Verfahrensvereinfachungen zur Entlastung der Ausländerbehörden wegen der Corona-Virus-Sondersituation
1. Bei Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltstiteln (nicht bei Schengen-Visa) ist verstärkt die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG zu nutzen. Sie gilt auch bei formlosen Anträgen (z.B. telefonisch, online, per E-Mail, per Post). Sollte die Ausstellung der Fiktionsbescheinigung nach § 58 S. 1 Nr. 1 AufenthV nicht möglich sein, kann der Verlängerungsantrag mittels formloser Bescheinigung bestätigt werden (mit Unterschrift und Stempel per Post, im Notfall elektronisch ohne Unterschrift und Stempel); andere Behörden (z.B. Polizei, Sozialämter) sind über die Verwendung solcher Bescheinigungen zu informieren. Wenn dringender Bedarf an einer formalen Fiktionsbescheinigung geltend gemacht wird, wird gebeten die Ausstellung zu ermöglichen.
2. Ausreisepflichten sind, soweit möglich, durchzusetzen (z.B. wenn Titel nicht verlängert werden können oder bei Zweckfortfall wegen gekündigtem Arbeitsverhältnis). Ist die Ausreise tatsächlich unmöglich, ist eine Duldung zu erteilen. Duldungsverlängerungen können im Einzelfall von Amts wegen erfolgen (per Post); Allgemeinverfügungen sollten nur im Ausnahmefall ergehen.
3. Der Bezug von Kurzarbeitergeld hat keine Auswirkungen auf den Bestand eines Aufenthaltstitels, da der Arbeitsvertrag bestehen bleibt und das Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung wegen Bezugs von auf eigenen Beiträgen beruhenden Leistungen gewahrt bleibt. Dies gilt auch für die Blaue Karte EU und Aufenthaltstitel für IT-Fachkräfte, auch wenn Gehaltsgrenzen unterschritten werden.
4. In Fällen des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, wonach ein Aufenthaltstitel erlischt, wenn die betreffende Person aus Deutschland aus- und nicht fristgerecht wieder eingereist ist, sind großzügige Fristverlängerungen zu gewähren (grundsätzlich auf Antrag, aber auch durch Allgemeinverfügung möglich), wenn aufgrund gestrichener Flugverbindungen keine rechtzeitige Rückkehr erfolgen kann.
5. Für Fälle abgelaufener Schengen-Visa ist eine bundesweit geltende Rechtsverordnung beabsichtigt. Bis dahin gilt: Da die Verlängerung des Visums eine persönliche Vorsprache voraussetzt, soll statt dessen eine Verlängerung der Ausreisefrist per E-Mail beantragt werden. Die Ausreisefrist soll großzügig bemessen sein und formlos mitgeteilt werden; von Allgemeinverfügungen ist möglichst abzusehen.
6. Bei visumsfreien Aufenthalten von 90 Tagen, haben Personen, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, die Legalisierung zu beantragen (notfalls per E-Mail); ab Antragstellung gilt die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 AufenthG). Bei längeren visumsfreien Aufenthalten von Staatsangehörigen sogenannter "best friends"-Staaten nach § 41 Abs. 1 AufenthG soll auch die Fiktionswirkung genutzt werden. Eine Beschäftigung kann bei vorliegender Zustimmung der Bundesarbeitsagentur aufgenommen werden; wenn die Zustimmung nicht vorliegt, soll die Beantragung ermöglicht werden.
7. Beschleunigte Fachkräfteverfahren nach § 81a AufenthG für Personal in Gesundheits- und Pflegeberufen, der Gesundheitsforschung sowie Transportpersonal im Warenverkehr und anderen notwendigen Bereichen sollen prioritär behandelt werden. Solche Personen sind von aktuellen EU-Reisebeschränkungen ausgenommen. Andere beschleunigte Fachkräfteverfahren sollen möglichst zügig weiterbearbeitet werden. Falls die Mitteilungspflicht bei Beschäftigungsbeendigung nach § 4a Abs. 5 S. 3 Nr. 3 AufenthG nicht rechtzeitig eingehalten werden kann, soll von einer Ahndung des Verstoßes nach § 98 Abs. 2a Nr. 2 AufenthG abgesehen werden.
8. Die Ausstellung von aufenthaltsrechtlichen Dokumenten (z.B. Reiseausweise für Flüchtlinge, elektronische Aufenthaltstitel) hat grundsätzlich wie bisher durch persönliche Antragstellung und Aushändigung zu erfolgen, möglichst mit kontaktlosem Schalterbetrieb. Da Fingerabdrücke erforderlich sind, kann die Antragstellung nicht anders erfolgen. Bei formloser Antragstellung kann eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt werden. Ausnahmsweise kann die Aushändigung über andere Behörden oder postalisch erfolgen (möglichst persönliche Zustellung, mindestens "Einwurf-Einschreiben", keine Versendung von Passdokumenten).
(Zusammenfassung der Redaktion; siehe auch ergänzende Empfehlungen des BMI vom 09.04.2020 - M3-51000/2#5 - asyl.net: M28335)
[...]
[A]ufgrund der Ausbreitung der Erkrankung COVID-19 durch den Erreger SARS-CoV-2 ("Corona-Virus") sind viele Ausländerbehörden nur eingeschränkt arbeitsfähig. Zudem ist es aus epidemiologischen Gründen geboten, direkten Kundenkontakt nach Möglichkeit zu vermeiden. Gleichwohl bittet das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, den Vollzug des Aufenthaltsgesetzes durch die Ausländerbehörden auch in den kommenden Monaten zu gewährleisten. Aufgrund der präzedenzlosen und volatilen Sondersituation im Zusammenhang mit dem Corona-Virus sind zur Entlastung der Ausländerbehörden jedoch eine Reihe von Verfahrensvereinfachungen angezeigt. [...]
1. Verlängerungsanträge bei Aufenthaltstiteln (mit Ausnahme von Schengen-Visa)
Um den reduzierten Personalbestand der Ausländerbehörden abzufedern, ist verstärkt die Fiktionswirkung des § 81 Absatz 4 AufenthG zu nutzen. [...] Die nach § 81 Absatz 5 AufenthG zu erteilende Fiktionsbescheinigung dient lediglich zu Nachweiszwecken. Dies gilt auch dann, wenn der Antrag formlos (z. B. telefonisch, online, per E-Mail oder per Post) gestellt wird.
Wenn ein Versand der sonst üblichen Fiktionsbescheinigung (vgl. § 58 Satz 1 Nummer 1 AufenthV) aufgrund der aktuellen Umstände nicht möglich sein sollte, kann die Ausländerbehörde den Eingang des Verlängerungsantrages mittels einer formlosen Bescheinigung bestätigen und diese mit Unterschrift und Stempel versehen per Post an den Antragsteller zurücksenden. Im Notfall kann dies auch elektronisch ohne Unterschrift und Stempel geschehen. Die örtlichen Polizeidienststellen, Leistungsbehörden sowie ggf. weitere relevante Behörden vor Ort sollten unverzüglich auf geeignetem Weg über die Verwendung dieser Bescheinigung unterrichtet werden. Sollte ein dringender Bedarf an einer formalen Fiktionsbescheinigung nach § 81 Absatz 5 AufenthG geltend gemacht werden, insbesondere zu Ausreisezwecken, wird gebeten, die Ausstellung einer solchen zu möglichen.
2. Verkürzung von Aufenthaltstiteln / Zweckfortfall
In Fällen, in denen absehbar ist, dass ein Aufenthaltstitel nicht verlängert werden kann oder auf sonstige Weise ein Zweckfortfall eintritt (z. B. bei gekündigten Arbeitsverhältnissen), sollte das Aufenthaltsgesetz vollzogen werden. Ausreisepflichten sind, soweit dies aufgrund der Umstände möglich ist, durchzusetzen. Ist die Ausreise tatsächlich unmöglich, ist eine Duldung zu erteilen.
3. Bezug von Kurzarbeitergeld
Der Bezug von Kurzarbeitergeld hat keine Auswirkungen auf den Bestand eines Aufenthaltstitels. Der Arbeitsvertrag bleibt auch bei Bezug von Kurzarbeitergeld bestehen. Die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel steht zwar grundsätzlich der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegen. Lediglich der Bezug von in § 2 Absatz 3 Satz 2 AufenthG explizit benannten öffentlichen Leistungen ist mit Blick auf das Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung unschädlich. Unschädlich sind danach u.a. Leistungen, die auf Beitragsleistungen beruhen. Beim Kurzarbeitergeld handelt es sich um eine Leistung der Arbeitslosenversicherung an Arbeitnehmer, somit um eine auf Beiträgen beruhende Leistung.
Auch in Bezug auf die Blaue Karte EU nach § 18b Absatz 2 AufenthG und eine Aufenthaltserlaubnis für IT-Fachkräfte nach § 19c Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 6 BeschV soll sich der Bezug von Kurzarbeitergeld auch dann nicht negativ auf den Bestand des Aufenthaltstitels auswirken, wenn das Kurzarbeitergeld die jeweiligen Gehaltsgrenzen unterschreitet und die Kurzarbeit eine Maßnahme im Zusammenhang mit dem Corona-Virus darstellt.
4. Fälle des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG
Ausländern mit Aufenthaltstitel, die sich im Ausland befinden und aufgrund gestrichener Flugverbindungen etc. keine Möglichkeit mehr haben, innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nach Deutschland zurückzukehren, ist noch vor Ablauf dieser Frist eine großzügige Fristverlängerung zu gewähren. Eine Fristverlängerung erfolgt im herkömmlichen Verwaltungsbetrieb nur auf Antrag; aufgrund der aktuellen Sondersituation kann sie ausnahmsweise aber auch durch Allgemeinverfügung von Amts wegen erfolgen.
5. Verlängerung von Schengen-Visa
Die Fiktionswirkung des § 81 Absatz 4 AufenthG gilt nicht für die Verlängerung von Schengen-Visa. BMI beabsichtigt deshalb zeitnah den Erlass einer Rechtsverordnung, mit der die Inhaber von ablaufenden Schengen-Visa für einen begrenzten Zeitraum nach Ablauf des Visums vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit werden.
Bis dahin gilt: Eine Verlängerung von Schengen-Visa setzt eine persönliche Vorsprache der Betroffenen voraus. Zur Verfahrensvereinfachung sollten Inhaber von Schengen-Visa bei der Ausländerbehörde per E-Mail unter Angabe ihrer Personalien eine Verlängerung ihrer Ausreisefrist beantragen. Die Ausländerbehörden werden gebeten, eine großzügig bemessene Ausreisefrist zu gewähren und dem Antragsteller dies formlos auf schriftlichem Wege oder per E-Mail mitzuteilen. Es wird angeraten, auf der eigenen Website einen entsprechenden Hinweis zu platzieren.
Da für die Bundespolizei und andere kontrollierende Stellen der Erlass von örtlich begrenzten Allgemeinverfügungen einzelner Ausländerbehörden nur schwer nachvollziehbar ist und zeitnah eine generelle Regelung durch Rechtsverordnung erfolgen soll, bitte ich, von Allgemeinverfügungen abzusehen. [...]
6. Umgang mit visumfreien Aufenthalten (Ablauf der 90-Tage-Frist)
Die Fiktionswirkung gilt auch für Ausländer, die sich derzeit visumbefreit in der Bundesrepublik aufhalten.
a) Personen, die nach der VO (EU) 2018/1806 vom 14. November 2018 (Visa-Verordnung) für 90 Tage visumfrei einreisen durften, sind gehalten, nach Möglichkeit in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren. Soweit dies aufgrund der aktuellen Umstände unmöglich ist, sollten sie sich vor Ablauf der 90 Tage an die Ausländerbehörde ihres Aufenthaltsorts wenden und unter Angabe ihrer Personalien – notfalls per E-Mail – darum bitten, ihren Aufenthalt zu legalisieren. Dieser Antrag bewirkt schon für sich genommen, dass der Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde weiterhin als erlaubt gilt (Fiktionswirkung nach § 81 Absatz 3 AufenthG). Für alle vorgenannten Fälle gilt weiterhin, dass die Ausländerbehörden auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht hinzuwirken haben, soweit dies möglich ist.
b) Auch für Drittstaatsangehörige der in § 41 Abs. 1 AufenthV genannten Staaten, die nach dieser Vorschrift visumfrei eingereist sind, soll in der aktuellen Lage die mit der Antragstellung verbundene Fiktionswirkung des erlaubten Aufenthalts genutzt werden. Soweit der Ausländer im Besitz der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist und den Aufenthaltstitel wie oben beschrieben beantragt hat, kann er die in der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bezeichnete Beschäftigung aufnehmen. Für Drittstaatsangehörige der in § 41 Abs. 1 AufenthV genannten Staaten, die bereits visumfrei eingereist und noch nicht im Besitz einer Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit sind, kann die o.g. Lösung keine Anwendung finden. Die Ausländerbehörden sollten trotz eingeschränkter Vorsprachemöglichkeiten diesem Personenkreis die Möglichkeit der Antragstellung einräumen, damit eine Beschäftigung aufgenommen werden kann. [...]
7. Verlängerung von Duldungen
Auch im Bereich von Duldungen ist der Vollzug des Aufenthaltsrechts zu gewährleisten. Zur Verfahrenserleichterung kommt hier übergangsweise eine Einzelverlängerung von Duldungen von Amts wegen in Betracht, die auch per Post versandt werden können. Allgemeinverfügungen sollten auch hier nur im Ausnahmefall ergehen.
8. Fachkräfteeinwanderung
Die Ausländerbehörden werden gebeten, beschleunigte Fachkräfteverfahren nach § 81a AufenthG für Personal in Gesundheits- und Pflegeberufen, der Gesundheitsforschung sowie für Transportpersonal im Warenverkehr und anderen notwendigen Bereichen prioritär zu behandeln. Ausländische Fachkräfte dieser Berufsgruppen sind nach der von den Staats- und Regierungschefs indossierten "Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – COVID- 19: Vorübergehende Beschränkung von nicht unbedingt notwendigen Reisen in die EU [COM (2020) 115 final]" vom 16.3.2020 von den aktuellen Reisebeschränkungen ausgenommen. [...]