Dublin-Haft vor Inkrafttreten des 2.AusreisepflichtDurchsetzungsG rechtswidrig; zur Beteiligung der anwaltlichen Vertretung:
1. Vor dem Inkrafttreten des 2.AusreisepflichtDurchsetzungsG existierte keine rechtliche Grundlage für eine behördliche Festnahme zur Sicherung einer Dublin-Überstellung. Zwar ist in § 62 Abs. 5 S. 1 AufenthG die Ermächtigung der vorläufigen Ingewahrsamnahme geregelt. Diese konnte jedoch nicht für die Ingewahrsamnahme im Dublin-Verfahren angewendet werden.
2. Das Recht Betroffener auf ein faires Verfahren ist verletzt, wenn das Gericht erstmalig im Rahmen der richterlichen Anhörung zur Haft versucht, die anwaltliche Vertretung telefonisch zu erreichen und eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlässt. Denn dadurch ist nicht sichergestellt, dass von der Nachricht Kenntnis genommen wird, vor allem wenn nach dem erfolglosen Anruf unmittelbar mit der Anhörung begonnen wird, da dann bereits aus tatsächlichen Gründen keine Möglichkeit besteht, den Termin wahrzunehmen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Danach ist das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt. Dem Gericht war bereits durch den behördlichen Antrag, in dem auf die rechtsanwaltliche Vertretung hingewiesen worden war, bekannt, dass der Betroffene durch Rechtsanwalt O. vertreten wird, weswegen dieser ordnungsgemäß zur Anhörung hätte geladen werden müssen. Der Haftrichter muss dafür Sorge tragen, dass der Rechtsanwalt von dem Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann (BGH, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10 -, juris; BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2018- V ZB 69/18 -, juris). Dies ist dann nicht der Fall, wenn das Gericht erstmalig im Rahmen der Anhörung versucht, den Rechtsanwalt telefonisch zu erreichen. Selbst wenn auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen wird, ist nicht sichergestellt, dass der Rechtsanwalt hiervon unmittelbar Kenntnis nimmt. Dies gilt umso mehr, als dass das Gericht erst im Rahmen der Anhörung versucht hatte, den Rechtsanwalt zu kontaktieren und unmittelbar im Anschluss den Betroffenen anhörte. Wird unmittelbar nach dem erfolglosen Anruf mit der Anhörung begonnen, ist es bereits aufgrund des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs ausgeschlossen, dass der Rechtsanwalt Kenntnis hat. Der Rechtsanwalt hatte mithin bereits aus tatsächlichen Gründen keine Möglichkeit, den Termin wahrzunehmen, weswegen er auch nicht über sein Teilnahmerecht hätte disponieren können (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10 -, juris). Über die Anordnung von Haft hätte somit allein vorläufig im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 427 FamFG) entschieden werden dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18 -, juris), und es hätte ein neuer Anhörungstermin bestimmt werden müssen. [...]
Die vorläufige Ingewahrsamnahme des Betroffenen durch die Behörde war rechtswidrig. Zum Zeitpunkt der Festnahme am 8. Juli 2019 bestand keine entsprechende gesetzliche Regelung, weswegen die behördliche Handlung ohne Rechtsgrundlage erfolgte. Dies folgt bereits aus der Gesetzesbegründung zu dem ab 21.08.2019 wirksamen neu eingeführten § 2 Abs. 14 S. 3 AufenthG, der sich an dem Wortlaut des § 62 Abs. 5 AufenthG orientiert. Danach sei die vorläufige Ingewahrsamnahme bzw. das Festhalten ohne vorherige richterliche Anordnung in der Dublin-III- Verordnung nicht abschließend geregelt, weswegen durch die Gesetzesänderung eine solche Regelung eingeführt werde (BT-Drucksache 19/10.047 Seite 30). Die Regelungslücke konnte insbesondere auch nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 62 Abs. 5 AufenthG geschlossen werden. Diese Vorschrift findet allein im Rahmen der Abschiebung Anwendung (Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Auflage 2016, § 62 Rn. 30). [...]