VGH Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.09.2019 - A 4 S 788/19 - Asylmagazin 12/2019, S. 421 - asyl.net: M27684
https://www.asyl.net/rsdb/M27684
Leitsatz:

30-tägige Ausreisefrist nach Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig ist rechtswidrig:

"Will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Aufklärungslast hinsichtlich der tatsächlichen Umstände im Abschiebezielstaat rechtsmissbräuchlich mit Hilfe eines "30-Tage-Tricks" auf das Verwaltungsgericht abwälzen, kann § 37 Abs. 1 AsylG analog angewendet werden [unter Bezug auf BVerwG, Urteil vom 15.01.2019 - 1 C 15.18 - Asylmagazin 4/2019, S. 113 ff. - asyl.net: M27051]."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Ausreisefrist, Zweitantrag, internationaler Schutz in EU-Staat, Unzulässigkeit, 30-Tage-Frist,
Normen: AsylG § 37 Abs. 1, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Das Verwaltungsgericht hat im angegriffenen Urteil nichts hiervon Abweichendes entschieden. Vielmehr hält es genau wie das Bundesverwaltungsgericht die Praxis des Bundesamtes, bei Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Abschiebungsandrohung unter Rückgriff auf § 38 Abs. 1 AsylG mit einer 30-tägigen Ausreisefrist zu verbinden, für rechtswidrig. Auch soweit es entschieden hat, wegen Rechtsmissbrauchs sei hier § 37 Abs. 1 AsylG analog anzuwenden, weicht es nicht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Denn dieses hat entschieden, dass der Anwendungsbereich oder die Wirkungen des § 37 Abs. 1 AsylG sich bei einer Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht im Wege einer teleologischen Reduktion beschränken lassen. Die Eigenart der teleologischen Reduktion bestehe - als Gegenstück zur Analogie - darin, dass sie die auszulegende Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für unanwendbar hält, weil Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen. Ausdrücklich weist das Bundesverwaltungsgericht ergänzend darauf hin, dass es dem Richter nicht verboten sei, "das Recht fortzuentwickeln". Anlass zu richterlicher Rechtsfortbildung bestehe insbesondere "dort, wo Programme ausgefüllt, Lücken geschlossen, Wertungswidersprüche aufgelöst werden oder besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung getragen wird." Wendet das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil also aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls bei mangelhafter bundesamtlicher Sachverhaltsaufklärung zur Lückenschließung § 37 Abs. 1 AsylG analog an, um eine rechtsmissbräuchliche Umgehung von dessen Wirkungen zu verhindern, fortentwickelt es das Recht im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts und setzt sich gerade nicht zu dessen Rechtsprechung in Widerspruch. Eine Berufungszulassung wegen Divergenz scheidet damit aus. [...]