VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 25.07.2018 - 28 K 347.17 A - asyl.net: M27862
https://www.asyl.net/rsdb/M27862
Leitsatz:

Zur Lage transsexueller Personen in Mazedonien:

"1. Transsexuellen droht in Mazedonien keine Gruppenverfolgung.

2. Der mazedonische Staat ist willens und in der Lage, Transsexuellen Schutz vor Verfolgung zu bieten."

(Amtliche Leitsätze; diese und weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)

Schlagwörter: Mazedonien, Transsexuelle, Gruppenverfolgung, interner Schutz, sexuelle Orientierung, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

14 [...] Die Versagung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Zuerkennung des subsidiären Schutzes (1.) und der Feststellung nationaler Abschiebeverbote (2.) sowie die Abschiebungsandrohung (3.) sind rechtmäßig und verletzen die klagende Person nicht in ihren Rechten. [...]

25 [...] Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung konnte die klagende Person die Vermutung, dass ihr in ihrem sicheren Herkunftsland keine Verfolgung droht, nicht widerlegen. Es steht somit nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es beachtlich wahrscheinlich ist, dass die klagende Person vorverfolgt ausgereist ist, noch dass sie im Falle ihrer Rückkehr individuell verfolgt werden würde.

26 b) Die klagende Person unterliegt als transsexuelle Person auch keiner Gruppenverfolgung in Mazedonien. Dies konnte sie aus den soeben genannten Gründen weder durch ihren individuellen Vortrag glaubhaft machen, noch ergibt sich dies aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen zu Mazedonien. [...]

28 [...] Das Gericht verkennt nicht, dass sich die Gruppe der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgender und Intersexuellen (im Folgenden: LSBTI) in Mazedonien systematischen Diskriminierungen (Helsinki Commitee for Human Rights of the Republic of Macedonia, Annual Report on the situation in the area of human rights in the Republic of Macedonia for 2015, S. 123), aber auch Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt sieht. Die LSBTI-Community wird ausgegrenzt/marginalisiert. [...] Diese Diskriminierungen und vereinzelten Übergriffe erreichen hingegen nicht die erforderliche Verfolgungsdichte. [...]

29 Die Lage von Mitgliedern der LSBTI-Community hat sich aber in den Jahren 2017 und 2018 auch insofern verbessert, als dass seit Mitte des Jahres 2017 eine neue, offenbar progressivere Regierungskoalition in Mazedonien an der Macht ist. Der Minister für Kultur hat beispielsweise im Jahr 2017 als erster Regierungsvertreter jemals das "Skopje Pride Weekend" eröffnet. Im Jahr 2017 fand zudem die erste Operation einer Geschlechtsumwandlung statt (ILGA-Europe, LGBTI Enlargement Review 2017, S. 19). Mittlerweile kann man auch eine Umschreibung des Geschlechts im Personenstandsregister erwirken (so entschieden vom Verwaltungsgericht im September 2017, vgl. Amnesty Report Mazedonien 2017/2018, S. 3). [...] Dass man seine sexuelle Identität in Mazedonien gar nicht ausleben kann, sondern aktuellen Gefahren der Betroffenheit von Verfolgungshandlungen ausgesetzt ist, die das Maß des § 3 Abs. 1 AsylG erreichen, ist daher zum gem. § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung nicht ersichtlich. [...]

31 [...] Allein der Umstand, dass der mazedonische Staat die klagende Person vor dem Übergriff in der ersten Woche des Ramadan im Jahr 2014 – die Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens insoweit unterstellt – nicht hat schützen können, widerlegt weder seine Schutzfähigkeit noch seine Schutzwilligkeit. Dabei ist zu berücksichtigten, dass staatlicher Schutz generell nicht lückenlos sein kann und auch nicht zu sein braucht. Die Forderung nach einem derart lückenlosen Schutz ginge – wie allgemein in Bezug auf Übergriffe krimineller Art – an einer wirklichkeitsnahen Einschätzung der Effizienz staatlicher Schutzmöglichkeiten vorbei (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Februar 1986 – BVerwG 9 C 104.85 –, juris Rn. 15 und vom 3. Dezember 1985 – BVerwG 9 C 33.85 –, juris Rn. 20).

32 Der pauschale Vortrag der klagenden Person, sie sei ein paar Mal bei der Polizei gewesen, man habe ihr dort jedoch "nie so richtig geholfen", sondern man habe sie dort vielmehr belächelt, vermag die gesetzliche Vermutung ebenso nicht zu widerlegen. Zu beachten ist bezüglich der von der klagenden Person geschilderten Umstände zudem, dass seitdem mittlerweile vier Jahre vergangen sind. Denn im Hinblick auf die Schutzwilligkeit des mazedonischen Staates ist der Regierungswechsel Mitte des Jahres 2017 offenbar von ganz erheblicher Bedeutung. [...] Vor dem Machtwechsel hat es ausweislich der vorliegenden Erkenntnismittel keinen Willen der politischen Parteien gegeben, das Problem der Gewalt und Diskriminierung gegen LSBTI zu lösen (US Department of State, Macedonia 2017, Human Rights Report, S. 30). Nunmehr werden Veranstaltungen der LSBTI-Community vom Minister für Kultur und dem Premierminister besucht und sich aktiv zum Schutz der LSBTI bekannt (s.o.). Im Parlament hat sich im Jahr 2017 eine informelle fraktionsübergreifende LSBTI-Gruppe formiert. Das Bildungsministerium lässt umfangreiche Lehrmaterialien wie Schulbücher im Hinblick auf darin enthaltene Diskriminierung von LSBTI überarbeiten (US Department of State, Macedonia 2017, Human Rights Report, S. 30; ILGA-Europe, LGBTI Enlargement Review 2017, S. 18). Beispielhaft kann auch die Veränderung im Hinblick auf die Möglichkeit der Umschreibung seines Geschlechts genannt werden. [...]

33 Aus der Tatsache, dass Straftaten mit Bezug zur sexuellen Orientierung durch die Strafverfolgungsbehörden nicht immer erfolgreich aufgeklärt werden, kann ebenso nicht geschlossen werden, dass generell keine Schutzbereitschaft und -möglichkeit besteht. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Aufklärungsrate bezüglich dieser Straftaten schlechter ist als in Bezug auf Delikte mit einem anderen Hintergrund. [...]

34 Bereits seit dem Jahr 2014 gibt es zudem eine Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von "Hasskriminalität" ("hate crime"), wo es zu einer Zusammenarbeit zwischen dem Justizministerium, der Mission Skopje der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit Europa (OSZE), dem Innenministerium, der Staatsanwaltschaft, der Akademie für Richter und Staatsanwälte sowie vielen Nichtregierungsorganisationen kommt. [...]

36 d) Im Übrigen kann sich die klagende Person – die Glaubhaftigkeit ihres Vortrags unterstellt – in der Hauptstadt Skopje außerhalb ihres Heimatortes ... niederlassen. [...]