Grundsicherungsausschluss für EU-Staatsangehörige nur bei formeller Feststellung über Nicht-Bestehen des Freizügigkeitsrechts:
"Die Rückausnahme in § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II setzt keine materielle Freizügigkeitsberechtigung bzw. kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU voraus. Vielmehr genügt der gewöhnliche Aufenthalt im Bundesgebiet seit mindestens fünf Jahren. Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer gilt der Aufenthalt eines EU-Ausländers so lange als rechtmäßig, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs. 4 FreizügG/EU bzw. der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs. 7 FreizügG/EU festgestellt und damit nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht begründet hat."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
6 a. Nach der in dem vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung spricht sehr viel dafür, dass der Antragsteller zum Kreis der Leistungsberechtigten des § 7 SGB II gehört. [...]
9-13 Nach summarischer Prüfung dürfte der Antragsteller auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II aus dem Kreis der Leistungsberechtigten ausgeschlossen sein. [...]
14 Gem. 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II gilt § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Gem. § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. [...]
16 [...] Hinsichtlich des Fünf-Jahres-Zeitraums hat sich der Gesetzgeber an dem Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU orientiert. Allerdings setzt die Rückausnahme in § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II anders als § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU keine materielle Freizügigkeitsberechtigung voraus (Becker in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 7 Rdnr. 53; Knickrehm in Kommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl. 2019, § 7 SGB II Rdnr. 9e; Korte/Thie/Schoch in LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 7 Rdnr. 34; Leopold in jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 7 Rdnr. 162). Vielmehr genügt der gewöhnliche Aufenthalt im Bundesgebiet seit mindestens fünf Jahren (Knickrehm in Kommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl. 2019, § 7 SGB II Rdnr. 9e). Dabei ist zu beachten, dass von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs. 5 FreizügG/EU), zu unterscheiden ist. Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs. 4 FreizügG/EU bzw. der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs. 7 FreizügG/EU festgestellt und damit nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht begründet hat (vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 - B 14 AS 35/15 R - juris Rdnr. 25). Von der begünstigenden Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II werden nach der Regelung des 2. Halbsatzes diejenigen Ausländer ausgenommen, bei denen der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU - erfolgreich - festgestellt worden ist (Knickrehm in Kommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl. 2019, § 7 SGB II Rdnr. 9e; Leopold in jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 7 Rdnr. 164). Ausdrücklich geregelt ist in § 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II, dass auf den gewöhnlichen Aufenthalt die Zeit nicht anzurechnen ist, in der Unionsbürger nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU zur Ausreise verpflichtet sind, weil die Ausländerbehörde den Verlust des Freizügigkeitsrechts nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4 oder 6 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt hat.
17 Nach § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II beginnt die Fünf-Jahres-Frist mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Damit reicht der alleinige Aufenthalt zur Erfüllung der Fünfjahresfrist nicht aus, sondern ist verknüpft mit der ordnungsgemäßen Anmeldung (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht <LSG>, Beschluss vom 9. Dezember 2019 - L 6 AS 152/19 B ER - juris Rdnr. 11; LSG Hamburg, Beschluss vom 20. Juni 2019 - L 4 AS 34/19 B ER - juris Rdnr. 5; Knickrehm in Kommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl. 2019, § 7 SGB II Rdnr. 9e; Mushoff in BeckOK-Sozialrecht, Stand 1. März 2020, § 7 Rdnr. 46). [...]