LG Osnabrück

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Zitieren als:
LG Osnabrück, Beschluss vom 12.11.2019 - 11 T 360/09 - asyl.net: M27860
https://www.asyl.net/rsdb/M27860
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit einer vorläufigen Ingewahrsamnahme zur Sicherung einer Dublin-Überstellung:

Bis zum Inkrafttreten der neuen Rechtslage durch das Zweite Ausreisepflicht-Durchsetzungs-Gesetz war eine behördliche Festnahme zur Sicherung einer Dublin-Überstellung mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig.

(Leitsätze der Redaktion, ebenso: LG Braunschweig, Beschluss vom 29.04.2019 - 8 T 133/19 - asyl.net: M27220)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Dublinverfahren, Überstellung, Überstellungshaft, vorläufige Ingewahrsamnahme, Rechtsgrundlage,
Normen: FamFG § 417, AufenthG § 2 Abs. 14 S. 3, AufenthG § 62 Abs. 5, GG Art. 104 Abs. 1 S. 1, VO 604/2013 Art. 28,
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde ist zulässig, erweist sich in der Sache aber nur hinsichtlich der Ingewahrsamnahme als begründet. Im Übrigen hat das Amtsgericht zu Recht die Abschiebungshaft und die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung angeordnet hat und auch das weitere Vorbringen im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen vermag.

1. Die durch die Ausländerbehörde vorgenommene Ingewahrsamnahme des Betroffenen am 05.06.2019 bis zum Erlass des Haftbeschlusses des Amtsgerichts vom selbigen Tag war rechtswidrig und verletzt den Betroffenen in seinen Rechten.

Der Betroffene durfte durch die Ausländerbehörde seinerzeit nicht vorläufig in Gewahrsam genommen werden, weil es für das Verfahren auf Anordnung von Haft gem. Art. 28 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (sog. Dublin III-Verordnung) keine eigenständige Rechtsgrundlage für die behördliche Freiheitsentziehung gab (Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG).

Insofern bestand eine Regelungslücke zum Zeitpunkt der vorläufigen Ingewahrsamnahme des Betroffenen. Zwar ist in § 62 Abs. 5 Satz 1 AufenthG die Ermächtigung zur vorläufigen Ingewahrsamnahme geregelt. Diese Vorschrift kann jedoch nicht ohne Weiteres für die Ingewahrsamnahme im Dublin III-Verfahren angewendet werden.

Dies folgt bereits aus der Gesetzesbegründung zu dem ab dem 21.08.2019 wirksamen neu eingeführten § 2 Abs. 14 S. 3 AufenthG, der sich am Wortlaut des § 62 Abs. 5 AufenthG orientiert. Danach sei die vorläufige Ingewahrsamnahme bzw. das Festhalten ohne vorherige richterliche Anordnung in der Dublin III-Verordnung nicht abschließend geregelt, weswegen durch die Gesetzesänderung eine solche Regelung eingeführt werde (BT-Drucksache 19/10.047, Seite 30). Die Regelungslücke konnte insbesondere auch nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 62 Abs. 5 AufenthG geschlossen werden. Diese Vorschrift findet allein im Rahmen der Abschiebung Anwendung (vgl. Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Auflage 2016, § 62 Rn. 30). Eine analoge Anwendung ist aufgrund von Art. 104 Abs. 1 GG ebenfalls nicht möglich (vgl. Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Art. 104 GG, Rn. 83).

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 05.06.2019 war jedoch rechtmäßig und verletzt den Betroffenen nicht in seinen Rechten. [...]