VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 05.12.2019 - 13 K 2678/16.A - asyl.net: M27957
https://www.asyl.net/rsdb/M27957
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für einen in Deutschland vom Islam zum Christentum konvertierten afghanischen Mann:

Personen, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, droht in Afghanistan landesweit Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Christen, Glaubenswechsel, Konversion, Konvertiten, nichtstaatliche Verfolgung, politische Verfolgung, Apostasie, Religionsfreiheit, Nachfluchtgründe,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 28 Abs. 1a, AsylG § 3c Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Auf die Situation, die vor der Ausreise des Klägers in Afghanistan bestanden hat, kommt es nicht entscheidungserheblich an, da ihm bereits auf Grund seiner zur Überzeugung des Gerichts feststehenden Konversion zum Christentum die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. [...]

Gemessen daran steht dem Kläger ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG auf Grund einer drohenden Verfolgung aus religiösen Gründen zu. Nach der Überzeugung des Gerichts droht dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner glaubhaft vorgetragenen Konversion zum Christentum mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure. [...]

Zum Christentum konvertierten, ehemaligen Muslimen droht in ganz Afghanistan eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure. Dem können Betroffene nur entgehen, wenn sie ihren Glauben ganz verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Bereich verheimlichen. Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und fällt nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten "ungeheuerlichen Straftaten" (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30. August 2018 - UNHCR - S. 68 f. und 72 f.). Afghanische Christen sind in aller Regel vom Islam zum Christentum konvertiert, da der Islam laut Verfassung Staatsreligion Afghanistans ist. Wie viele Christen tatsächlich in Afghanistan leben, ist nicht bekannt, da diese ihren Glauben verheimlichen und sich nicht öffentlich versammeln, um zu beten. Gefahren drohen meist auch aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld, wobei Repressionen in Dorfgemeinschaft eher zu befürchten sind, als in größeren Städten. Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in der Regel schon allein deshalb nicht, weil diese sich nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. Für eine Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens besteht für christliche Afghanen keine Möglichkeit, da es keine Kirchen mehr gibt (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Auswärtiges Amt, Stand: Juli 2019 - Lagebericht - S. 11). Der Abfall vom Islam gilt als Schande für die Familienehre. Auch aus diesem Grund sind konvertierte Christen gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen.

Auf Grund des persönlichen Eindrucks, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2019 hinterlassen hat, ist das Gericht überzeugt, dass er nicht nur formell durch die Taufe, der lediglich Indizwirkung zukommt, sondern ernsthaft vom Islam zum Christentum übergetreten ist. Die Motive, die der Kläger für seinen Glaubenswechsel angegeben hat, sind nachvollziehbar und glaubhaft. Er habe sich mit dem Islam schon deshalb nicht identifizieren können, da nicht in seiner Muttersprache, sondern auf Arabisch gebetet wird. Aus den Schilderungen des Klägers ist deutlich geworden, dass ihm die Unterschiede zwischen Islam und Christentum verständlich sind und eine Distanzierung seinerseits zu seiner früheren Religion ist zu erkennen. Verstärkt wurde diese Überzeugung durch die Aussagen des Pastors der evangelischen ..., der schilderte, wie der Kläger zum christlichen Glauben fand und ihn seit der Annahme ausübt.

Auch konnte der Kläger zur Überzeugung des Gerichts seine innere Zuwendung zum neuen Glauben verdeutlichen. Er besucht regelmäßig den Gottesdienst und trifft sich auch mit befreundeten ehemaligen Muslimen, die wie er zum Christentum konvertiert sind, um über den Glauben zu sprechen und gemeinsam in der Bibel zu lesen. Die Schilderungen des Klägers wirkten nicht so, als würde er lediglich auswendig Gelerntes wiedergeben, sondern erweckten den Eindruck einer inneren Überzeugung. Er antwortete auf sämtliche Fragen überzeugend, ausführlich und detailliert, ohne dass er so wirkte, als sei er darauf aus, einen bestimmten Eindruck erwecken zu wollen.

Im Ergebnis steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger den christlichen Glauben angenommen hat, wonach ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht. Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung auch auf solchen Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Betroffene das Herkunftsland verlassen hat. [...]