VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 16.05.2019 - 24 K 648/19.A - asyl.net: M28275
https://www.asyl.net/rsdb/M28275
Leitsatz:

Abschiebungsverbot wegen fehlender Existenzgrundlage in Ghana:

1. Bei einer alleinerziehenden Mutter von vier minderjährigen Kindern, von denen eines Trisomie 21 hat, die keinen Beruf erlernt und keinen sozialen und familiären Rückhalt in Ghana hat, ist ein Abschiebungsverbot festzustellen.

2. Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien werden in Ghana ausgegrenzt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ghana, alleinerziehend, Schwerbehinderung, geistige Behinderung, Abschiebungsverbot, Existenzgrundlage,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Denn die den Klägern allein angedrohte Abschiebung nach Ghana ist nicht möglich, weil die Beklagte aus den nachfolgenden Gründen verpflichtet ist, für alle Kläger ein diesbezügliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuzuerkennen und eine Abschiebung der Kläger in dieses Land ausdrücklich auszuschließen.

Die Tatbestandsvoraussetzungen dieses nationalrechtlichen Abschiebungsverbotes sind hier ausnahmsweise gegeben. Zwar hat das Bundesamt diese Bestimmung in beiden Bescheiden in den Blick genommen und ist ihm auch einzuräumen, im Allgemeinen sei davon auszugehen, die Verhältnisse in Ghana gäben zu Bedenken hinsichtlich der jedenfalls leidlichen Gewährleistung der Anforderungen der EMRK keinen Anlass. Damit sowie dem Verweis darauf, in der Weisungslage heiße es: "Ein Abschiebungsverbot kommt nicht in Betracht" wird das Bundesamt den Besonderheiten des Einzelfalles jedoch bei Weitem nicht gerecht (vgl. dazu, dass eine solche Würdigung der besonderen Umstände des einzelnen Falles auch bei Antragstellern aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 29a AsylG geboten ist, etwa Gerichtsbescheid des Gerichts vom 18. April 2019 - 24 K 10531/18.A).

Vielmehr lassen die Besonderheiten es hier ausgeschlossen erscheinen, dass die Kläger in Ghana ihr sowohl in Art 2 EMRK als auch Art 2 GG geschütztes Recht auf Leben wahrnehmen könnten. Die Kläger verfügen in Ghana über kein im Sinne einer Unterstützung aktivierbares soziales Netz. Die Mutter der Klägerin zu 1) dürfte inzwischen ein Lebensalter erreicht haben, dass ihr eine materielle Unterstützung der fünfköpfigen Familie ebenso wenig erlaubte wie etwa auch nur eine Hilfestellung in Gestalt der Betreuung der Kinder. Zudem lebte die Klägerin zu 1) vor der Ausreise in der Stadt ..., die Mutter hingegen auf dem Lande. Kontakte zu den Vätern der Kinder in Italien bestehen nicht; zudem haben diese hinlänglich gezeigt, dass sie sich um nichts zu kümmern gedenken. Allein auf sich gestellt und ohne Beruf wäre es einer Mutter von 4 minderjährigen Kindern in Ghana schon so äußerst schwer, die Bedingungen für eine menschenwürdiges Leben aller aus allein eigener Kraft zu schaffen. Hier kommt jedoch noch hinzu, dass die Klägerin zu 1) selbst seit nunmehr 17 Jahren nicht mehr in Ghana lebt, ihre eigenen vormaligen sozialen Kontakte mithin erkaltet sein dürften, und ihre sämtlichen Kinder dieses Land noch nie gesehen haben; dass eine Verpflanzung aus dem gewohnten europäischen Umfeld nach Ghana für die Kinder unweigerlich mit erheblichen Problemen einhergehen würde, liegt auf der Hand. Wie die Klägerin zu 1) unter diesen Umständen in ihrem vormaligen "Beruf" als Straßenhändlerin den Lebensunterhalt erwirtschaften sollte, wäre schon kaum vorstellbar. Gänzlich ausgeschlossen scheint dies dem Gericht jedoch mit Blick auf die Behinderung des Klägers .... Dieser ist nach den Maßstäben des deutschen Schwerbehindertenrechts mit einem Grad von 4 Fünfteln behindert und zudem bedarf er ständiger Hilfe, wie das Merkzeichen H in seinem Ausweis indiziert. Auch diese zu leisten, obliegt und obläge allein der Klägerin zu 1). Ein weiteres Erschwernis erwüchse aus dem Umstand, dass geistige Einschränkungen vom Grade einer Behinderung in Ghana über das bloße Ignorieren hinaus keinerlei Respekt oder gar Förderung erfahren (vgl. dazu etwa Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Ghana als sicheres Herkunftsland im Sinne von § 29a AsylG vom 9. Februar 2019 (Stand Dezember 2018); Gz: 508-516.80/3 GHA; III. 4 (S. 18/19) und IV. 1.3 (S. 22)), so dass die Kläger auch noch mit der sozialen Ausgrenzung dieses Kindes wegen zu kämpfen hätten. [...]