf notwendigerweise vorhandene - gute Sprachkenntnisse, soweit der Ausländer die Sprachkenntnisse während des Aufenthalts in Deutschland erlangt hat; solchen Integrationsleistungen kommt maßgebliche Bedeutung für die Frage zu, wie stark die Bindungen des Ausländers an das Bundesgebiet sind. [...]