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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 16.12.2019 - XIII ZB 136/19 - asyl.net: M27928
https://www.asyl.net/rsdb/M27928
Leitsatz:

Kein Transitaufenthalt in nahe am Rollfeld des Flughafens gelegener Rückführungseinrichtung:

1. Wird eine Person nicht mehr im Transitbereich, sondern direkt am Rollfeld des Hamburger Flughafen gelegenen Rückführungseinrichtung untergebracht, entspricht dies nicht den Vorgaben des § 15 Abs. 6 S. 1 AufenthG, da ihr dort das "jederzeitige, eigenständige luftseitige Verlassen" nicht möglich ist. Ein angeordneter Transitaufenthalt ist dann rechtswidrig.

2. Die Regelung des § 62b Abs 2 AufenthG, in der es um den Vollzug des Ausreisegewahrsams geht, ist auf die Unterbringung im Transitaufenthalt nicht anwendbar.

(Leitsätze der Redaktion; die Entscheidung wurde auch in der Hauptsache bestätigt, vgl. BGH, Beschluss vom 25.8.2020, Az: XIII ZB 136/19 - openJur 2020, 74322).

Schlagwörter: Flughafenverfahren, Transitraum, Rückführungseinrichtung, Haft, Transitaufenthalt, Unterbringung, Ausreisegewahrsam,
Normen: AufenthG § 15 Abs. 6 S. 1,
Auszüge:

[...]

7 Das Beschwerdegericht hat es bei der Aufrechterhaltung der Anordnung zu Unrecht nicht beanstandet, dass deren Vollzug zum Zeitpunkt seiner Entscheidung seit dem 5. November 2019 nicht mehr im Transitbereich des Flughafens oder einer den Anforderungen des § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG entsprechenden Unterkunft erfolgte. Denn die Verlegung des Betroffenen aus dem Transitbereich des Flughafens in die Rückführungseinrichtung der Freien und Hansestadt Hamburg war unzulässig.

8 a) Bei der Einführung des Flughafenasylverfahrens nach § 18a AsylG und des Transitaufenthalts nach § 15 Abs. 6 AufenthG mit jeweils reduzierten Verfahrensgarantien und Rechtsschutzmöglichkeiten hat der Gesetzgeber daran angeknüpft, dass dem Betroffenen das luftseitige Verlassen des Aufenthaltsbereichs offensteht (vgl. BR-Drucks. 224/07, S, 278; s.a. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2011 - V ZB 274/10, juris Rn. 17 und vom 11. Oktober 2012 - V ZB 154/11, juris Rn. 4). Vor diesem Hintergrund handelt es sich nach dem Willen des Gesetzgebers bei einer "Unterkunft, von wo aus seine (des Betroffenen) Abreise aus dem Bundesgebiet möglich ist" (§ 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG a.E.),'insbesondere um eine den Verlassensmöglichkeiten des Transitbereichs eines Flughafens vergleichbare "Flughafenasylunterkunft" (vgl. BR-Drucks. 224/07, S. 278). Dem Betroffenen muss die Abreise aus solch einer Unterkunft grundsätzlich jederzeit eigenständig möglich sein (vgl. HK-AuslR/Fränkel, 2. Aufl., § 15 AufenthG Rn. 24; Huber/Westphal, AufenthG, 2. Aufl., § 15 Rn. 32). § 65 AufenthG verpflichtet dementsprechend den Unternehmer eines Verkehrsflughafens, auf dem Flughafengelände (und zwar im Transitbereich, vgl. BeckOK AuslR/Kluth [Stand 1. August 2019], § 65 AufenthG Rn. 4; Bergmann/Dienelt/Bauer/Dollinger, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 65 AufenthG Rn. 3) geeignete Unterkünfte zur Unterbringung von Ausländern, die nicht im Besitz eines erforderlichen Passes oder eines erforderlichen Visums sind, bis zum Vollzug der grenzpolizeilichen Entscheidung über die Einreise bereitzustellen.

9 b) Die Rückführungseinrichtung der Freien und Hansestadt Hamburg erfüllt die Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG nicht. Unerheblich ist dabei, dass sich diese tatsächlich in unmittelbarer Nähe des Flughafens befindet. Entscheidend ist vielmehr, dass der Betroffene in einer Einrichtung untergebracht ist, deren luftseitiges Verlassen ihm nicht jederzeit eigenständig möglich ist. Das Beschwerdegericht hätte daher mit der Aufrechterhaltung der Anordnung sicherstellen müssen, dass deren weiterer Vollzug im Transitbereich des Flughafens oder einer den Anforderungen des § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG entsprechenden Unterkunft erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2014 - V ZB 189/13, juris Rn. 5).

10 c) Entgegen der Ansicht der beteiligten Behörde ergibt sich aus § 62b Abs. 2 AufenthG in der seit dem 21. August 2019 geltenden Fassung, wonach der Ausreisegewahrsam inzwischen auch in einer Unterkunft vollzogen werden kann, von der aus die Ausreise ohne Zurücklegen einer größeren Entfernung zu einer Grenzübergangsstelle möglich ist, nichts anderes. Denn hier wurde ein Transitaufenthalt nach § 15 Abs. 6 AufenthG angeordnet und kein Ausreisegewahrsam.

11 d) Die weitere Vollziehung der Anordnung ist vor diesem Hintergrund auf den Aussetzungsantrag des Betroffenen allerdings nicht einstweilen auszusetzen, sondern lediglich dahin zu beschränken, dass die weitere Vollziehung im Transitbereich des Flughafens oder einer den Anforderungen des § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG entsprechenden Unterkunft zu erfolgen hat. Eine einstweilige Aussetzung muss nur dann erfolgen, wenn eine ordnungsgemäße weitere Vollziehung ausscheidet, etwa weil sich die Behörde weigert, einen Betroffenen in eine den Anforderungen entsprechende Einrichtung zu verlegen (vgl. zu dieser Konstellation BGH, Beschluss vom 25. Juli 2014 - V ZB 137/14, juris Rn. 11). Von einer Weigerung der Behörde kann hier jedoch keine Rede sein. Denn die Verlegung des Betroffenen in die Rückführungseinrichtung diente nach den Angaben der Behörde der allgemeinen Verbesserung seiner Unterkunftssituation, sollte ihm aus Sicht der Behörde also zum Vorteil und nicht zum Nachteil gereichen. Die Behörde hat damit die jederzeitige Bereitschaft bekundet, den Betroffenen wieder in den Transitbereich oder eine den Anforderungen des § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG entsprechende Unterkunft zurückzuverbringen. [...]