VG Frankfurt/Oder

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Zitieren als:
VG Frankfurt/Oder, Urteil vom 01.02.2019 - 5 K 389/17.A - asyl.net: M27505
https://www.asyl.net/rsdb/M27505
Leitsatz:

Subsidiärer Schutz allein wegen illegaler Ausreise aus Eritrea:

Einer Frau, die illegal aus Eritrea ausgereist ist, ohne sich dem Nationaldienst zu entziehen, ist wegen drohender willkürlicher Bestrafung allein aufgrund der illegalen Ausreise subsidiärer Schutz zuzuerkennen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Eritrea, subsidiärer Schutz, Nationaldienst, illegale Ausreise, unerlaubte Ausreise, Frauen, Mutter,
Normen: AsylG § 4,
Auszüge:

[...]

Die Klägerin zu 1. hat einen Anspruch auf den begehrten subsidiären Schutz nach § 4 AsylG. [...] Die Klägerin müsste im Falle einer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer willkürlichen Bestrafung durch die eritreischen Behörden wegen ihrer illegalen Ausreise rechnen.

Gemäß den vorliegenden Auskünften erfolgt die Bestrafung bei illegaler Ausreise, auch ohne Wehrdienstentziehung, durch die eritreischen Behörden regelmäßig außergerichtlich und rein willkürlich. [...] Aufgrund der Praxis der Sanktionierung illegaler Ausreisen aus Eritrea ist anzunehmen, dass die dem eritreischen Staat zuzurechnenden Sanktionierungsmaßnahmen im Ergebnis vorrangig auf die Erzwingung von Geständnissen, die Informationsgewinnung, die Bestrafung für angebliches Fehlverhalten und die Schaffung eines allgemeinen Klimas der Angst, sowie - innerhalb des Militärs - die Aufrechterhaltung der Disziplin gerichtet sind. Die Maßnahmen sind Ausdruck einer Strategie der Regierung zur Aufrechterhaltung einer völkerrechtswidrigen Kontrolle über die eigene Bevölkerung. Die Anwendung von Folter bildet diesbezüglich einen integralen Bestandteil. Eine zielgerichtete Anknüpfung der Maßnahmen an die individuelle politische Überzeugung liegt hierin jedoch nicht. Diese Verhältnisse führen daher nicht zu einem Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling, sondern zur Gewährung subsidiären Schutzes von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 26. Februar 2018, 8 A 379/17 MD). [...]

Im Übrigen ist die Einberufung der Klägerin zu 1. nicht beachtlich wahrscheinlich. In Eritrea herrscht die (wenn auch nur ungeschriebene) Praxis, verheiratete und schwangere Frauen sowie Mütter von der Dienstpflicht zu befreien. Rechtssicherheit besteht insoweit zwar nicht, da die Anwendung der Regelung willkürlich erfolgt. Insbesondere besteht für die Vorgenannten die Möglichkeit, von der Dienstpflicht nicht vollständig befreit, sondern jedenfalls zum zivilen Teil des Nationaldienstes herangezogen zu werden (vgl. EASO, Country of Origin Information Report aus Mai 2015, S. 34; Amnesty International, Just Deserters: S. 28; Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea). Die den Erkenntnismitteln zu entnehmenden Fälle, in denen verheiratete oder schwangere Frauen sowie Mütter trotz der ungeschriebenen Praxis der Dienstverschonung zum Nationaldienst einberufen worden sind, stellen dennoch nur Einzelschicksale dar, die der unzweifelhaft willkürlichen Anwendung dieser Praxis geschuldet sein dürften. Sie lassen jedoch keinen Rückschluss darauf zu, dass der Klägerin zu 1. im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ebenfalls die Einberufung zum Nationaldienst droht, obschon sie verheiratet und Mutter und damit zum Kreis der Begünstigten der Praxis der Dienstverschonung zu rechnen ist. [...]