SG Darmstadt

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Zitieren als:
SG Darmstadt, Beschluss vom 05.08.2019 - S 17 SO 125/19 ER - asyl.net: M28056
https://www.asyl.net/rsdb/M28056
Leitsatz:

Keine Sozialleistungen nach Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts:

"1. Bereits die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU führt zum Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 7, 2. Halbsatz SGB XII. Auf die Bestandskraft der Verlustfeststellung kommt es nicht an.

2. Zu einer eigenständigen Prüfung der materiellen aufenthaltsrechtlichen Lage sind nach Verlustfeststellung weder der Sozialleistungsträger noch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit befugt."

(Amtliche Leitsätze, später aufgehoben durch LSG Hessen, Beschluss vom 09.10.2019 - L 4 SO 160/19 B ER - asyl.net: M28048)

Schlagwörter: Unionsbürger, Verlust des Freizügigkeitsrechts, Leistungsausschluss, Aufenthaltsrecht, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit,
Normen: FreizügG/EU § 5 Abs. 4, SGB XII § 23 Abs. 3 S. 7,
Auszüge:

[...]

Dass die Verlustfeststellung angefochten wurde und die diesbezügliche Klage noch beim Verwaltungsgericht Darmstadt anhängig ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. "Nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 7 Halbsatz 2 SGB XII führt bereits die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts zur Unanwendbarkeit der Ausnahme, die Rechtskraft der Verlustfeststellung wird nicht vorausgesetzt. Dass es auf die Rechtskraft nicht ankommen kann, entspricht auch der Systematik der Regelung des § 23 Abs. 3 SGB XII: Die Ausnahme vom Leistungsausschluss für Ausländer, die sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten, soll dem Umstand Rechnung tragen, dass auch ohne materielles Aufenthaltsrecht tatsächlich eine Verfestigung des Aufenthalts in Deutschland eintreten kann. Hat die Ausländerbehörde allerdings den Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt, so steht dies der Annahme eines verfestigten Aufenthalts entgegen (so die Gesetzesbegründung der derzeitigen Fassung des § 23 Abs. 3 SGB XII, BT-Drs. 18/10211, S. 16 i.V.m S. 14). Denn bereits die behördliche Verlustfeststellung führt zur Ausreisepflicht des Ausländers nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, ihre Rechtskraft ist dafür nicht erforderlich (vgl. hierzu die Begründung zur Änderung des § 7 Abs. 1 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BT-Drs. 16/5065 S. 211 zu Nummer 8 a. aa.)." (Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 28. September 2017, L 4 SO 55/17 B ER, juris, Rdnr. 6).

Darüber hinaus beendet die Feststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU den rechtmäßigen Aufenthalt auch dann, wenn der Ausländer gegen den feststellenden Verwaltungsakt Widerspruch einlegt oder Anfechtungsklage erhebt. Der Suspensiveffekt (§ 80 Abs. 1 VwGO) lässt die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes unberührt und führt nur zu einem umfassenden Verwirklichungs- und Ausnutzungsverbot, da dem Suspensiveffekt nur Vollzugs- und keine Wirksamkeitshemmung zukommt. Rechtsmittel hemmen folglich nicht die Ausreisepflicht selbst, sondern nur deren Durchsetzung (vgl. Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 7 FreizügG/EU, Rdnr. 18). Die rechtsgestaltende Wirkung der Feststellung nach § 5 FreizügG/EU auf die natürliche Rechtsposition, die durch die Freizügigkeitsvermutung hervorgerufen wird, beendet den rechtmäßigen Aufenthalt. Während des Zeitraums bis zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde oder des Gerichts ist der Aufenthalt geduldet und entspricht damit der Rechtsstellung eines ausgewiesenen Ausländers nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (vgl. Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 7 FreizügG/EU, Rdnr. 18). § 7 Abs. 1 Satz 4 FreizügG/EU bestimmt nur, dass in den Fällen, in denen mit der Verlustfeststellung bereits die Abschiebung angedroht und hiergegen einstweiliger Rechtsschutz beantragt wird, die Abschiebung nicht vor Entscheidung über den Eilantrag erfolgen darf (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 28. September 2017, L 4 SO 55/17 B ER, juris, Rdnr. 6). Bereits das Bestehen der Ausreisepflicht steht aber der Annahme eines verfestigten Aufenthalts im Sinne der Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII entgegen (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Mai 2017, L 15 AS 62717 B ER, juris Rn. 12 für die entsprechende Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 SGB II). Ohne Verfestigung des Aufenthalts fehlt es an einem Grund für eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 28. September 2017, L 4 SO 55/17 B ER, juris, Rdnr. 6). [...]