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VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 11.06.2019 - Au 1 K 17.31444 - asyl.net: M27689
https://www.asyl.net/rsdb/M27689
Leitsatz:

Keine Verfolgungsgefahr in Äthiopien wegen exilpolitischer Betätigung für die OLF:

1. Seit dem Regierungswechsel droht heute wegen Unterstützung der OLF oder Mitgliedschaft in der Exilorganisation der TBOJ/UOSG in Äthiopien keine Verfolgung mehr.

2. Für junge arbeitsfähige Männer mit familiären Verbindungen in Äthiopien besteht kein Abschiebungsverbot aufgrund der schlechten humanitären Lage, da davon auszugehen ist, dass eine Existenzsicherung - wenn auch auf niedrigem Niveau - möglich ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Äthiopien, Oromo, OLF, TBOJ/UOSG, Exilpolitik,
Normen: AsylG § 3, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

(1) Es kann offen bleiben, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien im Jahr 2013 auf Grund der Geschehnisse, die er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt geschildert hat, bereits verfolgt wurde oder von Verfolgung bedroht war und ob er deshalb die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen kann. Denn selbst wenn man dies zu seinen Gunsten annimmt, sprechen infolge der grundlegenden Änderungen der politischen Verhältnisse in Äthiopien nunmehr stichhaltige Gründe gegen die Wiederholung einer solchen Verfolgung, so dass die Beweiserleichterung nicht greift (BayVGH, U.v. 13.2.2019 - 8 B 17.31645).

Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Unter Zugrundelegung dieser positiven Entwicklung ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf Grund der von ihm angegebenen früheren vermeintlichen oppositionellen Tätigkeit und Flucht noch Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für den Fall einer früheren Unterstützung der OLF durch die Teilnahme an einer Demonstration in Äthiopien verfolgt werden könnte. Vor allem auf Grund der Tatsache, dass auch die OLF von der Terrorliste gestrichen wurde, Tausende von politischen Gefangenen freigelassen wurden und in den vergangenen Monaten sogar ehemals führende Oppositionspolitiker unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt sind, spricht alles dafür, dass auch der Kläger selbst im Falle einer eventuellen früheren Verfolgung im Falle seiner Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird (vgl. hierzu BayVGH a.a.O.). Beim Kläger kommt hinzu, dass er letztlich auch vor seiner Ausreise politisch nicht aktiv war. Er hat nur an einigen wenigen Demonstrationen teilgenommen, sich dabei nie exponiert oder sonstwie auffällig verhalten. Ein über die einmalige Verhaftung hinausgehendes Interesse des äthiopischen Staates an seiner Person bestand somit bereits vor seiner Ausreise nicht.

(2) Auch die exilpolitische Tätigkeit des Klägers in Deutschland für die der OLF nahestehenden TBOJ/UOSG ist infolge der Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nicht geeignet, eine Furcht vor Verfolgung zu begründen. Es kann nicht mehr angenommen werden, dass äthiopische Staatsangehörige auf Grund ihrer exilpolitischen Tätigkeit, etwa weil sie - wie der Kläger - einfaches Mitglieder TBOJ/UOSG sind oder waren oder weil sie diese Organisation durch die Teilnahme an einer oder mehrerer Demonstrationen oder Versammlungen unterstützt haben, im Falle ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (BayVGH a.a.O. m.w.N.). [...]

3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich. [...]

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Gefahr liefe, in Äthiopien auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde, gibt es nicht in ausreichendem Maße. Es wird dabei nicht verkannt, dass die Lebensumstände in Äthiopien äußerst schwierig sind. Ausweislich des Lageberichts des Auswärtigen Amts werden Sozialleistungen von der äthiopischen Regierung nicht erbracht (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 22. März 2018, Stand: Februar 2018, S. 23). Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Äthiopien ist bei etwa 92 Mio. Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 410 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt (Platz 174 von 188 im Human Development Index). Ein Großteil der Bevölkerung lebt unter der absoluten Armutsgrenze. Etwa 77% der Bevölkerung hatten im Jahr 2011 weniger als zwei US-Dollar pro Tag zur Verfügung, bei 39 % waren es weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag (absolute Armutsgrenze). Für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wäre jedoch notwendig, dass der Kläger durch eine Rückführung in sein Heimatland einer Extremgefahr ausgesetzt würde. Dies kann nur angenommen werden, wenn er im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt sein würde (BVerwG v. 17.10.1995, BVerwGE 99, 324; v. 19.11.1996, BVerwGE 102, 249 sowie v. 12.7.2001, BVerwGE 115, 1).

Für eine solche Extremgefahr liegen selbst unter Berücksichtigung der aktuell äußerst schwierigen wirtschaftlichen und humanitären Bedingungen in Äthiopien keine ausreichenden Anhaltspunkte vor.

Der Kläger ist ein junger, erwerbsfähiger und gesunder Mann. Er ist mit den Lebensumständen und Gegebenheiten in Äthiopien, wo er den Großteil seines Lebens verbracht hat, vertraut. Es ist auch davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr auf familiäre Verbindungen zurückgreifen kann. Auch wenn der Kläger aktuell keinen Kontakt mit seinen Verwandten in Äthiopien hat, so spricht letztlich nichts für die Annahme, sie alle hätten das Land verlassen oder wären verstorben. Der Kläger war zudem auch vor seiner Ausreise in der Lage, durch eine selbstständige Tätigkeit seinen Lebensunterhalt zu sichern. Es ist nicht davon auszugehen, dass ihm dies im Falle einer Rückkehr auf zumutbare Weise nicht wieder gelingen sollte. [...]