Flüchtlingsanerkennung für einen Transmann aus Serbien:
Gegen eine glaubhaft gemachte drohende nichtstaatliche Verfolgung durch Familienmitglieder wegen Transsexualität steh Angehörigen der Minderheit der Roma, die aus prekären sozialen Verhältnissen stammen, kein wirksamer staatlicher Schutz zur Verfügung.
(Leitsätze der Redaktion; diese und weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)
[...]
Sie zählt damit zu der Personengruppe der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern (LGBT-Menschen), die in Serbien eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AsylG). So berichtet das USAußenministeriums (US Department of State, Country Report on Human Rights Practices - Serbia, 19.03.2019, S. 27), dass Homophobie und Transphobie in der serbischen Gesellschaft tief verankert seien. Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft seien häufig Bedrohungen und Hasstiraden (hate speeches) ausgesetzt. Auch Human Rights Watch (World Report 2019, Serbia/Kosovo vom 22.01.2019, S. 4) weist darauf hin, dass es in Serbien weiterhin zu Angriffen und Bedrohungen gegenüber Mitgliedern der LGBTGemeinschaft komme. Zwischen Januar und Mitte August hätte die Organisation "DA SE ZNA!" neun Zwischenfälle, insbesondere physische Übergriffe gegenüber Mitgliedern der LGBT-Gemeinschaft registriert. Auch das Auswärtige Amt (Bericht über die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland vom 03.11.2018, S. 13) berichtet, dass in der Bevölkerung und der serbisch-orthodoxen Kirche Vorurteile und Vorbehalte gegenüber Homosexuellen weit verbreitet seien und es vereinzelt zu physischen Angriffen auf offen Homosexuelle komme. [...]
Denn jedenfalls im Hinblick auf Angehörige der Roma, die zudem - wie die klagende Person - in sehr prekären familiären und sozioökonomischen Verhältnissen groß geworden sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der serbische Staat Verfolgungshandlungen, die an der sexuellen Orientierung anknüpfen, wirksam sanktionieren wird.
Die klagende Person hat in der mündlichen Verhandlung im Einklang mit ihren früheren Angaben geschildert, dass sie zuletzt in Serbien bei ihrem Großvater unter miserablen Bedingungen gelebt hat. Sie sei zwar bis zur achten Klasse zur Schule gegangen, habe danach aber vor allem "arbeiten" müssen. So habe sie mit ihrem Großvater zusammen an öffentlichen Parkplätzen und vor Ampeln Autos gewaschen. Dabei sei sie von den Pkw-Fahrerinnen und -Fahrern teilweise als "Zigeunerin" beschimpft und sogar geschlagen worden. Ihr Vater, der sie gedemütigt und angegriffen habe, habe ihr zudem häufig Geld abgenommen. Demnach gehörte die klagende Person nicht nur wegen ihrer Transsexualität zu einer von der Gesellschaft tendenziell ausgegrenzten Minderheit, sondern lebte zudem als jugendliche bzw. heranwachsende Roma aus äußerst schwierigen familiären Verhältnissen am Rande der Gesellschaft.
Aus den dem erkennenden Einzelrichter vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich, dass der serbische Staat seiner Schutzpflicht gegenüber Mitgliedern der LGBT-Gemeinschaft sowie der ethnischen Minderheiten der Roma nur unzureichend nachkommt. So berichtet Human Rights Watch (World Report 2019, a.a.O., S. 4), dass in Serbien Ermittlungen im Hinblick auf vorgefallene Übergriffe auf Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft häufig nur langsam voran kämen und Strafverfolgungsmaßnahmen selten seien. Nach dem Bericht des US-Außenministeriums zur Menschenrechtslage in Serbien vom 19.03.2019 (US Department of State, a.a.O., S. 26 f.) werden bestehende Gesetzte, die Diskriminierungen wegen sexueller Orientierung oder Gender-Identität verböten, in Serbien nicht effektiv umgesetzt. Gewalt und Diskriminierung gegenüber Mitgliedern der LGBT-Gemeinschaft seien schwerwiegende Probleme. Opfer würden sich aus Angst vor weiteren Erniedrigungen (secondary victimization) nur in wenigen Fällen an staatliche Stellen wenden. Ausweislich des Sonderbeauftragten für die Gleichstellung seien Angehörige der Volksgruppe der Roma in verschiedenen Konstellationen von Diskriminierungen betroffen. Unabhängige Beobachter und NGOs berichteten ebenfalls über anhaltende Diskriminierungen. Das Auswärtige Amt (Bericht vom 03.11.2018, a.a.O. S. 13) berichtet, dass die Polizei nicht in allen Fällen mit der gebotenen Konsequenz gegen Übergriffe auf Minderheiten (vor allem Roma und Homosexuelle) vorgehe. Anzeigen von Roma wegen Körperverletzungen führten zwar zu Gerichtsprozessen. Dennoch verfolge die Polizei Übergriffe in manchen Fällen nur zögerlich.
Nach alledem ist jedenfalls bei Personen - wie der klagenden Person -, die zwei besondere Vulnerabilitätsmerkmale aufweisen (junge Roma aus prekären Verhältnissen und abweichende sexuelle Orientierung), nicht davon auszugehen, dass eine hinreichende Zugänglichkeit zu effektiven Schutzmechanismen in Serbien gegeben ist. [...]