VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.03.2020 - 11 S 2335/19 - asyl.net: M28338
https://www.asyl.net/rsdb/M28338
Leitsatz:

Keine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung bei betrieblicher Einstiegsqualifizierung:

"1. Eine Einstiegsqualifizierung im Rahmen der Berufsausbildungsvorbereitung ist keine betriebliche Ausbildung im Sinne des § 16a Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

2. Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 BeschV in der seit dem 01.03.2020 geltenden Fassung des Art. 51 des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vom 15.08.2019 (BGBl. I S. 1307) werden auch Zeiten eines Aufenthalts nach dem bis zum 29.02.2020 geltenden § 16 AufenthG nur zur Hälfte und nur bis zu zwei Jahren auf die Aufenthaltszeit nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschV angerechnet."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Fachkräfteeinwanderung, Einstiegsqualifizierung, Ausbildung, Berufsausbildung, Studium, Wechsel des Aufenthaltszwecks, Berufsausbildungsvorbereitung, Anrechnung, Aufenthaltszeit, Aufenthaltserlaubnis,
Normen: AufenthG § 16a Abs. 1, AufenthG § 2 Abs. 12a, AufenthG § 16b Abs. 4 Satz 1, AufenthG § 19c Abs. 2, AufenthG § 20 Abs. 3 Nr. 1, AufenthG § 16e, AufenthG § 18a, AufenthG § 19c Abs. 1, BeschV § 9 Abs. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Seit Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes zum 01.03.2020 ergibt sich die Rechtsgrundlage für eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Berufsausbildung und beruflichen Weiterbildung aus § 16a AufenthG n.F. [...]

(1) Wie das Verwaltungsgericht geht auch der Senat bei summarischer Prüfung davon aus, dass es sich bei der angestrebten Einstiegsqualifizierung nicht um eine betriebliche Aus- oder Weiterbildung im Sinne des § 16a Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. bzw. des früheren § 17 Abs. 1 Satz 1 AufenthG a.F. handelt.

(a) Zur betrieblichen (Berufs-)Ausbildung zählen grundsätzlich Ausbildungen nach dem Berufsbildungsgesetz (- BBiG -) und der Handwerksordnung sowie Ausbildungsgänge in berufsbildenden Schulen, soweit sie einem Beschäftigungsverhältnis gleichzusetzen sind, weil sie durch die Bezahlung einer Ausbildungsvergütung den Charakter eines Beschäftigungsverhältnisses haben (Fehrenbacher, in: HTK-AuslR, § 16a Abs. 1 AufenthG Rn. 8; Fleuß, in: BeckOK, Ausländerrecht, § 17 AufenthG Rn. 5 f.). Zwar fordert § 16a Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. nicht, dass es sich um eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 12a AufenthG n.F. mit einer Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren handelt. Gleichwohl muss eine Berufsausbildung im beschriebenen Sinne vorliegen und nicht lediglich eine bloße Vorbereitung auf diese.

Die (betriebliche) Einstiegsqualifizierung, wie sie der Antragsteller anstrebt, ist nicht die Aufnahme der Berufsausbildung selbst, sondern dient vielmehr dazu, Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit zu vermitteln und zu vertiefen sowie erst auf einen anerkannten Ausbildungsberuf vorzubereiten (vgl. § 54a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 2 SGB III i.V.m. §§ 68 bis 70 BBiG). Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 BBiG richtet sich die Berufsausbildungsvorbereitung an lernbeeinträchtigte oder sozial benachteiligte Personen, deren Entwicklungsstand eine erfolgreiche Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf noch nicht erwarten lässt. Sie dient nach § 1 Abs. 2 BBiG dem Ziel, an eine Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf heranzuführen. Wie sich aus § 1 Abs. 1 BBiG sowie der Überschrift des 4. Kapitels des 2. Teils des BBiG ergibt, gehören Maßnahme der Berufsausbildungsvorbereitung wie die Einstiegsqualifizierung zur Berufsbildung, ohne dass es sich um die Berufsausbildung selbst handelt (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.01.2017 - 11 S 2301/16 -, juris Rn.13 ff.; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 15.05.2018 - 8 ME 23/18 -, juris Rn. 6; Fleuß, in: BeckOK, Ausländerrecht, § 17 AufenthG Rn. 5). [...]

(1) Nach § 19c Abs. 1 AufenthG n.F. kann einem Ausländer unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Beschäftigungsverordnung oder eine zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt, dass der Ausländer zur Ausübung dieser Beschäftigung zugelassen werden kann. [...]

Ein Ausländer kann im vorgenannten Sinne nach der Beschäftigungsverordnung zur Ausübung einer Beschäftigung zugelassen werden, wenn entweder die Beschäftigungsverordnung für die Erteilung des entsprechenden Aufenthaltstitels kein Zustimmungserfordernis der Bundesagentur für Arbeit begründet (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 BeschV) oder sie ein solches Zustimmungserfordernis vorsieht und die Erteilung der Zustimmung im konkreten Fall nicht ausgeschlossen ist.

Danach kann die von Antragsteller angestrebte Beschäftigung nicht nach der Beschäftigungsverordnung zugelassen werden. So ergibt sich insbesondere nicht aus § 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschV, dass eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit von vorneherein nicht erforderlich wäre. Danach bedarf die Ausübung einer Beschäftigung bei Ausländern, die eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzen und sich seit drei Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhalten, keiner Zustimmung. Zwar hält sich der Antragsteller seit deutlich mehr als drei Jahren auf Grundlage einer Aufenthaltserlaubnis bzw. zuletzt im Rahmen der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erlaubt im Bundesgebiet auf. Diese Zeit ist jedoch gemäß § 9 Abs. 3 BeschV nicht vollständig zu berücksichtigen. Nach der seit dem 01.03.2020 geltenden Fassung des § 9 Abs. 3 Satz 1 BeschV (Art. 51 des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vom 15.08.2019, BGBl. I S. 1307) werden Zeiten eines Aufenthalts nach § 16b AufenthG nur zur Hälfte und nur bis zu zwei Jahren auf die Aufenthaltszeit nach Absatz 1 Nummer 2 angerechnet. Der Aufenthalt des Antragstellers beruhte zwar in der Vergangenheit nicht auf § 16b AufenthG. Jedoch nimmt § 9 Abs. 3 Satz 1 BeschV n.F. ersichtlich Bezug auf § 16b AufenthG in der Fassung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, der nunmehr den Aufenthalt zum Zweck des Studiums regelt. Der Gesetzgeber wollte mit der Änderung des § 9 Abs. 3 Satz 1 BeschV keine inhaltliche Änderung der Anrechnungszeiten bewirken, sondern den Verordnungstext lediglich an die Änderungen des Aufenthaltsgesetzes anpassen (BT-Drucks. 19/8285 S. 122: "Folgeänderung aufgrund der Änderung des AufenthG"), indem er den Hinweis auf § 16 AufenthG, der in der bis zum 29.02.2020 geltenden Fassung des Aufenthaltsgesetzes den Aufenthalt zum Zweck des Studiums regelte, lediglich durch den neugefassten § 16b AufenthG ersetzt hat. Der gleichbleibende Sinn und Zweck der Vorschrift spricht dafür, dass Zeiten eines Aufenthalts nach dem früheren § 16 AufenthG auch nach der Neufassung des § 9 Abs. 3 Satz 1 BeschV mit höchstens zwei Jahren angerechnet werden, obwohl die frühere Norm im Verordnungstext keine Erwähnung mehr findet und auch das Bestehen einer entsprechenden Übergangsvorschrift nicht ersichtlich ist. Dies zugrunde gelegt sind von der Aufenthaltszeit des Antragstellers lediglich zwei Jahre auf die erforderlichen drei Jahre nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG anrechenbar. Denn seine Aufenthaltserlaubnis beruhte in der Vergangenheit stets auf § 16 AufenthG a.F. – teils auf dessen Absatz 1, teils auf Absatz 5. [...]