VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 18.11.2019 - 6 K 988/19.TR - asyl.net: M28387
https://www.asyl.net/rsdb/M28387
Leitsatz:

Keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung für international Schutzberechtigte in Bulgarien:

International Schutzberechtigten droht in Bulgarien keine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 4 GR-Charta oder aus Art 3 EMRK. Dies gilt auch für wegen psychischer Erkrankungen besonders schutzbeürftige Personen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Bulgarien, internationaler Schutz in EU-Staat, besonders schutzbedürftig, Existenzgrundlage, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Abschiebungsverbot, psychische Erkrankung,
Normen: EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

2. Zwar ist die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig rechtswidrig, wenn dem Kläger im Falle einer Abschiebung in den Staat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - droht (vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - Rs. C-163/17, Jawo -, juris und Rs. C 297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17, Ibrahim u.a. -, juris Rn. 88 f. m.w.N.; Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 -, juris). Eine solche Rechtsverletzung droht den Klägern im Falle ihrer Rückkehr nach Bulgarien jedoch nicht. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, Bulgarien werde die Kläger weiter - insbesondere nach Syrien - abschieben. [...]

3. Unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnislage liegen nach diesen Vorgaben derzeit solche Schwachstellen in Bezug auf rückkehrende anerkannt Schutzberechtigte weder allgemein noch in Bezug auf die Kläger im Besonderen vor, so dass ihnen bei einer Abschiebung nach Bulgarien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Die im Einzelfall auftretenden Unzulänglichkeiten begründen keine systematischen Schwachstellen, die eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass anerkannt Schutzberechtigten die Befriedigung elementarster Grundbedürfnisse, insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, nicht möglich sein wird. So haben anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien ungehinderten Zugang zum Arbeitsmarkt (a) und zur Sozialhilfe (b). Sie sind nicht daran gehindert, eine Unterkunft zu beziehen, so dass sie nicht von Obdachlosigkeit bedroht sind (c). Zudem steht ihnen der Zugang zu  einer den Anforderungen des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GR-Charta genügenden medizinischen Versorgung offen (d). Im Übrigen hat Bulgarien auch Schritte zur Integration anerkannt Schutzberechtigter unternommen (e).

a) Anerkannt Schutzberechtigte können in Bulgarien grundsätzlich ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften. Sie haben gute Chancen, ihren Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit zu finanzieren. Zwar mag die Arbeitsfähigkeit der Klägerin zu 1) aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt sein (vgl. u. II 2 b). Jedoch sind keine Gründe ersichtlich, welche den Kläger zu 2) und die mittlerweile 16 Jahre alte Klägerin zu 3) hindern könnten, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.

aa) Sie haben nach ihrer Anerkennung automatischen und bedingungslosen Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt (vgl. AIDA, country report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2018, S. 76). Die Arbeitsmarktsituation in Bulgarien stellt sich für Arbeitsuchende generell positiv dar. Die Arbeitslosenquote in der Altersgruppe der 15- bis 74-jährigen lag im Dezember 2018 bei lediglich 5,2 % und damit knapp 1 % unter der Quote von Dezember 2017 und unter der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von 6,6 % in der gesamten Europäischen Union (vgl. EURES, Arbeitsmarktinformationen Bulgarien, Stand: Mai 2019, ec.europa.eu/eures/main.jsp; acro=lmi&lang=de). Offizielle Zahlen, wie viele anerkannt Schutzberechtigte aktuell als Arbeitssuchende bei den Jobcentern der Arbeitsagentur erfasst sind, existieren zwar nicht. Ihre Zahl wird jedoch - auch wegen der geringen Anzahl der in Bulgarien verbleibenden anerkannt Schutzberechtigten - als gering eingeschätzt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Trier, 26. April 2018, milo S. 3).

bb) Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist gerade in den ländlichen Gebieten besonders hoch (Auskunft des Botschaft Sofia an das Auswärtige Amt, 1. März 2018, milo). Unternehmer erkundigen sich immer wieder ausdrücklich und in der jüngsten Vergangenheit auch zunehmend bezüglich der Möglichkeit, gezielt Flüchtlinge zu beschäftigen. Vereinzelt werden hierbei sogar auch Unterkunftsmöglichkeiten, insbesondere auf dem Land, angeboten (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Thüringer OVG, 18. Juli 2018, milo S. 4). Dass diese Angebote bisher nicht wahrgenommen werden, liegt an der mangelnden Bereitschaft vieler anerkannt Schutzberechtigter, sich in der bulgarischen Provinz niederzulassen (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 18. Juli 2018, a.a.O., S. 3). Anerkannt Schutzberechtigte genießen in Bulgarien jedoch Freizügigkeit (AIDA, a.a.O., S. 75). Sie sind mithin erforderlichenfalls auch auf Arbeitsplätze in den ländlicheren Regionen Bulgariens zu verweisen.

cc) Ein fester Wohnsitz ist für eine Arbeitsaufnahme nicht erforderlich (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26. April 2018, a.a.O.). Lediglich für die Registrierung bei der Arbeitsagentur ist ein Ausweisdokument vonnöten. Anerkannte Flüchtlinge bekommen ein Identitätsdokument mit fünf Jahren Gültigkeit, subsidiär Schutzberechtigte eines mit drei Jahren Gültigkeit (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 13. Dezember 2017, milo S. 16). Der Schutzstaus wird grundsätzlich unbegrenzt erteilt (Dr. Ilareva, Expert opinion on the current legal, economic and social situation of persons, recognized as being entitled to protection in Bulgaria, 7. April 2017, milo S. 12). Der Aufenthaltstitel muss jeweils persönlich verlängert werden (Bundesamt für Fremdenwesen, a.a.O., S. 5; AIDA, a.a.O., S. 70).

dd) Das bulgarische Gesetz zur Förderung der Beschäftigung sieht zudem vor, dass anerkannt Schutzberechtigte Zugang zur Arbeitsagentur haben. Darüber hinaus organisiert die Staatliche Agentur für Flüchtlinge Informationsveranstaltungen mit Firmen, die Asylbewerber und Personen mit internationalem Schutz oder humanitärem Status rekrutieren möchten. Internationale und bulgarische Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise das Bulgarische Rote Kreuz und die Caritas informieren solche Personen über ihre Rechte und Verfahrensabläufe und helfen ihnen bei der Arbeitsvermittlung (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Niedersächsische OVG, 18. Juli 2017, milo S. 4 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das BAMF vom 25. März 2019, milo; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 21). Das Bulgarische Rote Kreuz führt zudem im Auftrag des UNHCR Integrationsmaßnahmen durch, die Sprachkurse, Anmeldung zur Berufsausbildung und Kostenübernahme dieser Ausbildung umfassen (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 18. Juli 2017, a.a.O., S. 4). Auch einige Nichtregierungsorganisationen selbst beschäftigen anerkannt Schutzberechtigte.

ee) Die unzureichende Beherrschung in Bulgarien gebräuchlicher Sprachen begründet ebenfalls keine erheblichen Beeinträchtigungen. Zwar können fehlende Sprachkenntnisse eine Hürde auf dem Arbeitsmarkt darstellen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, www.fluechtlingshilfe.ch/assets/asylrecht/stellungnahmen/190829-bulgarien-auskunft.pdf, S. 24, f. m.w.N.). In Bulgarien gibt es auch keine staatlichen Sprachkursangebote (Council of Europe, Report of the fact-finding mission by Ambassador Bocek, rm.coe.int/report-of-the-fact-finding-missionby-ambassador-tomas-bocek-special-r/16807be041, S. 18). Potenzielle Arbeitsplatzangebote für anerkannt Schutzberechtigte umfassen jedoch häufig einfache Tätigkeiten in der Landwirtschaft und Gastronomie, für die man keine besondere Ausbildung oder Sprachkenntnisse benötigt.

b) Angesichts der Aussicht, den Lebensunterhalt durch Arbeit sichern zu können, wären die Kläger nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien allenfalls für kurze Zeit auf Hilfe seitens des Staates oder sonstiger Institutionen angewiesen. Es ist davon auszugehen, dass sie eine solche Unterstützung auch erhalten würden. Anerkannt Schutzberechtigte sind nämlich auch hinsichtlich des Bezugs von Sozialhilfe den bulgarischen Staatsangehörigen gleichgestellt und haben Zugang zur kompletten bulgarischen Sozialhilfe (AIDA, a.a.O., S. 77). Die monatliche Sozialhilfe beläuft sich auf umgerechnet etwa 33 € pro Person (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 18. Juli 2018, a.a.O., S. 2). Der Zugang zur Sozialhilfe gestaltet sich hierbei - ebenso wie für bulgarische Staatsangehörige auch - aufgrund der Zulassungskriterien als schwierig (Auskunft des Auswärtiges Amtes vom 18. Juli 2018, a.a.O.). Zum einen wird für die Registrierung ein Ausweisdokument verlangt (Dr. Ilareva, a.a.O.; Dr. Ilareva, Bericht über die derzeitige rechtliche, wirtschaftliche und soziale Lage anerkannter Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigter in Bulgarien, 27. August 2015, milo S. 4). Da es anerkannt Schutzberechtigten verwehrt ist, die Flüchtlingsunterkunft als Meldeadresse anzugeben, kann die Möglichkeit, Sozialhilfe zu beziehen, zumindest mit einem Zeitverlust verbunden sein (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 21 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 19). [...]

c) Ferner droht anerkannt Schutzberechtigten - insbesondere auch in der Anfangszeit nach ihrer Rückkehr - nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit. Sie haben nach ihrer Anerkennung einen Anspruch auf sechs Monate finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft (AIDA, a.a.O., S. 76). Alternativ können sie sechs Monate lang in Aufnahmeeinrichtungen bleiben (AIDA, a.a.O., S. 76; Dr. Ilareva 2017, a.a.O., S. 8). Eine Ausnahme hiervon besteht lediglich bei deren Überfüllung. Aufgrund zurückgehender Flüchtlingszahlen liegt eine solche derzeit jedoch weder vor noch ist sie demnächst zu erwarten. Personen mit internationalem Schutzstatus, die aus anderen Mitgliedstaaten nach Bulgarien rücküberstellt werden, haben zwar keinen Anspruch auf Unterbringung in einer SAR-Einrichtung (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 22 m.w.N.). Auch sie können bei fehlender Auslastung jedoch in diesen aufgenommen werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26. April 2018, a.a.O.), so dass auch diese Möglichkeit angesichts sinkender Flüchtlingszahlen nicht auszuschließen ist. [...]