Keine staatliche Verfolgung von LSBTI in Malaysia:
"1. Homo- und Transsexuellen droht in Malaysia trotz offener Ablehnung durch die Mehrheitsgesellschaft und die Politik keine staatliche Verfolgung. Soweit homosexuelle Personen in Malaysia durch den Staat diskriminiert werden, erreichen diese Diskriminierungen nicht das Gewicht einer asylrelevanten Verfolgungshandlung. Soweit vereinzelt staatliche Maßnahmen gegen Homo- und Transsexuelle in Malaysia erfolgen, die das Gewicht einer Verfolgungshandlung erreichen, begründet [dies nicht] die Annahme einer Gruppenverfolgung zum Nachteil aller Homo- und Transsexueller (Rn. 39), (Rn. 40).
2. Homo- und Transsexuellen droht in Malaysia jedenfalls dann keine nichtstaatliche Verfolgung, wenn sie weder Muslime noch Transfrauen sind (Rn. 44).
3. Der malaysische Staat ist fähig und willens, Homo- und Transsexuelle vor Verfolgungshandlungen durch nichtstaatliche Akteure zu schützen (Rn. 56)."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
39 Homosexuellen Frauen und Transsexuellen droht in Malaysia trotz offener Diskriminierung keine asylrechtlich relevante staatliche Verfolgung (a.). Soweit homosexuellen Frauen und Transsexuellen in Malaysia durch nichtstaatliche Akteure eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung oder Bestrafung zu gewärtigen hatten, ist weder erkennbar, dass der malaysische Staat diesen Frauen aus Gründen ihrer Homosexualität staatlichen Schutz verweigert, noch, dass etwaige Handlungen nichtstaatliche Akteure in jedem Einzelfall die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen würden (b.).
40 a. Homo- und transsexuelle Personen werden in Malaysia offen diskriminiert. Verhaltensweisen, die Homo- oder Transsexualität ausdrücken, werden in der Gesellschaft verbreitet als von der Norm abweichend und falsch angesehen. Die "Korrektur" solcher Verhaltensweisen um jeden Preis wird sozial gebilligt (Jeremy Tan Fok Jun, in: ILGA, State Sponsored Homophobia 2019, S. 451). Dies drückt sich unter anderem darin aus, dass der malaysische Staat Konversionstherapien zur "Heilung" von homo- und transsexuellen Personen öffentlich unterstützt (ILGA, State Sponsored Homophobia 2019, S. 451, 453). So hat etwa das Gesundheitsministerium Malaysias im Juni 2017 eine Konversionstherapie in einem Aufruf für Beiträge zu einem Videowettbewerb befürwortet. Im Dezember 2017 hat der Staat Terengganu verlautbart, er plane einen Kurs zu Konversionstherapien, der sich an Transfrauen richte. Im Februar 2018 veröffentlichte eine malaysische Zeitung eine Checkliste, wie man einen Homosexuellen identifizieren könne. Im Oktober 2018 veröffentlichte die Regierung Malaysias eine Programmanwendung, um ihren Nutzern "praktische Wege zur Überwindung des Problems der Homosexualität" aufzuzeigen. Im September 2017 kündigte die Migrationsbehörde in einer Presseerklärung an, dass sie eine "Gay Party", die für den 30. September 2017 in einem Club in Kuala Lumpur geplant gewesen sei verboten habe. Nach den Angaben des Generaldirektors der Behörde diene dies dazu, die öffentliche Ordnung zu erhalten, da Veranstaltungen Homosexueller eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit darstellen würden. Im Februar 2018 wurde einer offen lesbisch auftretenden Sängerin aus Hongkong eine Auftrittsgenehmigung verweigert, was mutmaßlich auf ihren Einsatz für die Belange von Homo- und Transsexuellen zurückzuführen sei. Im April 2017 ordnete der Minister für religiöse Angelegenheit Malaysias an, zwei Porträts von Aktivisten für die Rechte von Homo- und Transsexuellen sowie Regenbogenflaggen bei einem Kunstfestival zu entfernen. Ebenso ist eine Zensur von Filmen vorgesehen, die Szenen enthalten, welche "unangemessen" seien, was auch die Themen Homo- und Transsexualität betreffe. Im September 2018 erklärte der Premierminister Malaysias Mahathir Mohamad, Malaysia könne die Kultur und Rechte von Homo- und Transsexuellen, etwa in der Gestalt der gleichgeschlechtlichen Ehe nicht akzeptieren; dies seien "westliche" Werte. Ebenfalls im September 2018 erklärte der Premierminister Malaysias, das Land würde den "Sodomie-Paragrafen" nicht streichen. Malaysia sei eine muslimische Nation und toleriere "Sodomie" nicht. Der Rest der Welt möge dies tun, aber sie könnten dies nicht. Dies sei gegen ihre Religion. Im Oktober 2018 stellte der Oppositionsführer Datuk Seri Ahmad Zahid Hamidi einen Zusammenhang zwischen einem Erdbeben, das in Indonesien stattgefunden habe und den dortigen Aktivitäten der homo- und transsexuellen Gemeinde her, wobei er angab, dass sie "sicherstellen müssten, dass Malaysia und die, die gegen die Homo- und Transsexuellen sind, von der Strafe Allahs verschont werden" (Zu alledem: ILGA, State Sponsored Homophobia 2019, S. 451, 452, ebenso wiedergegeben in dem klägerisch vorgelegten Schreiben des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland vom 10. September 2019).
41 Diese offen der Distinktion dienenden Haltung des malaysischen Staates und der qua Verfassung muslimischen Mehrheitsbevölkerung der Malaien führt jedoch nicht dazu, dass ein staatliches Verfolgungsprogramm anzunehmen wäre. Insbesondere schlägt sie sich nicht in systematischen Eingriffen in asylrelevante Rechtsgüter nieder.
42 Transsexualität ist in Malaysia entgegen dem Vortrag der Klägerin nicht mit Strafe bedroht (vgl. Malaysia Report des australischen Außenministeriums von Juli 2016, wiedergegeben im klägerisch vorgelegten Schreiben des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland vom 10. September 2019). Benachteiligungen und Diskriminierungen erfolgen danach allenfalls nach den nachfolgend benannten Vorschriften, erreichen aber nicht die für die Annahme einer asylrelevanten Verfolgung erhebliche Verfolgungsdichte. Nachteile, die Transsexuelle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erleiden haben, erreichen nicht das Gewicht einer Verfolgungshandlung. Dies gilt insbesondere für die nicht oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen mögliche personenstandsrechtliche Anerkennung des Geschlechts, das der eigenen Identität entspricht. Eine solche wird in der malaysischen Justiz teils befürwortet, teils abgelehnt (ILGA, Trans Legal Mapping Report November 2017, S. 33). Die rechtliche Nichtanerkennung des Geschlechts, das der eigenen Identität entspricht, stellt jedoch keine staatliche Maßnahme dar, die eine staatliche Verfolgung konstituiert. Auch der Ausdruck der transsexuellen Identität, insbesondere durch Transvestismus ("cross-dressing") ist nicht kriminalisiert. Ein entsprechendes strafbewehrtes Verbot nach dem Recht der Scharia im Staat Negeri Sembilan erklärte ein malaysisches Obergericht im November 2014 für verfassungswidrig und erkannte, die Existenz eines Gesetzes, das den Ausdruck der Geschlechtsidentität bestrafe, sei erniedrigend und beraube die Betroffenen ihrer Würde und ihres gesellschaftlichen Geltungsanspruchs (ILGA, State Sponsored Homophobia 2019, S. 452).
43 Soweit eine Strafbarkeit von Homosexualität in Malaysia vorgetragen wird, kann eine solche allein aus dem Art. 377A des malaysischen Strafgesetzbuches (Act 574 Penal Code, in der Fassung vom 1. Januar 2015) abgeleitet werden. Diese Norm, die auf das britische Kolonialrecht zurückgeht, stellt sexuelle Handlungen zwischen zwei Personen die mit dem Einführen des Penis in den Anus oder den Mund der anderen Person einhergehen als "fleischlichen Verkehr wider die natürliche Ordnung" ("Carnal intercourse against the order of nature", sinngemäß "widernatürliche Unzucht") unter Strafe und bedroht solche Handlungen mit bis zu 20 Jahren Haft und Auspeitschungen. Diese Norm, die ihrem Wortlaut nach keinen Bezug zu homosexuellen Verbindungen herstellt, sondern grundsätzlich unterschiedslos auf sexuelle Handlungen heterosexuelle und männlicher homosexuelle Paare Anwendung findet, wird trotz der verbreiteten öffentlichen Ablehnung von Homosexualität nur selten angewandt (vgl. Reuters – Malaysian PM says caning of lesbians counter to 'compassion of Islam', 06.09.2018; Auswärtiges Amt, Reisewarnungen Malaysia, wiedergegeben im Schreiben des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland vom 10. September 2019). Es besteht daher bereits für homosexuelle Männer nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, nach der genannten Strafvorschrift bestraft zu werden. Zwar hat im Februar 2015 eine Verurteilung eines Oppositionspolitikers nach diesem Straftatbestand zu fünf Jahren Haft große Aufmerksamkeit erregt; diese Verurteilung ist jedoch als politisches Mittel zu deuten, wurzelt also vielmehr in der Bedeutung des Verurteilten für die Opposition als in dessen sexueller Orientierung (ILGA, State Sponsored Homophobia 2019, S. 451). Derselbe Politiker wurde im Mai 2018 auf der Haft entlassen und erhielt eine umfassende königliche Begnadigung durch den König des Landes nach Abstimmung mit dem Gnadenrat und dem Premierminister. Die Begnadigung wurde damit begründet, dass ein Fehlurteil ("miscarriage of justice) gesprochen worden sei (Business Insider Malaysia – Malaysia’s jailed leader-in-waiting has been released from custody and given a full royal pardon, 16.05.2018).
44 Erst recht sind die Klägerin und ihre Lebenspartnerin – eine homosexuelle Frau und ein Transmann, also eine Person, die als Frau geboren wurde und sich als Mann identifiziert – nicht von einer Bestrafung nach diesem Paragraphen bedroht, da ihnen die Verwirklichung des genannten Straftatbestandes nicht möglich ist, da sie beide mangels Penis die tatbestandliche Handlung nicht vornehmen können.
45 Nichts anderes folgt aus Art 377CA des malaysischen Strafgesetzbuches, der – entgegen den irrigen Ausführungen in dem klägerisch vorgelegten Schreiben der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität vom 9. September 2019 – sexuelle Handlungen, die mit dem Einführen eines beliebigen Gegenstandes in die Vagina oder den Anus einer anderen Person nur dann unter Strafe stellt, wenn sie ohne Einwilligung der betreffenden Person erfolgen ("without the other person’s consent", Act 574 Penal Code, a.a.O.). Damit entspricht die Norm im Wesentlichen dem deutschen Straftatbestand der Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Abs. 6 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs – StGB – sodass insoweit keine Anhaltspunkte für eine diskriminierende Gesetzgebung bestehen. Anhaltspunkte für eine systematische diskriminierende Strafverfolgungspraxis ergeben sich aus den umfangreichen Erkenntnismitteln nicht.
46 Auch der Straftatbestand des Art. 377D des malaysischen Strafgesetzbuchs begründet nicht die Annahme einer staatlichen Verfolgung. Dieser stellt die Begehung einer groben Unsittlichkeit unter Strafe. Auch diese Norm wirkt jedoch nicht ohne Weiteres diskriminierend, sondern entspricht im Wesentlichen den Straftatbeständen der § 183 StGB (Exhibitionistische Handlungen) und § 183a StGB (Erregung öffentlichen Ärgernisses). Auch hinsichtlich dieses Straftatbestandes ist den Erkenntnismitteln keine Verfolgungspraxis zu entnehmen, die eine Regelvermutung der Verfolgung begründen würde.
47 Nichts anderes gilt in Bezug auf Section 21 des Minor Offences Act von 1955 (wiedergegeben in dem Schreiben des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland vom 10. September 2019). Dieser droht für öffentliche Trunkenheit und anderes aufrührerisches, ordnungswidriges und unsittliches Verhalten bei Erstbegehung ein Bußgeld von bis zu 25 Ringgit (Dies entspricht gut fünf Euro) oder bis zu 14 Tage Haft, im Wiederholungsfalle ein Bußgeld von bis zu 100 Ringgit (Dies entspricht gut 20 €), bis zu drei Monate Haft oder beides zugleich an. Diese Vorschrift komme nach dem von den Klägerinnen zitierten Bericht "Legal Gender Recognition in Malaysia", dort S. 32, besonders dann zur Anwendung, wenn eine große Zahl von Transsexuellen bei einer Durchsuchung festgenommen werden solle. In einem weiteren Bericht ist davon die Rede, dass "Behörden Transsexuelle oft" wegen unsittlichen Verhaltens belangen würden (US State Department, Country Report on Human Rights Practices for 2018 – Malaysia vom 12. März 2019, wiedergegeben im Schreiben des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland vom 10. September 2019). Der detailliertere Malaysia Report des australischen Außenministeriums (ebenfalls wiedergegeben im Schreiben des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland vom 10. September 2019) berichtet auch, dass Transsexuelle festgenommen würden. Die entsprechenden Vorschriften würden jedoch in erster Linie auf Männer im biologischen Sinne angewandt, die sich als Frauen kleiden. Auch insoweit lässt sich auf Grundlage der Erkenntnismittel keine Verfolgungsdichte feststellen, die einer flächendeckenden Suche nach und Inhaftierung von Transsexuellen gleichkäme und welche die Regelvermutung einer Verfolgung begründen würden. Jedenfalls ist eine staatliche Gruppenverfolgung in der zu entscheidenden Konstellation nicht anzunehmen, da die Klägerin ein Transmann ist, also eine Frau im biologischen Sinne, die sich als Mann identifiziert und als solcher kleidet. Die Klägerin und ihre Lebensgefährtin trugen entsprechende Verfolgungen von Transsexuellen auch zum Nachteil Dritter im gesamten Verfahren nicht vor, sondern gaben an, diese würden von Polizisten zu Geldzahlungen erpresst. Auch die anderen Erkenntnismittel lassen solche Vorfälle nicht erkennen.
48 Das in Malaysia in unterschiedlichen Staaten teils heterogene Scharia-Recht sieht Strafen für Ausdrucksformen von Homo- und Transsexualität vor. Auch insoweit findet jedoch ein Vollzug nur vereinzelt statt. So wurde ein lesbisches Paar von einem Scharia-Gericht in Terengganu zu einer Geldbuße und Stockschlägen verurteilt (ILGA, State Sponsored Homophobia 2019, S. 452). Dabei ist bereits fraglich, ob die Handlung als staatlich zu qualifizieren ist, da sie auch vom malaysischen Staat in der Gestalt der Nationalen Menschenrechtsinstitution, als den Grundsätzen einer "kultivierten, zivilisierten, gemäßigten und fortschrittlichen Gesellschaft" zuwiderlaufend bezeichnet wurde (ILGA, State Sponsored Homophobia 2019, S. 452). Auch der Premierminister Malaysias verurteilte die verhängte Strafe und erklärte, der Vorfall hinterlasse einen schlechten Eindruck vom Islam. Es sei wichtig, dass sie zeigten, dass der Islam keine grausame Religion sei, die diakonische Strafen auferlege, um andere zu erniedrigen (Reuters – Malaysian PM says caning of lesbians counter to 'compassion of Islam', 06.09.2018). Auch bei Annahme einer staatlichen Verantwortlichkeit ist festzuhalten, dass das genannte Urteil singulär geblieben ist, so dass darin jedenfalls kein staatliches Verfolgungsprogramm gesehen werden kann. Es folgt daher auch daraus nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer individuellen Verfolgung einer jeden lesbischen Frau. [...]