VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 07.05.2019 - 11 K 6359/17.TR - asyl.net: M27593
https://www.asyl.net/rsdb/M27593
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für Ehepaar der Glaubensgemeinschaft Baha'i, die in keinem ihrer Herkunftsländer leben können:

Führt die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Baha'i von Eheleuten verschiedener Staatsangehörigkeiten im Einzelfall dazu, dass eine Lebensführung und Familiengründung in ihren beiden Herkunftsländern (hier: Marokko und Ägypten) nicht möglich ist, stellt dies eine Verletzung von Art. 8 und Art. 12 EMRK dar. Daher ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Marokko, Ägypten, Bahai, familiäre Lebensgemeinschaft, Ausländer, ausländischer Ehemann, Familie, Abschiebungsverbot, Europäische Menschenrechtskonvention, Ehe,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 8, EMRK Art. 12,
Auszüge:

[...]

Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls ist im vorliegenden Fall aufgrund der Kumulation der einzelnen Verletzungen der Konventionsgarantien die Schwelle der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen überschritten. In der Sonderkonstellation der Klägerin, die nach dem Glauben der Baha'i mit einem Ägypter verheiratet ist, führt die Kombination der Glaubenszugehörigkeit und der verschiedenen Staatsangehörigkeiten der Eheleute dazu, dass eine gemeinsame Lebensführung und Familiengründung in Marokko nicht möglich ist. Allein der Umstand, dass die Religionsgemeinschaft der Baha'i in Marokko nicht anerkannt ist, die Eheschließung staatlich nicht anerkannt wird, führt für sich genommen nicht zu einer Verletzung der EMRK. Insbesondere ergibt sich aus der Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, dass der Glaube der Baha'i zwar nicht anerkannt wird, man jedoch problemlos Personaldokumente erhält, da dort der Glaube nicht eingetragen wird. Auch Ehen zwischen Baha'i-Anhängern sind möglich, entweder vor dem Staat oder einem Sheik, allerdings werde man als Moslem geführt und könne unter diesem Glauben heiraten. Die Klägerin führt jedoch nachvollziehbar aus, dass wenn der Ehepartner allerdings aus dem Ausland kommt, benötige man - anders als bei Marokkanern - eine Bescheinigung über die Zugehörigkeit zum islamischen Glauben. Da ihr Mann diese nicht habe, sei eine Eheanerkennung und damit auch ein legaler Aufenthalt nicht möglich. Gleiches gilt spiegelbildlich für Ägypten, wo die Klägerin sich über eineinhalb Jahre ohne geklärten Aufenthaltsstatus aufhielt. Auch dort werden entsprechende Ehen nicht anerkannt, was dazu führt, dass sie ebenfalls in Ägypten keine legale Aufenthaltsmöglichkeit besitzt. Der Klägerin wird folglich auf Dauer die Führung der von ihr ausgewählten Ehe und damit auch die Gründung einer Familie unmöglich gemacht, was eine Verletzung von Art. 8 und Art. 12 EMRK darstellt. Die Parteien werden als ledig angesehen. Die Diskriminierungen enden folglich nicht allein in der Nichtanerkennung der Ehe, sondern führen auch zu familienrechtlichen und erbrechtlichen Problemen, da die Eltern als ledig gelten und folglich die Kinder nicht als in der Ehe geboren gelten.

Auch wenn damit die einzelnen Verletzungen für sich genommen nicht den von § 60 Abs. 5 AufenthG geforderten Erheblichkeitsgrad erreichen, der einer Verletzung von Art. 3 EMRK vergleichbar ist, so führt doch die Kumulation der vorliegenden Konventionsverletzungen bzw. -beeinträchtigungen im vorliegenden Einzelfall zu einer für § 60 Abs. 5 AufenthG hinreichend schweren Verletzung der EMRK, so dass ein Abschiebungsverbot festzustellen ist. [...]