VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2019 - 12 K 10071/18.A - asyl.net: M28344
https://www.asyl.net/rsdb/M28344
Leitsatz:

Landesweite Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung in Ägypten: 

Homosexuellen Personen droht in Ägypten landesweit die Gefahr einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Ägypten, homosexuell, Strafbarkeit, Flüchtlingsanerkennung, geschlechtsspezifische Verfolgung, sexuelle Orientierung, LSBTI,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3a, AsylG § 3b, AsylG § 3c
Auszüge:

[...]

Aufgrund der Erkenntnislage droht dem Kläger in Ägypten staatliche Verfolgung durch Bestrafung in Anknüpfung an seine Homosexualität.

Zwar stehen homosexuelle Handlungen nicht explizit unter Strafe. Jedoch kennt das ägyptische Strafgesetzbuch den Tatbestand der "Unzucht" (debauchery). Auch wenn Homosexualität nicht ausdrücklich erwähnt ist, berufen sich in der Praxis die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte auf den entsprechenden Artikel und ein Gesetz zur Bekämpfung der Prostitution von 1961. Es sind in diesem Zusammenhang sowohl Geld- als auch Gefängnisstrafen vorgesehen.

Es kommt zu Übergriffen der Sicherheitskräfte gegen Homosexuelle. Dabei ist es üblich, beschuldigte Personen "medizinischen Untersuchungen" von Neigungen und begangenen Handlungen zu unterziehen. Da homosexuelle Handlungen ein Tabu sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer der Übergriffe sehr hoch ist (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 9. Dezember 2015).

Diese Erkenntnis wird gestützt durch eine Vielzahl weiterer Auskunftsquellen. So müssen nach Auskunft von amnesty international Männer, die im Verdacht standen, einvernehmliche sexuelle Beziehungen mit anderen Männern zu haben, mit Verhaftung und strafrechtlicher Verfolgung wegen Prostitution und Verletzung der öffentlichen Moral rechnen. Die Behörden ordneten für einige der Gefangenen Zwangsuntersuchungen des Analbereichs an (Amnesty International, Amnesty International Report 2015/16, Seite 149).

Im November 2014 nahmen Sicherheitskräfte mehr als 30 Männer in einem Kairoer Badehaus fest; gegen 26 von ihnen wurde ein Gerichtsverfahren wegen "Ausschweifungen" eröffnet (vgl. Amnesty International; Amnesty International Report 2015116, Seite 149; Frankfurter Allgemeine vom 13. Dezember 2014 "Razzia gegen Schwule im Hamam"; Süddeutsche Zeitung vom 13. Januar 2015 "Nichts Strafbares im Hamam").

In einem anderen Fall wurden acht Männer im November 2014 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie an einer mutmaßlich gleichgeschlechtlichen Hochzeit auf einem Schiff auf dem Nil teilgenommen hatten. Im Berufungsverfahren wurde das Strafmaß im Dezember auf ein Jahr reduziert (Frankfurter Rundschau vom 3. November 2014 "Ägypter verurteilt wegen Video von Homohochzeit"; taz vom 3. November 2014 "Haft nach angeblicher Schwulenhochzeit").

In jüngster Zeit kam es zu weiteren Übergriffen: Seit dem 1. Oktober 2017 stehen 17 Männer wegen homosexueller Handlungen vor Gericht. Die Anklage wirft ihnen unmoralisches Verhalten sowie die Förderung von Homosexualität und Ausschweifungen vor. Menschenrechtsgruppen werfen den Behörden vor, die Polizei habe die 17 Männer in der vergangenen Woche völlig willkürlich in Straßen und Cafés festgenommen als Teil einer Anti-Homosexuellen-Kampagne (Frankfurter Allgemeine vom 1. Oktober 2017 "17 Männer wegen homosexueller Handlungen in Kairo vor Gericht").

Bereits zuvor wurden mehrere Besucher eines Konzerts der bekannten libanesischen Popgruppe "Mashrou' Leila" in Kairo verhaftet, nachdem sie dort die Regenbogenflagge geschwenkt hatten. Ägyptische Menschenrechtler sprachen von mindestens 22 Verhafteten, von denen einige nun bereits dem Richter vorgeführt wurden. Die jetzige Kampagne gegen Homosexuelle in Ägypten ist nach Presseberichten die erste dieses Ausmaßes seit dem Jahr 2001 (Frankfurter Rundschau vom 2. Oktober 2017 "Festnahmen wegen Regenbogenflagge"; taz vom 4. Oktober 2017 "Ägypten will keine Regenbogen sehen").

Aufgrund dieser Auskünfte ist das Gericht davon überzeugt, dass Homosexuellen - wie dem Kläger - landesweit die Gefahr von Verhaftung droht. Eine innerstaatliche Fluchtalternative gibt es nach der Auskunftslage nicht (ebenso VG Köln, Urteil vom 22. September 2016 - 6 K 7471/15.A -, juris, Rn 46; VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Oktober 2017 -12 K 10670/17.A -, juris).

Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass dem Kläger nicht etwa entgegengehalten gehalten werden kann, dass er die Gefahr der Verfolgung und Bestrafung dadurch verringern kann, dass er seine sexuelle Identität nicht offen auslebt. Von dem schutzsuchenden Asylbewerber kann nicht verlangt werden, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder zur Vermeidung von Verfolgung Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt (vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-19/12 bis C-201/12, juris; dem folgend: VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Oktober 2017 - 12 K 10670/17.A -, juris).

Zweitens: Unabhängig davon und selbstständig tragend droht dem Kläger Verfolgung durch staatliche Akteure. Der Kläger hat sich öffentlich und unter Namensnennung mehrfach gegen die Wehrpflicht und das Militär ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund könnte die besondere Ausreisekontrolle am Flughafen zu werten sein. [...]