Flüchtlingsanerkennung für homosexuellen Mann aus Georgien:
LGBTI-Personen sind in Georgien Verfolgungshandlungen durch die Bevölkerung ausgesetzt. Sie stellen eine bestimmte soziale Gruppe nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar. Der georgische Staat ist nicht willens und in der Lage, sie wirksam vor Verfolgung zu schützen. Vielmehr beteiligt er sich teilweise aktiv an der Vereitelung ihrer Rechte. Die Verfolgungsgefahr besteht in allen Landesteilen.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf VG Berlin, Urteil vom 21.11.2019 - 38 K 170.19 A - asyl.net: M28267)
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1. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass ihm wegen einer ihm in Georgien wegen seiner Homosexualität drohenden Verfolgung die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird. [...]
Dies zugrunde gelegt, ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, da er als Homosexueller (dazu a.) in Georgien einer Verfolgung jedenfalls durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt wäre (dazu b.), die an einen Verfolgungsgrund anknüpft (dazu c.) und gegen die ihn zu schützen der georgische Staat nicht hinreichend willens oder in der Lage ist (dazu d.) und für ihn keine interne Fluchtalternative besteht (dazu e.).
a. Die erkennende Einzelrichterin ist davon überzeugt, dass der Kläger homosexuell ist. [...]
b. Der Kläger wird als Homosexueller in Georgien durch die georgische Bevölkerung verfolgt. [...]
Nach der Überzeugung der Kammer ist der Kläger als Teil der LGBTI-Gemeinschaft bei einer Rückkehr nach Georgien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer solchen zielgerichteten unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt (dazu ausführlich das o.g. Kammerurteil vom 21. November 2019 - VG 38 K 170.19 A -, juris Rn. 36-58; siehe auch Kammerurteil vom 21. November 2019 - VG 38 K 148.19 A -, juris Rn. 33-53).
Auf die von der Beklagten angezweifelte Vorverfolgung des Klägers, die nach Art. 4 Abs. 4 Qualifikations-RL 2011/95/EU die Vermutung einer erneuten Verfolgung begründen würde, kommt es daher nicht an.
c. Homosexuelle Menschen gehören in Georgien zu einer sozialen Gruppe im Sinne der § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. [...]
Angesichts der bestehenden homophoben Grundhaltung der georgischen Bevölkerung werden diese in Georgien von der sie umgebenden und sie verfolgenden Gesellschaft als andersartig betrachtet, so dass ihre Gruppe eine abgegrenzte Identität i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Hs. 1 lit. b) AsylG besitzt (dazu das o.g. Kammerurteil vom 21. November 2019 - VG 38 K 170.19 A -, juris Rn. 62). Die mangelnde Schutzbereitschaft und -fähigkeit des georgischen Staates (dazu sogleich) knüpft ebenfalls an dieses Merkmal an, so dass offen bleiben kann, ob die Verknüpfung zwischen dem Verfolgungsgrund und der Verfolgungshandlung oder dem zwischen dem Verfolgungsgrund und dem Fehlen von Schutz bestehen muss (siehe § 3a Abs. 3 AsylG).
d. Nach der Erkenntnislage ist der georgische Staat derzeit nicht willens und in der Lage, Homosexuelle wirksam vor der geschilderten Verfolgung durch die georgische Gesellschaft zu schützen (§ 3d Abs. 1 lit. a], Abs. 2 AsylG). [...]
Die Stigmatisierungen und Diskriminierungen der LGBTI-Personen durch die georgische Öffentlichkeit haben aber ein solches Maß erreicht, und findet eine Aufklärung und Verfolgung dieser Taten in einem nur derart geringen Umfang statt, dass nicht nur von einzelnen Übergriffen und vereinzelten Schutzlücken, sondern zur Überzeugung der Kammer derzeit von einem systemischen Schutzproblem auszugehen ist. [...]
e. Der Kläger ist schließlich nicht darauf zu verweisen, Schutz in einem anderen Landesteil Georgiens zu suchen (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Nach den Erkenntnissen der Kammer ist die geschilderte Verfolgung nicht auf einzelne Teile Georgiens beschränkt und fehlt es im gesamten Staatsgebiet am schutzbereiten Staat (§ 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG; dazu ausführlich das o.g. Kammerurteil vom 21. November 2019 - VG 38 K 170.19 A - , juris Rn. 81; siehe auch Kammerurteil vom 21. November 2019 - VG 38 K 148.19 A - , juris Rn. 72). [...]