VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 21.01.2019 - A 15 K 955/17 - asyl.net: M27782
https://www.asyl.net/rsdb/M27782
Leitsatz:

Abweisung der Klage eines Vaters von drei Kindern aus China:

1. Da alle drei Kinder in Deutschland geboren wurden und leben, die Zwei-Kind-Politik aber auf eine Bevölkerungskontrolle innerhalb Chinas gerichtet ist, droht keine Verfolgung. Darüber hinaus würden die chinesischen Behörden wahrscheinlich nichts von der Vaterschaft erfahren, da er mit der Mutter der Kinder zwar zusammenlebt, aber nicht verheiratet ist.

2. Den Kindern und ihrer Mutter wurde zwar subsidiärer Schutz zuerkannt, jedoch kann er davon keinen Schutzstatus für sich ableiten, da eine eheähnliche Beziehung dafür nicht ausreicht und die Familie nicht schon in China bestand.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: China, Ein-Kind-Politik, Zwei-Kind-Politik, Familienflüchtlingsschutz, eheähnliche Lebensgemeinschaft, Elternasyl, subsidiärer Schutz,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4, AsylG § 26,
Auszüge:

[...]

a) Zwar ist dem Berichterstatter aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnismittel bekannt, dass die chinesische Familienpolitik verheerende Auswirkungen mit sich bringt. Seit Anfang 2016 sieht diese vor, dass verheiratete Frauen in China in der Regel nur zwei Kinder bekommen dürfen. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften kann zu empfindlichen Geldbußen führen. Wenn das Bußgeld nicht bezahlt wird, darf eine Eintragung des dritten oder weiteren Kindes in das Haushaltsregister (Hukou) nicht vorgenommen werden. Es gibt zudem auch Berichte über Kinder, die als "Strafe" für Verstöße gegen die Familienplanungspolitik der chinesischen Regierung den Familien weggenommen werden. Zwangsabtreibungen in fortgeschrittenen Schwangerschaftsmonaten, sowie auch Zwangssterilisation können ebenfalls Folgen eines Verstoßes gegen diese Politik darstellen. Auch unverheiratete Frauen, die Kinder bekommen, sind schwerwiegenden Eingriffen ausgesetzt. Zwar ist es unverheirateten Frauen gesetzlich nicht untersagt, Kinder zu bekommen. Allerdings sieht die Verwaltungspraxis hierzu Einschränkungen vor, wie etwa die Verweigerung des Eintrags in ein Haushaltsregister. Eine fehlende Eintragung im Haushaltsregister hat Auswirkungen u.a. auf die Möglichkeit des freien Schulbesuchs, freier medizinischer Versorgung und anderer sozialer Leistungen. (Zu alledem siehe den Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik China vom 14.12.2018, Stand Oktober 2018, S. 22 f.; siehe auch die Kurzinformation der Staatendokumentation zur Ein-Kind-Politik vom 30.10.2015; ausführlich zur chinesischen Zwei-Kind-Politik siehe auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.09.2016, A 11 S 1125/16 - juris -, mit Bezug auf VG Freiburg, Urteil vom 16.07.2015, A 6 K 786/14).

b) Doch auch unter Berücksichtigung der schwierigen Situation der von der chinesischen Familienpolitik betroffenen Familien kommt eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten des Klägers nicht in Betracht. Ihm droht keine Verfolgung in seinem Herkunftsland. Eine solche Verfolgung würde allenfalls für seine Kinder und seine Partnerin in Betracht kommen, die durch Bescheid vom 19.12.2016 bereits den subsidiären Schutzstatus erhalten haben. Für den Kläger hingegen ist nicht ersichtlich, dass diesem die Verfolgung in China aufgrund seiner drei in Deutschland geborenen Kinder droht. Dagegen spricht zunächst der Zweck der chinesischen Familienplanungspolitik, die darauf ausgerichtet ist, das Bevölkerungswachstum in China zu kontrollieren. Im Falle einer Abschiebung nur des Klägers nach China wird dieser Zweck nicht tangiert, da sich die drei Kinder in einem solchen Fall außerhalb Chinas aufhalten würden. Hinzu kommt, dass der Kläger mit der Mutter der drei Kinder nicht verheiratet ist. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass die chinesischen Behörden im Falle einer Abschiebung von der Vaterschaft Kenntnis erlangen würden. [...]

Die Gewährung subsidiären Schutzes kommt auch unter dem Gesichtspunkt des Familienasyls nach § 26 AsylG nicht in Betracht. Der Kläger kann weder von seiner Partnerin (1), noch von seinen in Deutschland geborenen Kindern (2) einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ableiten.

1) Nach § 26 Abs. 1 S. 1 AsylG, welcher auch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus anwendbar ist (§ 26 Abs. 5 AsylG), wird dem Antragsteller der subsidiäre Schutzstatus anerkannt, wenn seinem Ehegatten oder Lebenspartner bereits unanfechtbar der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde, die Ehe oder die Lebenspartnerschaft schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Ehegatte oder Lebenspartner politisch verfolgt wird, der Antragsteller vor Anerkennung seines Ehegatten oder Lebenspartners als Asylberechtigten eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und die Anerkennung des Ehegatten oder Lebenspartners als Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es besteht schon keine Ehe oder Lebenspartnerschaft im Sinne des § 26 Abs. 1 AsylG.

Als "Ehe" im Sinne des § 26 Abs. 1 AsylG ist die mit Eheschließungswillen eingegangene staatlich anerkannte Lebensgemeinschaft gemeint (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1992 - 9 C 61/91 = NVwZ 1993, 792). Maßgeblich für die Frage, ob eine Ehe besteht oder nicht, ist das Recht des Herkunftsstaates (vgl. BeckOK AuslR, AsylG, § 26 Rn. 8). Eine Lebenspartnerschaft im Sinne der Vorschrift ist eine nach dem Recht des Herkunftsstaates eingegangene, dort staatlich anerkannte Lebenspartnerschaft (BeckOK, a.a.O., Rn. 8a). Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Lebenspartnerschaft im Herkunftsstaat müssen denen des Gesetzes über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz - LPartG) in wesentlichen Zügen ähneln. Die Lebenspartnerschaft muss also auf Dauer angelegt sein und etwa wechselseitige Unterhaltspflichten kennen (BeckOK, a.a.O.). Bisher nicht anerkannte Formen der "Ehe", beispielsweise eine nach religiösem Ritus eingegangene, aber nicht staatlich anerkannte Ehe oder eine nicht staatlich anerkannte eheähnliche Lebensgemeinschaft, fallen damit nicht unter den Begriff der Lebenspartnerschaft im Sinne des § 26 Abs. 1 AsylG. Ausnahmen sind allenfalls denkbar für gleichgeschlechtliche Paare, wenn die gleichgeschlechtliche Partnerschaft Anlass für die Verfolgung ist, die Lebensgemeinschaft im Verfolgerstaat bestand und die Bereitschaft zur Eingehung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet besteht (BeckOK, a.a.O.).

Danach besteht hier keine Ehe und keine Lebenspartnerschaft. Der Kläger hat selbst dargelegt, dass er mit der Mutter der drei Kinder weder in Deutschland noch in China verheiratet ist. Auch eine andere staatlich anerkannte Form der Lebenspartnerschaft hat der Kläger nicht geltend gemacht. Er gibt lediglich an, mit der Mutter der drei Kinder in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu leben. Dies reicht nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht aus, um eine Lebenspartnerschaft im Sinne des § 26 Abs. 1 AsylG zu begründen.

2) Nach § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG können die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt werden, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist, die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben, die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben. Dies gilt entsprechend auch für den Fall der Zuerkennung subsidiären Schutzes, § 26 Abs. 5 AsylG.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Familie des Klägers bestand im Verfolgerstaat noch nicht (vgl. § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AsylG). Die drei Kinder des Klägers sind allesamt in Deutschland geboren, nachdem der Kläger seinen ersten Asylantrag gestellt hat. [...]