VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Urteil vom 24.04.2019 - 13 K 3084/17.A - asyl.net: M27800
https://www.asyl.net/rsdb/M27800
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für einen Konvertiten aus dem Irak:

Christen muslimischer Herkunft droht im Irak Verfolgung aus religiösen Gründen. Eine innerstaatliche Schutzmöglichkeit besteht nicht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Irak, Konvertiten, Christen, Zentralirak, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Die Furcht des Klägers vor Verfolgung ist auch begründet, weil ihm im Fall der Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a Abs. 1 und 2 AsylG drohen, die gemäß § 3a Abs. 3 AsylG an Verfolgungsgründe i.S.d. § 3b Abs. 1 AsylG anknüpfen. Das Vorbringen des Klägers begründet die Furcht vor einer Verfolgung in seinem Heimatland aufgrund der Konvertierung vom Moslem zum Christ.

Zwar besteht Religions- und Glaubensfreiheit nach Art. 2 Abs. 2 der Verfassung. Trotzdem ist in Art. 2 Abs. 1 geregelt, dass der Islam die Staatsreligion ist und die Hauptquelle der Gesetzgebung (vgl. Auswärtiges Amt v. 12. Januar 2019, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand: Dezember 2018). Weiter ergibt sich aus dem Bericht, dass jedoch immer wieder Angriffe auf Priester, christliche Einrichtungen und Kirchen stattfinden. Zwar besteht ein gesetzlicher Schutz auf religiöse Minderheiten, aber es bestehen Vorbehalte durch die Scharia ("religiöses Gesetz", vgl. Wikipedia unter Scharia). Weiter wird in dem Bericht ausgeführt, dass der faktische Einfluss der Regierung und ihrer Sicherheitsorgane auf ihre Milizen, die formal unter Regierungskontrolle stehen und staatliche Zahlungen erhalten, nicht zuverlässig sicherzustellen ist. Gewalttaten gegen Zivilisten, auch von Sicherheitskräften und Milizen, erfolgen. Die Milizen sind oft der verlängerte Arm politischer Akteure, sodass die Anwendung bestehender Gesetze nicht gesichert ist (vgl. Auswärtiges Amt vom 12. Januar 2012, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand: Dezember 2018).

Christliche Konvertiten halten oft ihren neuen Glauben geheim, weil sie riskieren, von ihren Familienangehörigen, Clanführern oder der Gesellschaft um sie herum bedroht zu werden (vgl. Open Doors Deutschland e. V., Irak, Berichtzeitraum 1. November 2017 bis 31. Oktober 2018, S. 2/17). Weiter heißt es in dem Bericht auch, dass die Scharia die Hauptquelle für die Rechtsprechung ist. Sie verbietet die Konversion von Muslimen hin zu anderen Religionen. Daher werden Christen mit muslimischem Hintergrund auf Ebene des Staates diskriminiert, wenn ihr neuer Glaube bekannt wird. Es ist ihnen nicht möglich, ihre Religion in ihren Ausweispapieren ändern zu lassen und ihre Kinder werden automatisch als Muslime registriert. Die fortwährende Islamisierung des gesamten Landes, die Kurdengebiete eingeschlossen, zeigt sich auch bei der Umsetzung des Gesetzes zur religiösen Registrierung im Jahr 2015 und im Verbot des Verkaufs von Alkohol im Oktober 2016 (vgl. Open Doors Deutschland e.V., a.a.O., S. 17/18, christliche Konvertiten).

Im selben Bericht unter Ausblick für Christen heißt es: "Basierend auf der Prognose der EIU wird nicht erwartet, dass die Verfolgung durch Islamische Unterdrückung abnehmen wird ...

Auch in der Politik und im gesellschaftlichen Leben wird die Rolle des Islams weiterhin stark betont. Dies beschränkt und isoliert Christen in enge gesellschaftlich-politische Grenzen. Folglich wird davon ausgegangen, dass die islamische Unterdrückung weiterhin eine Bedrohung für die Christen im Irak darstellt, die zu einem hohen Maß an Angst führt und Christen zur Auswanderung ermutigt." (vgl. Open Doors Deutschland e. V., a.a.O., S. 22/23).

Eine Fluchtalternative im Irak ist nicht ersichtlich. "Christen muslimischer Herkunft können in einer muslimischen Gegend weder über ihren Glauben sprechen oder christliches Material/Literatur besitzen, weil sie dann mit Feindseligkeit und Gewalt zu kämpfen haben würden. Zusätzlich dazu, dass sie als Abtrünnige gelten, wird es als aktive Missionierung und Verrat gesehen, wenn man über den christlichen Glauben redet. Der Druck vor allem im Zentral- und im Südirak ist hoch und ist auch in den Kurdengebieten in einer milderen Form existent." (vgl. Open Doors Deutschland e.V., a.a.O., S. 15/16).

Wenn der Glaube bekannt wird, sind sie - im besten Fall - Diskriminierung ausgesetzt. Aber es kann in den zentralen und südlichen Regionen des Iraks auch einem Todesurteil gleichkommen (manchmal auch in den Kurdengebieten ...), (vgl. (Open Doors Deutschland e. V., a.a.O., S. 17).

Hinzu kommt, dass auch in den kurdischen Gebieten aufgrund des Zuzugs gewisse Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um dort dauerhaft bleiben zu können (vgl. Auswärtiges Amt v. 12. Januar 2019, a.a.O.).

Da bereits aus den vorangenannten Gründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, kann dahinstehen, ob es auch weitere Gründe dafür gibt. [...]