VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 20.11.2019 - 33 L 467.19 A - asyl.net: M27899
https://www.asyl.net/rsdb/M27899
Leitsatz:

Zwangsmittel im asylrechtlichen Widerrufs-/Rücknahmeverfahren:

"Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 75 Abs. 1 Satz 2 AsylG gilt nicht nur für die Zwangsmittelandrohung und -festsetzung, sondern auch für die durchzusetzende Maßnahme.

Die Mitwirkungspflicht des Ausländers im asylrechtlichen Widerrufs-/Rücknahmeverfahren entfällt nicht dadurch, dass ein Widerruf aufenthaltsrechtlich voraussichtlich folgenlos bleiben würde.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im Widerrufs-/Rücknahmeverfahren eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob der Ausländer zur mündlichen oder schriftlichen Mitwirkung aufgefordert wird. Der Vorrang der mündlichen Anhörung in dem in diesem Verfahren nur entsprechend geltenden § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG greift hier nicht.

Unterlässt der Ausländer die Mitwirkung, hat die Durchsetzung im Wege des Verwaltungszwangs Vorrang vor der Entscheidung nach Aktenlage. Insoweit liegt intendiertes Ermessen vor, das eine nähere Begründung der Ermessensausübung erübrigt."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Widerrufsverfahren, Rücknahmeverfahren, Mitwirkungspflicht, Suspensiveffekt, persönliches Gespräch, Ermessen, Anhörung, Zwangsmittel,
Normen: AsylG 75 Abs. 1 S. 2, AsylG § 73 Abs. 3a S. 2, AsylG § 15 Abs. 2 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

18 Die Entscheidung, die Antragstellerin zur Mitwirkung in Form einer mündlichen Befragung aufzufordern, erweist sich jedoch als ermessensfehlerhaft. § 73 Abs. 3a Satz 2 verweist hinsichtlich der Form der Mitwirkung u.a. auf § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG, auf den allein die Antragsgegnerin den angegriffenen Bescheid stützt. Danach ist der Ausländer verpflichtet, die erforderlichen Angaben "mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich" zu machen. Ein Vorrang der mündlichen Anhörung lässt sich daraus für das Widerrufs-/Rücknahmeverfahren, in dem die zitierten Vorschriften des § 15 AsylG nur entsprechend gelten, nicht ableiten. Ein solcher Vorrang ergibt sich im Verfahren über den Asylantrag selbst, in dessen Kontext § 15 AsylG steht, zwangsläufig daraus, dass das Bundesamt grundsätzlich gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG verpflichtet ist, den Ausländer persönlich anzuhören. Im Widerrufs-/Rücknahmeverfahren besteht eine solche Pflicht jedoch nicht, so dass es einer Ermessensentscheidung bedarf, ob der Ausländer zur mündlichen oder zur schriftlichen Mitwirkung aufzufordern ist. Eine solche Ermessensentscheidung ist der Begründung des angegriffenen Bescheides nicht zu entnehmen. Die allein angeführte Begründung, "Ihre im Rahmen des Asylverfahrens gemachten Angaben" sollten überprüft werden, ist bereits unsinnig, da die Antragstellerin im Ausgangsverfahren als Minderjährige gerade nicht angehört wurde. Aber selbst davon abgesehen trägt diese Begründung nicht die Wahl der Mitwirkungsform.

19 Erweist sich bereits der Grundverwaltungsakt als rechtswidrig, ist auch für dessen Durchsetzung im Wege des Verwaltungszwangs kein Raum. Im Übrigen wäre sie allerdings nicht zu beanstanden. Nach dem Willen des Gesetzgebers hat die zwangsweise Durchsetzung der Mitwirkungspflicht Vorrang vor der Entscheidung nach Aktenlage (vgl. BT-Drs. 19/5590 S. 6 zu IV. Nr. 2 Buchst. b); ein solches intendiertes Ermessen erübrigt eine nähere Begründung der Ermessensausübung (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 8 C 17/12 –, juris Rn. 73). Gegen die Erwägungen zur Bemessung des Zwangsgeldes, auf die gemäß § 77 Abs. 2 AsylG verwiesen wird, bestehen keine Bedenken. [...]