Lebensunterhaltssicherung auch bei fester und regelmäßiger Unterstützung durch Dritte:
"Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ist dahin auszulegen, dass mit dem in dieser Bestimmung verwendeten Begriff "Einkünfte" nicht ausschließlich "eigene Einkünfte" desjenigen, der die Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten beantragt, gemeint sind, sondern dieser Begriff auch Mittel umfasst, die diesem Antragsteller von einem Dritten zur Verfügung gestellt werden, sofern sie unter Berücksichtigung der individuellen Situation des betreffenden Antragstellers als fest, regelmäßig und ausreichend angesehen werden."
(Rechtliche Schlussfolgerung des Gerichtshofs)
[...]
17 Am 27. Dezember 2016 stellte X einen Antrag auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten. Zur Unterstützung dieses Antrags legte er insbesondere als Nachweis für feste, regelmäßige und ausreichende Existenzmittel Arbeitsverträge, einen Steuerbescheid und Gehaltsabrechnungen vor, die auf den Namen seines Bruders lauteten. Darüber hinaus legte X ein von seinem Bruder unterzeichnetes Dokument vor, in dem sich dieser verpflichtete, dafür zu sorgen, dass "der Betreffende gemäß Art. 15bis des [Ausländergesetzes] über stabile, regelmäßige und genügende Existenzmittel für sich selbst und die Familienmitglieder zu seinen Lasten verfügt, so dass die öffentlichen Behörden nicht für sie aufkommen müssen". [...]
25 Gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/109 verlangen die Mitgliedstaaten von dem Drittstaatsangehörigen den Nachweis, dass er für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen. Die Mitgliedstaaten beurteilen diese Einkünfte anhand ihrer Art und Regelmäßigkeit und können die Höhe der Mindestlöhne und -renten beim Antrag auf Erteilung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten berücksichtigen.
26 Da Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/109 keinerlei Verweisung auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten enthält, ist der in dieser Bestimmung verwendete Begriff "Einkünfte" als ein autonomer Begriff des Unionsrechts aufzufassen und – unabhängig von den Wertungen in den Mitgliedstaaten – im gesamten Gebiet der Union einheitlich auszulegen, wobei der Wortlaut der genannten Bestimmung sowie die Ziele der Regelung, zu der sie gehört, und der Zusammenhang, in dem diese Bestimmung steht, zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. November 2017, Maio Marques da Rosa, C-306/16, EU:C:2017:844, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Was erstens den Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a. der Richtlinie 2003/109 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass in der spanischen, der englischen, der französischen und der italienischen Sprachfassung dieser Bestimmung ein Begriff verwendet wird, der dem Wort "Mittel" entspricht und nach seinem gewöhnlichen Sinn alle Finanzmittel unabhängig von ihrer Herkunft bezeichnen kann, über die derjenige verfügt, der die Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten beantragt. [...]
29 Zweitens ist vorrangiges Ziel der Richtlinie 2003/109 die Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind. Wie sich aus dem zweiten Erwägungsgrund der genannten Richtlinie ergibt, zielt diese ferner darauf ab, die Rechtsstellung dieser Drittstaatsangehörigen derjenigen der Angehörigen der Mitgliedstaaten anzunähern, indem sie den genannten Drittstaatsangehörigen die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten gewährt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2012, Singh, C-502/10, EU:C:2012:636, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung). [...]
31 [...] In diesem Zusammenhang erlaubt Art. 5 Abs. 1 Buchst. a. der Richtlinie 2003/109, wie auch der Generalanwalt in Nr. 46 seiner Schlussanträge im Wesentlichen dargelegt hat, grundsätzlich nicht, zusätzliche Bedingungen an die Herkunft der Einkünfte im Sinne dieser Bestimmung zu stellen. [...]
34 Der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/109 verwendete Begriff "Einkünfte" kann entsprechend ausgelegt werden wie der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 verwendete Begriff "Existenzmittel", nämlich dahin, dass er nicht ausschließt, dass sich der Betroffene auf Einkünfte berufen kann, die von einem Dritten stammen, der Familienangehöriger ist. [...]
41 Die Prüfung von Wortlaut, Zweck und Kontext von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/109, insbesondere im Licht der vergleichbaren Bestimmungen der Richtlinien 2004/38 und 2003/86, ergibt, dass die Herkunft der in dieser Bestimmung genannten Einkünfte für den betreffenden Mitgliedstaat kein entscheidendes Kriterium für die Prüfung ist, ob sie fest, regelmäßig und ausreichend sind.
42 Wie der Generalanwalt in Nr. 77 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, haben die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten konkret die individuelle Situation der Person, die die Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten beantragt, zu prüfen und zu begründen, inwiefern diese Einkünfte ausreichend sind und eine bestimmte Beständigkeit und Dauer aufweisen, damit der Antragsteller nicht zu einer Last für den Aufnahmemitgliedstaat wird.
43 Einkünfte, die von einem Dritten oder einem Familienangehörigen des Antragstellers stammen, sind daher nicht durch Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/109 ausgeschlossen, sofern sie fest, regelmäßig und ausreichend sind. In diesem Zusammenhang kann in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren die Rechtsverbindlichkeit einer von einem Dritten oder einem Familienangehörigen des Antragstellers übernommenen Verpflichtung zur Kostenübernahme ein wichtiger zu berücksichtigender Faktor sein. Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten können insbesondere auch die familiären Beziehungen zwischen dem Antragsteller und dem oder den Familienangehörigen, die bereit sind, für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, berücksichtigen. Ebenso können Art und Beständigkeit der Einkünfte des oder der Familienangehörigen des Antragstellers hierfür relevant sein. [...]
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ist dahin auszulegen, dass mit dem in dieser Bestimmung verwendeten Begriff "Einkünfte" nicht ausschließlich "eigene Einkünfte" desjenigen, der die Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten beantragt, gemeint sind, sondern dieser Begriff auch Mittel umfasst, die diesem Antragsteller von einem Dritten zur Verfügung gestellt werden, sofern sie unter Berücksichtigung der individuellen Situation des betreffenden Antragstellers als fest, regelmäßig und ausreichend angesehen werden. [...]