BGH

Merkliste
Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 22.08.2019 - V ZB 179/17 - asyl.net: M27730
https://www.asyl.net/rsdb/M27730
Leitsatz:

Isolierter Feststellungsantrag auf Rechtswidrigkeit der Haft unzulässig; Feststellunginteresse auch nach Aufhebung des Haftbeschlusses:

1. Das Feststellungsinteresse nach Aufhebung des Haftbeschlusses durch das Landgericht auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft besteht in der Genugtuung, die Betroffene durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft erfahren sollen. Dem steht nicht entgegen, dass keine Zahlung einer Entschädigung erfolgt.

2. Ein isolierter Feststellungsantrag auf Rechtswidrigkeit der Haft ist unzulässig, dieser kann nur im  Zusammenhang mit einem Beschwerde- oder Haftaufhebungsverfahren beantragt werden.

3. Ein Rechtsmittel ist nicht deshalb unzulässig, weil die aktuelle Anschrift des Betroffenen nicht angegeben ist. Das Fehlen dieser Angabe führt nur dann zur Unzulässigkeit, wenn der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens andernfalls gefährdet ist oder die fehlende Angabe der ladungsfähigen Anschrift Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten erlaubt.

4. Die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens ist auch dann von der Prozessvollmacht der Verfahrensbevollmächtigten umfasst, wenn eine etwaige Entschädigung für die rechtswidrig erlittene Abschiebungshaft zu deren Bezahlung verwendet wird.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Beschwerde, Feststellungsantrag, isolierter Feststellungsantrag, Rechtswidrigkeit, Zulässigkeit, Rechtsmissbrauch, Haftbeschluss, Entschädigung, Beschwerdeverfahren, ladungsfähige Anschrift, Prozessbevollmächtigte,
Normen: FamFG § 11 S. 5, ZPO § 81, FamFG § 62 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

b) Das Rechtsmittel des Betroffenen ist nicht deshalb unzulässig, weil seine aktuelle Anschrift nicht angegeben worden ist. Das Fehlen dieser Angabe führt nämlich nach der Rechtsprechung des Senats nur dann zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, wenn der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens andernfalls gefährdet ist oder die fehlende Angabe der ladungsfähigen Anschrift Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubt (Senat, Beschlüsse vom 20. November 2014 - V ZB 54/14, InfAuslR 2015, 104 Rn. 5 und vom 18. Februar 2016 - V ZB 74/15, NVwZ-RR 2016, 635 Rn. 5). Diese Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor. Aus dem von der beteiligten Behörde zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 1987 (IVb ZR 4/87, BGHZ 102, 332) ergibt sich nichts Anderes (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 20. November 2014 - V ZB 54/14, aaO).

c) Die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens für den Betroffenen durch dessen Verfahrensbevollmächtigte ist von der vorgelegten umfassenden Prozessvollmacht gedeckt.

aa) Der Verfahrensbevollmächtigte der beteiligten Behörde begründet seine gegenteilige Auffassung mit der Annahme, der Betroffene sei mit der in seinem Namen erfolgten Einlegung der Rechtsbeschwerde nicht einverstanden. Er wisse davon überhaupt nichts und solle davon auch nichts erfahren. Eine etwa erstrittene Ersatzleistung werde nicht dem Betroffenen, sondern nur den in seinem Namen tätig werdenden vorinstanzlichen Rechtsanwälten zugutekommen. Im Hinblick darauf sei die von den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde von ihrer Vollmacht nicht gedeckt, damit rechtsmissbräuchlich und deshalb unzulässig.

bb) Hieraus ergibt sich die geltend gemachte Überschreitung ihrer Prozessvollmacht durch die Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen nicht. Diese sind nach § 11 Satz 5 FamFG, § 81 ZPO zur umfassenden Rechtsverteidigung des Betroffenen ermächtigt. Das schließt den Antrag ein, gemäß § 62 FamFG festzustellen, dass die Entscheidung des Amtsgerichts ihn in seinen Freiheitsrechten verletzt hat. Gegenstand und Zweck der damit angestrebten Feststellung ist nicht die Zahlung einer Entschädigung, sondern die Genugtuung, die der Betroffene dadurch soll erfahren können, dass ein Gericht die Rechtswidrigkeit der vollzogenen Freiheitsentziehung feststellt. Es liegt auf der Hand, dass ein Betroffener, der einem Rechtsanwalt eine Prozessvollmacht erteilt, Interesse an dieser Genugtuung hat, wenn ihm die Freiheit rechtswidrig entzogen worden ist. Daran ändert es nichts, wenn eine etwaige Entschädigung für die rechtswidrig, erlittene Abschiebungshaft, deren Geltendmachung durch die im Verfahren nach § 62 FamFG getroffene Feststellung erleichtert werden kann, zur Bezahlung der tätig gewordenen Rechtsanwälte verwendet wird. [...]

bb) Die angestrebte Feststellung, dass ihn der Beschluss des Amtsgerichts vom 2. Juni 2017 in seinen Rechten verletzt hat, konnte der Betroffene entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht mit einem isolierten Feststellungsantrag bei dem Amtsgericht erreichen. Ein solcher Antrag wäre nämlich mangels Feststellungsinteresses unzulässig; denn das Gesetz stellt mit § 62 Abs. 1 FamFG eine spezielle Rechtsschutzmöglichkeit bereit, mit der der Betroffene eine Klärung der Rechtmäßigkeit der gegen ihn angeordneten Haft erreichen kann. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Haft kann aber nicht unabhängig von einem Beschwerde- oder Haftaufhebungsverfahren, sondern nur in dessen Rahmen beantragt werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 - V ZB 116/10, FGPrax 2011, 143 Rn. 5-8, vom 24. September 2015 - V ZB 3/15, InfAuslR 2016, 56 Rn. 11, vom 18. Februar 2016 - V ZB 74/15, NVwZ-RR 2016, 635 Rn. 10 und vom 9. Mai 2019 - V ZB 12/18, juris Rn. 5). Ein solcher Antrag analog § 62 Abs. 1 FamFG kann neben dem mit der Beschwerde verfolgten Ziel einer Aufhebung der Haftanordnung auch für den Fall gestellt werden, dass die Freiheitsentziehung durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts beendet wird (Senat, Beschluss vom 30. August 2012 - V ZB 12/12, InfAuslR 2013, 37 Rn. 5). [...]