VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 22.01.2020 - 6 K 2080/18 - asyl.net: M28066
https://www.asyl.net/rsdb/M28066
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen drohender politischer Verfolgung in Syrien:

Wegen der Tätigkeit für eine syrisch-amerikanische Hilfsorganisation in einem von der Freien Syrischen Armee (FSA) kontrollierten Gebiet droht die Gefahr flüchtlingsrechtlich erheblicher Verfolgungsmaßnahmen wie Folter und Misshandlung aufgrund der unterstellten regimefeindlichen Gesinnung. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, humanitäre Hilfe, medizinische Hilfe, Hilfsorganisation, politische Verfolgung, regimefeindliche Gesinnung, Risikoprofil, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefährdung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ergibt sich für den Kläger aber aus seiner Tätigkeit für die syrisch-amerikanische Hilfsorganisation "SAMS". Bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hat der Kläger davon berichtet, dass er vor der Rückeroberung des Gebietes ... durch das syrische Regime in einem medizinischen Zentrum gearbeitet habe und als Nachweis hierfür einen Arbeitsvertrag mit dieser medizinischen Hilfsorganisation vorgelegt. Das Gericht hat nicht zuletzt aufgrund des von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vermittelten persönlichen Eindrucks keinen Zweifel daran, dass er tatsächlich bei der syrisch-amerikanischen Hilfsorganisation "SAMS" angestellt war und in einem von dieser Hilfsorganisation unterstützten medizinischen Zentrum Verwaltungsaufgaben wahrgenommen hat. Aufgrund seiner Tätigkeit für diese Hilfsorganisation muss der Kläger nach Überzeugung des Gerichts auch die begründete Besorgnis haben, dass ihm von Seiten des syrischen Regimes bei Rückkehr eine regimekritische oder gar regimefeindliche Haltung unterstellt wird. Nach dem vom syrischen Regime ihren Verfolgungsmaßnahmen zugrunde gelegten "Freund-Feind-Schema" wird auch die humanitäre Unterstützung des Gegners als feindlicher Akt angesehen. Bereits die Belieferung von Gebieten unter Kontrolle der Opposition mit humanitären Gütern oder die medizinische Behandlung von Oppositionellen hat das syrische Regime als Aktivitäten deklariert, auf die von Gesetzes wegen die Todesstrafe steht. Humanitäre Helfer werden deshalb ausdrücklich zu den Personengruppen mit gesteigertem Risikoprofil gezählt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, vom 20.11.2019, 508-516.8013 SYR, sowie amnesty international, Auskunft an HessVGH, vom 20.09.2018).

Daran anknüpfend besteht für den Kläger, der in der mündlichen Verhandlung glaubhaft ein bestehendes Verfolgungsinteresse des syrischen Regimes geschildert hat, die begründete Gefahr, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien festgenommen und in der Folge wegen einer bei ihm aufgrund humanitärer Hilfeleistung vermuteter regimefeindlicher politischer Gesinnung flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgungsmaßnahmen wie Folter und Misshandlung ausgesetzt sein würde (vgl. dazu auch Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 20.11.2019, a.a.O., wonach insbesondere auch aus der ehemaligen Oppositionshochburg ... von einem erneuten Anstieg von Verhaftungen humanitärer Helfer berichtet worden sei; ferner OVG des Saarlandes, Urteil vom 16.01.2019, 2 A 507/17).

Da dem Kläger in Syrien auch keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne von § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung steht (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 20.11.2019, a.a.O., wonach in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher interner Schutz für verfolgte Personen bestehe), erfüllt der Kläger damit die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG. [...]