VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.02.2020 - 12 S 3016/19 - asyl.net: M28232
https://www.asyl.net/rsdb/M28232
Leitsatz:

Rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung ist zulässige Grundlage einer Verlustfeststellung:

"Solange ein Wiederaufnahmeverfahren nach §§ 359 ff. StPO keinen Erfolg hat, ist im Rahmen der Prüfung einer Verlustfeststellung ein rechtskräftiges strafgerichtliches Urteil zugrunde zu legen."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Verlust des Freizügigkeitsrechts, Straftat, Drogendelikt, Ausweisung, Wiederaufnahme des Verfahrens, Rechtskraft, Berufungszulassung, ernstliche Zweifel, EU-Staatsangehörige,
Normen: FreizügG/EU § 6 Abs. 1, FreizügG/EU § 6 Abs. 2, FreizügG/EU § 7 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Im Übrigen ist es in der Sache zutreffend, dass - solange ein Wiederaufnahmeverfahren keinen Erfolg hat - im Rahmen der Prüfung einer Verlustfeststellung ein rechtskräftiges strafgerichtliches Urteil zugrunde zu legen ist. Es gibt - auch unionsrechtlich - keinen Grund, neben die besonderen Garantien des Strafverfahrens hinsichtlich der Feststellung der Straftaten und der Schwere der Verfehlungen eine - weitere - subsidiäre verwaltungs-(verfahrens-)rechtliche Richtigkeitsgarantie hinsichtlich dieser Gesichtspunkte zu stellen (vgl. hierzu auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.04.2019 - 19 ZB 17.1535 - juris Rn. 17 mwN). Dass Ausländerbehörden einen Sachverhalt besser als inländische Strafverfolgungsorgane aufklären können, ist nicht zu besorgen, da jene keine weitergehenden Aufklärungsmöglichkeiten als diese haben. Ist ein Strafurteil fehlerhaft, kann dies durch ein Rechtsmittel oder durch Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 359 ff. StPO korrigiert werden. Beschreitet der Kläger den Weg der Wiederaufnahme nicht, fällt dies in seinen Verantwortungsbereich.

Im vorliegenden Fall ist eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens bis heute nicht einmal beantragt worden, obwohl dieses seit mehr als drei Jahren rechtskräftig abgeschlossen ist und die Erkenntnisse des Klägers, die aus seiner Sicht eine Wiederaufnahme gemäß § 359 Nr. 5 StPO rechtfertigen würden, auch schon seit längerem vorliegen. Weder aus dem nationalen Recht noch aus Unionsrecht ergeben sich Vorgaben für den Zeitpunkt, zu dem die Behörde die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausspricht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.09.2015 - 1 B 39.15 - juris Rn. 21); sie muss insbesondere auch nicht abwarten, ob der Ausländer ein Wiederaufnahmeverfahren durchführt.

Sollte ein Wiederaufnahmeverfahren dazu führen, dass eine Verurteilung aufgehoben wird und eine dem Ausländer günstigere strafgerichtliche Entscheidung ergeht, kann dem durch eine Aufhebung oder Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (vgl. § 7 Abs. 2 FreizügG/EU, Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG) hinreichend Rechnung getragen werden (vgl. grds. zum Verweis des Unionsbürgers auf das Verfahren nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU zur Geltendmachung nachträglich eingetretener Umstände, die ihn begünstigen BVerwG, Beschluss vom 11.09.2015 - 1 B 39.15 - juris Rn. 21). Ggfs. kann auch die Annahme einer wesentlichen Änderung der Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG erwogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 - juris Rn. 28 betr. eine Ausweisung). Diese Instrumentarien sind ausreichend, um dem Freizügigkeitsrecht des Klägers, der vor seiner Inhaftierung noch nicht einmal einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, Wirksamkeit zu verleihen. [...]