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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 04.10.2019 - 1 BvR 1710/18 - asyl.net: M27825
https://www.asyl.net/rsdb/M27825
Leitsatz:

Prozesskostenhilfe wegen möglichem Aufenthaltsrecht der sorgeberechtigten Mutter eines freizügigkeitsberechtigten Kindes:

1. In der Rechtsprechung der Landessozialgerichte und in der Literatur ist umstritten, ob dem sorgeberechtigten Elternteil eines wegen der Begleitung des anderen Elternteils freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Kindes ein Aufenthaltsrecht zusteht. Bei der Bewertung dieser Frage müssen auch die Wertungen des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK berücksichtigt werden. Die Anwendbarkeit von § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG (analog) ist in diesem Kontext eine ungeklärte Rechtsfrage.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Unionsbürger, Sorgerecht, gemeinsames Sorgerecht, Wanderarbeitnehmer, Arbeitnehmer, SGB II, minderjährig, Kind, Kinder, Sozialleistungen, freizügigkeitsberechtigt, Prozesskostenhilfe,
Normen: FreizügG/EU § 3 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, AEUV Art. 18 Abs. 1, FreizügG/EU § 11 Abs. 1 S. 11, GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 20 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Die angegriffenen Beschlüsse überspannen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung und verfehlen dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, weil sich die im Verfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltsrecht zusteht, als ungeklärt und schwierig darstellt.

a) In der Rechtsprechung der Landessozialgerichte und der Literatur ist umstritten, ob § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV dem sorgeberechtigten Elternteil eines wegen der Begleitung des anderen Elternteils nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers ein Aufenthaltsrecht vermitteln kann (für ein Aufenthaltsrecht: LSG NRW, Beschluss vom 30. November 2015 - L 19 AS 1713/15 B ER -, juris, Rn. 15 und Beschluss vom 1. August 2017 - L 19 AS 1131/17 B ER -, juris, Rn. 41 m.w.N. sowie Beschluss vom 30. Oktober 2018 - L 19 AS 1472/18 B ER -, juris, Rn. 28 ff.; ebenso Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 11 FreizügG/EU Rn. 38, 39 und Oberhäuser, in: NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, FreizügG/EU § 11 Rn. 57 f.; ablehnend dagegen: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Mai 2017 - L 31 AS 1000/17 B ER -, juris, Rn. 5, LSG NRW, Beschluss vom 27. Juli 2017 - L 21 AS 782/17 B ER -, juris, Rn. 43 und wohl auch Hailbronner, in: AuslR, Freizügigkeitsgesetz/EU § 11 Rn. 38 <März 2017>). Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hierzu ist nicht ersichtlich.

b) Die Frage nach der Anwendbarkeit von § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist danach eine ungeklärte Rechtsfrage. Sie ist auch als "schwierig" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einzustufen, da sich die vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen aufgeworfene Frage der Reichweite des Diskriminierungsverbots des Art. 18 AEUV, insbesondere seine hier nur mittelbare Anwendung weder aus der hierzu vorliegenden Rechtsprechung noch aus den gesetzlichen Regelungen ohne Weiteres beantworten lässt. Hinzu kommt, dass die Frage nach dem Aufenthaltsrecht sorgeberechtigter Angehöriger eines minderjährigen, freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers auch die Wertungen der Art. 6 GG und Art. 8 EMRK berücksichtigen muss. [...]