VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 05.11.2019 - 10 K 4824/18.A - asyl.net: M28015
https://www.asyl.net/rsdb/M28015
Leitsatz:

AZR-Abfrage durch Bundesamt ist keine Mitteilung einer öffentlichen Stelle:

"Zur Praxis des Bundesamts, vor Bescheidzustellung die Adresse des Asylbewerbers im Ausländerzentral­register abzufragen.

Eine Abfrage beim Ausländerzentrale stellt keine "Mitteilung einer öffentlichen Stelle" i.S.d. § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG dar. Die Zustellfiktion nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG greift in diesem Fall nicht."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausländerzentralregister, Zustellung, ladungsfähige Anschrift, Zustellfiktion, BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Mitteilung einer öffentlichen Stelle,
Normen: AsylG § 10 Abs. 2 S. 2, AsylG § 10 Abs. 2 S. 4, AZRG § 1 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

aa) Ob eine Adressabfrage aus dem AZR als eine Mitteilung einer öffentlichen Stelle i.S.d. § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG aufzufassen ist, wird – soweit ersichtlich – unterschiedlich beurteilt. Während das VG Aachen die vorherige Mitteilung einer Behörde an das AZR als eine "Mitteilung einer öffentliche Stelle" ansieht (VG Aachen, 20. Februar 2017 – 4 K 38/17.A – Juris, Rn. 38 ff.), bewertet das VG Berlin die im AZR gespeicherten Adresse eines Ausländers nicht als eine i.S.d. § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG durch eine öffentliche Stelle dem Bundesamt mitgeteilte letzte bekannte Anschrift (VG Berlin, 34 K 1401/17.A, Rn. 18 – juris; VG Berlin, 20. Oktober 2017 – 34 L 1400/17.A, Rn. 19 – juris; dem folgend Funke-Kaiser, in: Fritz/Vomeier, Gemeinschaftskommentar AsylG, Loseblattsammlung, Stand Juni 2018, § 10 AsylG, Fn. 266.1).

Folge der Ansicht des VG Berlin ist, dass nach einer Abfrage beim AZR durch das Bundesamt eine Zustellfiktion nicht stattfinden kann. Beim VG Berlin, a.a.O., heißt es ausdrücklich:

"Eigene Ermittlungen hatte das Bundesamt nicht anzustellen. § 10 Abs. 2 Satz 1 bis 3 AsylG entbindet das Bundesamt davon" (VG Berlin, 9. Februar 2018 – 34 K 1401.17 A –, Rn. 20, juris; VG Berlin, 28. August 2017 – 32 L 652/17.A, Rn. 17 – juris).

Das VG Leipzig sieht wie das VG Berlin keine Pflicht des Bundesamts für eine eigenständige Adressermittlung, kommt aber zum selben Ergebnis wie das VG Aachen, wenn es feststellt, dass das Bundesamt zu einer Aufenthaltsermittlung nicht verpflichtet [sei], sodass die bloße Speicherung einer Anschrift – wie nach dem Vortrag der Antragsteller bei der Meldebehörde – noch keine Mitteilung einer Anschrift im Sinne von § 10 Abs. 1 AsylG ist und für sich genommen auch noch keine durch eine öffentliche Stelle dem Bundesamt mitgeteilte letzte bekannte Anschrift des Ausländers im Sinne von § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG sein kann […]. Nimmt das Bundesamt eine Aufenthaltsermittlung aber gleichwohl vor, handelt es sich bei der durch die registerführende öffentliche Stelle erteilten Auskunft zum Aufenthalt freilich um die Mitteilung einer öffentliche Stelle im Sinne von § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG (VG Leipzig, 18. Dezember 2017 – 6 L 1003/16.A, Rn. 27 – juris).

bb) Nach Prüfung der Abläufe beim AZR vermag das erkennende Gericht in der Einholung einer Adresse beim AZR keine Mitteilung einer öffentlichen Stelle im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG zu erkennen. In Fällen, in denen das Bundesamt auf eigene Faust Adressen von Asylbewerbern heraussucht, darf die Fiktion aus § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG nicht eingreifen.

Das Register ist automatisiert und wird vom Bundesamt geführt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AZRG vom 2. September 1994, BGBl. I S. 2265) und vom Bundesverwaltungsamt in Auftrag und nach Weisung des Bundesamts betrieben (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AZRG). Neben der Beklagten sind ca. 6.500 Partnerbehörden (Zahl nach Wikipedia- Eintrag zu "Ausländerzentralregister", abgerufen am 10.11.2019) darunter u.a. alle Ausländerbehörden, die Aufnahmeeinrichtungen, die örtlichen Gesundheitsdienst, das Bundeskriminalamt, die Polizeivollzugsbehörden, die Staatsanwaltschaften, die Bundesagentur für Arbeit etc. Daten zur Übermittlung von Daten verpflichtet (§ 6 AZRG) und zum automatisierten Zugriff auf die dortigen Daten berechtigt (§ 22 AZRG). Alle Stellen mit automatisiertem Zugriff dürfen im Register zudem "im Wege der Direkteingabe" gem. § 7 AZRG Veränderungen mit unmittelbarer Wirkung für dessen Datenbestand vornehmen. So legen in der Regel die Ausländerbehörden im Fall der erstmaligen Meldung als Asylbewerber die neuen Datensätze selbst an, bei Umzügen in den Zuständigkeitsbereich anderer Ausländerbehörden ("Zuzug") speichern sie die neue Adresse zum Datensatz dazu. Auch Änderungen des Familienstands werden von den Ausländerbehörden selbständig über den Zugang zum AZR eingepflegt ("draufgespeichert"). Der Zugang erfolgt durch eine Bearbeiterkennung auf der digitalen AZR-Oberfläche, die allen berechtigten Behörden zur Verfügung steht.

Das beschriebene Verfahren offenbart, dass eine Abfrage der Klägeradresse auf eigene Initiative des Bundesamts nicht als Mitteilung einer öffentlichen Stelle qualifiziert werden kann. Das ergibt sich schon aus der Wortlaut-Auslegung. Eine "Mitteilung" erfordert die aktive Entäußerung einer Information von einem Erklärenden in Richtung an einen Empfänger. Die Ausführung einer Online-Registerabfrage und die Übernahme der neuen Adresse in die Asylverfahrensakte stellt aber keine aktive Handlung einer anderen öffentlichen Stelle gegenüber dem Bundesamt dar, sondern ist eine Handlung der Beklagten selbst. Welche Stelle auch immer die postalische Anschrift in das AZR eingepflegt hat, bleibt passiv und bekommt von der Abfrage nicht einmal etwas mit.

Das AZR stellt auch keine öffentliche Stelle i.S.d. § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG dar. Denn das Bundesamt ist selbst die registerführende Stelle (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AZRG) und zeichnet somit für dessen Inhalt verantwortlich. Mit dem Begriff der öffentlichen Stelle kann auch nach teleologischer und systematischer Betrachtung allein eine andere öffentliche Stelle als das im AsylG ansonsten adressierte Bundesamt gemeint sein. Andernfalls würde jede interne Weitergabe einer Adresse innerhalb des Bundesamts die Voraussetzungen von § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG erfüllen und die anderen Fallgruppen aus § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG wären faktisch obsolet, da eine interne Weitergabe von Informationen wohl immer stattfinden dürfte.

Soweit darauf abgestellt wird, dass das Bundesverwaltungsamt das AZR "betreibe" und somit eine andere öffentliche Stelle sein könne, so kann selbst das nicht dazu führen, dass die somit aus dem AZR erlangte Adresse die Richtigkeitsgewähr aus § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG erwirbt. Denn die tatsächliche Richtigkeit des AZR liegt gerade nicht in der Verantwortung einer einzelnen Stelle. Vielmehr stellt es eine Informationsquelle dar, die – ähnlich Wikipedia – quasi eine Open-Source-Datenbank darstellt, in welche von verschiedenen Seiten bei entsprechender Authentifizierung Ergänzungen, Änderungen oder Neuerungen eingepflegt werden kann. Das Ausmaß an Verlässlichkeit, das von § 10 Abs. 2 AsylG gefordert ist und auch gefordert werden muss, um die scharfen Rechtsfolgen des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG zu rechtfertigen, wird bei einer solchen Quelle mit vielerlei Autoren nicht erreicht. Angesichts der Tatsache, dass die Zustellungsfiktion aus § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG eine Besonderheit und Ausnahme im Gegensatz zu sonstigen Zustellungsregelungen darstellt, ist ein restriktives Verständnis zudem geboten. [...]