Vorläufige Rückholung aus Griechenland nach Einreiseverweigerung und Rückführung aufgrund des "Seehofer-Abkommens":
1. Die Einreiseverweigerung gegenüber einer asylsuchenden Person bei einer Kontrolle durch eine Grenzbehörde in einem inländischen, grenznahen Bahnhof und ihre Rückführung nach Griechenland innerhalb von 48 Stunden aufgrund des "Seehofer-Abkommens" ist voraussichtlich unionsrechtswidrig.
2. Befindet sich eine Person auf dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats der Dublin-Verordnung und äußert dort einen Asylgesuch, ist zunächst ausschließlich die Dublin-III-VO als Spezialgesetz anwendbar. Wegen Art. 1 und 20 Abs. 2 S. 2 Dublin III-VO und dem "effet utile"-Grundsatz, wonach EU-Recht wirksam umzusetzen ist, besteht dann zunächst die Pflicht der Grenzbehörde zur Weiterleitung des Asylgesuchs an die zuständige Asylbehörde, um die Anwendung der Dublin-III-VO zu gewährleisten.
3. Es ist zweifelhaft, dass eine „Nichteinreisefiktion“ angenommen und damit die Anwendung der Dublin III-VO umgangen werden kann:
a. Falls die Maßnahme nach § 18 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 2 AsylG eine Rückkehrentscheidung mit anschließender Abschiebung nach Art. 6 und 8 Rückführungs-RL 2008/115/EG darstellen sollte, wäre sie europarechtswidrig, da die Rückführungs-RL nur auf Personen anwendbar ist, die sich bereits im Hoheitsgebiet des handelnden Mitgliedstaates aufhalten, was aber hier unter Verweis auf die Nichteinreisefiktion verneint wird. Ohnehin wären aber die Verfahrensanforderungen der Art. 6 ff. Rückführungs-RL verletzt.
b. Falls die Maßnahme gem. § 18 AsylG eine Einreiseverweigerung und deren Durchsetzung nach dem Schengener Grenzkodex darstellen sollte, hätte - unterstellt, die Grenzübertrittskontrollen an der Binnengrenze wären berechtigt - eine Rückführung nur nach Österreich erfolgen können.
c. Es bestehen auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines "Pre-Dublin-Verfahrens". Denn in der vorliegenden Konstellation werden Betroffene nach der Rückführung nicht als Dublin-Rückkehrende behandelt, sondern als auf sonstige Weise Zurückgeführte. Dies birgt die Gefahr, dass der ursprüngliche Asylantrag nur als Folgeantrag gewertet wird und Betroffene ohne Prüfung der materiellen Asylgründe ins Herkunftsland zurückgeführt werden. Dies widerspricht dem Grundsatz der Nichtzurückweisung und somit auch der Zielsetzung der Dublin III-VO.
d. Selbst wenn die Maßnahmen ausschließlich auf § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylG gestützt werden könnten, handelte hier die sachlich unzuständige Behörde. Denn für das Einleiten eines Auf- und Wiederaufnahmeverfahrens ist das BAMF zuständig und hätte zumindest beteiligt werden müssen. Dies ist auch sinnvoll, da die Zuständigkeitsregelungen der Dublin III-VO eine komplexe Materie darstellt, die von ungeschulten Personen in einem auf höchste Geschwindigkeit ausgelegten Einreiseverweigerungs- und Zurückschiebungsverfahren nicht ausreichend geprüft werden können. Diese Zuständigkeitsregelungen können auch nicht durch das Verwaltungsabkommen zwischen Griechenland und Deutschland vom 17./18. August 2018 abgeändert werden.
4. Die fehlende Prüfung einer möglichen Zuständigkeit Deutschlands nach der Dublin-III-VO nach § 18 Abs. 4 AsylG stellt einen materiellen Fehler dar, der nicht geheilt werden kann. Außerdem hätte auch ein Abschiebungsverbot nach Griechenland nach analoger Anwendung der § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG geprüft werden müssen.
5. Es ist nicht auszuschließen, dass das griechische Asylsystem systemische Mängel aufweist.
(Leitsätze der Redaktion; vgl. Eilrechtsschutz ablehnend: VG München, Beschluss vom 09.05.2019 - M S E 19.50027 - asyl.net: M27257)
Anmerkung:
[...]
23 3. Die Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller auf eigene Kosten aus Griechenland nach Deutschland zurückzuführen und anschließend vorläufig die Einreise zu gewähren, ist im vorliegenden Fall zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig. Die Ablehnung der begehrten Entscheidung für den Antragsteller wäre mit unzumutbar schweren, anders nicht abwehrbaren Nachteilen für den Antragsteller verbunden.
24 Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass ihm in Griechenland im Rahmen einer zwar nicht unmittelbar absehbaren, aber nicht entfernter Zeitspanne, die Abschiebung nach Afghanistan droht. In der griechischen Abschiebehaftanordnung vom ... 2019 (K4) sowie der griechischen Rückkehrentscheidung vom 2019 (K8) ist aufgeführt, dass der Antragsteller von Griechenland zeitnah nach Afghanistan abgeschoben werden soll. [...] Mithin steht der Antragsteller durch Zeitablauf in erheblicher Gefahr von Griechenland nach Afghanistan abgeschoben zu werden, ohne dass eine vorhergehende Prüfung der materiellen Asylgründe des Antragstellers in irgendeinem europäischen Land stattgefunden haben wird. Das Gericht geht davon aus, dass das Weiterbetreiben des Hauptsacheverfahrens von Afghanistan für den Antragsteller zu einem irreversiblen, erheblichen Nachteil führen wird, da wegen der Stellung von Asylanträgen grundsätzlich zunächst davon auszugehen ist, dass der Antragsteller sein Heimatland wegen einer ihm drohenden Verfolgung oder ernsthaften Gefahr verließ. [...]
27 2. Dem Antragsteller steht jedoch nach summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch zu. [...]
29 2.1.1 Das Gericht geht davon aus, dass die von der Antragsgegnerin durchgeführte Maßnahme voraussichtlich (unions-)rechtswidrig sein dürfte.
30 Die Parteien streiten im Kern darum, ob eine Asylantragstellung eines aus anderen Gründen nicht aufenthaltsberechtigten Ausländers bei Vorliegen einer Kontrolle durch eine Grenzbehörde in einem inländischen, grenznahen Bahnhof dazu führt, dass der Asylantrag wegen einer Annahme einer Nichteinreisefiktion nicht als Asylantrag nach der Dublin-III-Verordnung zu behandeln ist. [...]
32 Bei illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaat aufhältigen Drittstaatsangehörigen kommt grundsätzlich die Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger zur Anwendung. Falls der im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger einen Asylantrag nach Maßgabe des Art. 20 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung stellt, ist (zunächst) ausschließlich die Dublin-III-Verordnung als lex specialis anwendbar. In Art. 24 Abs. 2 bis 4 der Dublin III-Verordnung sind für verschiedene Fallvarianten die Abgrenzungen der Anwendung der Richtlinie 2008/115/E G von der Dublin-III-Verordnung geregelt. Falls ein Asylantrag nach Maßgabe des Art. 20 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung gestellt ist, der Antragsteller sich jedoch im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, obliegt nach Art. 20 Abs. 4 Dublin-III-Verordnung dem Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller sich aufhält, die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin-III-Verordnung. Nicht in der Richtlinie 2008/115/EG oder der Dublin-III-Verordnung geregelt ist, wie mit Personen zu verfahren wäre, die zwar ein Asylgesuch äußern, das der Maßgabe des Art, 2 lit b) Dublin-III-Verordnung i.V.m. Art. 2 lit. h der Richtlinie 2011/95/EU entspricht, es jedoch aufgrund einer fehlenden Weiterleitung an die zuständige Behörde nach Art. 20 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung nicht zu einer Stellung des Asylantrages im Sinne der Dublin-III-Verordnung kommt (vgl. EUGH, U.v.26.7.2017 - C-670/16 - juris, zur Auslegung des Begriffs "Antragstellung"). Befindet sich diese Person im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ergibt sich aus den Art. 1 und 20 Abs. 2 S. 2 Dublin-III-Verordnung und den Grundsätzen des "effet utile" unmissverständlich, dass den jeweiligen Mitgliedstaat die Pflicht zur Weiterleitung eines Asylgesuchs trifft und somit auf die erfolgreiche Stellung eines Asylantrags mit der Folge der Anwendbarkeit des Dublin-Regimes hinwirken muss. [...]
35 Die von der Antragsgegnerin durchgeführten Maßnahmen stellen sich jedoch in jeder der aufgeführten Varianten als rechtswidrig dar, da sie nach summarischer Prüfung im Eilverfahren nicht von den jeweiligen Rechtsgrundlagen gedeckt sind:
36 Falls die Maßnahme der Antragsgegnerin nach § 18 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 AsylG den Erlass einer sog. Rückkehrentscheidung mit anschließender Abschiebung nach Art. 6, 8 der Richtlinie 2008/115/EG darstellen sollte, ist die Maßnahme mangels Einhaltung der europarechtlich vorgegeben Verfahrensnormen rechtswidrig. Zum einen ist festzuhalten, dass die Richtlinie 2008/115/EG nur auf Personen Anwendung findet, die bereits sich im Hoheitsgebiet der Antragsgegnerin aufhalten, Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 2008/115/EG - was die Antragsgegnerin unter Verweis auf die Nichteinreisefiktion verneint. Falls die Richtlinie dennoch anwendbar wäre, weil die Nichteinreisefiktion nach § 13 Abs. 2 S. 2 AufenthG den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG nicht ausschließt bzw. im vorliegenden Fall europarechtswidrig wäre, ist festzuhalten, dass die Verfahrensanforderungen der Art, 6 ff. der Richtlinie 2008/115/EG offensichtlich nicht eingehalten wurden. Die Einhaltung dieser Rechte stellen nach Maßgabe des Art. 13 dieser Richtlinie einklagbare Rechte des Antragstellers dar.
37 Bei Annahme, dass der streitgegenständliche Bescheid auf Grundlage des § 18 AsylG im vorliegenden Fall eine Einreiseverweigerung und deren Durchsetzung nach dem Schengener Grenzkodex nachvollzieht, ist die Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit dennoch als rechtswidrig einzustufen. [...] Falls man annimmt, dass die Antragsgegnerin berechtigt gewesen wäre zum Zeitpunkt der Kontrolle des Antragstellers nach Maßgabe der Art. 6ff., 13, 25, 28 des Schengener Grenzkodex Grenzübertrittskontrollen an der Binnengrenze vorzunehmen, stellt die Kontrolle des Antragstellers im Bahnhof L. eine Grenzübertrittskontrolle nach Maßgabe des Anhang VI 1.21 erster Spiegelstrich des Schengener Grenzkodex dar. Eine Einreiseverweigerung ist dann - bei unstreitigem Fehlen der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex - nach Art. 14 Abs. 1 dieser Verordnung zulässig. Allerdings entspricht das Vorgehen der Antragsgegnerin nicht den Modalitäten nach Art. 14 Abs. 2, 6 in Verbindung mit Anhang V des Schengener Grenzkodex. Das nach Art. 14 Abs. 2 UA 1 S. 1 Schengener Grenzkodex notwendige Standardformular aus Anhang V Teil B der Verordnung wurde nicht benutzt. Weiter ist selbst bei Annahme einer rechtmäßigen Einreiseverweigerung eine Rückführung des Antragstellers nach Griechenland wohl nicht auf Rechtsgrundlage des Art. 14 Abs. 4 Schengener Grenzkodex möglich, da insoweit nur sichergestellt werden kann, dass der Antragsteller das Hoheitsgebiet nicht betritt. Eine Rückführung hätte daher nach Maßgabe des Anhang V Teil A Nr. 3 des Schengener Grenzkodex nur nach Österreich erfolgen können.
38 Das Gericht hat im Übrigen erhebliche Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit und der Existenz eines sog. "Pre-Dublin-Verfahren". Durch die Annahme eines sog. "Pre-Dublin-Verfahrens" bei faktischem Aufenthalt eines Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates könnten die subjektiven Verfahrensrechte der Antragsteller aus der Dublin-III Verordnung und deren Zielsetzung umgangen werden.
39 Eine direkte Anwendbarkeit der Dublin-III-Verordnung könnte - entgegen des dann insoweit europarechtskonform überlagerten und daher teilweise nicht anwendbaren § 18 AsylG - durchaus gegeben sein. Zum einen folgt diese Einschätzung daraus, dass für die Anwendbarkeit der Dublin-III-Verordnung eine Asylantragstellung des Antragstellers in Deutschland bereits nicht notwendig ist. So kommt es nach Artikel 18 Abs. 1 lit. b, c und d und Art. 24 der Dublin-III-Verordnung jeweils darauf an, dass der Antragsteller bereits erstmals in einem Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt hat und der Antragsteller sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates aufhält. Nach Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung haben die Mitgliedstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz (...) zu prüfen, der im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen gestellt wird. Der Antragsteller könnte sich nach summarischer Prüfung des Gerichts während der Kontrolle am Bahnhof L. bereits im Hoheitsgebiet der Antragsgegnerin aufgehalten haben. Offensichtlich befand sich der Antragsteller nicht mehr an der Grenze nach Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung. Nach summarischer Prüfung des Gerichts hielt sich der Antragsteller vermutlich auch nicht in einer "Transitzone" auf. Der Begriff der "Transitzone" ist weder europarechtlich noch nach deutschem Recht definiert. Eine Gleichsetzung des Begriffs der "Transitzone" mit dem Vorliegen der Voraussetzungen einer Nichteinreisefiktion aus deutschem Recht nach § 13 Abs. 2 S. 2 AufenthG trifft auf Bedenken, da sich aus dem Wortlaut des Begriffs "Transitzone" und der bisherigen faktischen Anwendung (Flughafen, bestimmte Zentren an der Grenze zu Ungarn) ergibt, dass es sich um örtlich eng umgrenzte Orte handelt. Bei einer Auslegung des europarechtlichen Begriffes am Maßstab deutschen Rechts ist zudem vorsichtig vorzugehen. Weiter soll der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung nach Ansicht des Gerichts wegen des grundsätzlichen Fehlens von Grenzkontrollen zum Zeitpunkt des Erlasses nach Maßgabe des Titel III Kapitel 1 des Schengener Grenzkodex an den Binnengrenzen lediglich Transitbereiche an der Außengrenze bzw. an Flughäfen der Mitgliedsstaaten erfassen. Es ist bei summarischer Prüfung im Eilverfahren nicht ersichtlich, dass der EU-Gesetzgeber zum Zeitpunkt des Erlasses der Dublin-III-Verordnung bzw. der Vorgängerverordnungen die Möglichkeit der Wiedereinführung von andauernden Binnengrenzkontrollen bedacht hat. Mit der Aufnahme des Wortes "Transitzone" war nach vorläufiger Ansicht des Gerichts eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Dublin-III-Verordnung zu Gunsten der Antragsteller an den Außengrenzen beabsichtigt (vgl. Art, 3 Abs. 1 des Dubliner-Übereinkommens vom 15. Juni 1997)
40 Unabhängig von den vielen systematischen und Wortlautargumenten der Parteien bezüglich der Anwendbarkeit der Dublin-III-Verordnung in der vorliegenden Fallkonstellation einer Nichteinreisefiktion auf dem Landweg ist das Gericht im Rahmen der summarischen Prüfung im Eilverfahren jedoch davon überzeugt, dass das Vorgehen der Antragsgegnerin einem Ziel der Dublin-III-Verordnung nicht gerecht wird: Maßgebliches Ziel der Dublin-III-Verordnung ist es nach Maßgabe der Erwägungsgründe 2 und 3 auf ein Gemeinsames europäisches Asylsystem (GEAS) hinzuwirken, das zum einen sicherstellen soll, dass der Grundsatz der Nichtzurückweisung gewahrt bleibt und niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Zu diesem Zweck wird für jeden Asylantragsteller ein zuständiger Mitgliedstaat für die materielle Prüfung des Asylantrages bestimmt (Erwägungsgrund 7). Daraus folgt, dass es grundsätzlich jedem Asylantragsteller ermöglicht werden soll, eine materielle Asylprüfung in einem zuständigen Mitgliedsstaat zu durchlaufen. Die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten aus Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU, das Verfahren bei stillschweigender Rücknahme, z.B. durch Nichtbetreiben oder Untertauchen des Antragstellers, ohne materielle Prüfung einzustellen und ein weiterer Asylantrag ("nur") als Folgeantrag im Sinne des Art. 40 der Richtlinie 2013/32/EU zu behandeln, steht diesem Ziel entgegen. Daher legen Art. 18 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 5 Dublin-III-Verordnung ausdrücklich fest, dass bei Rückführung einer Person, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufhältig war, der ursprüngliche Asylantrag - auch wenn er eingestellt wurde - dennoch von dem zuständigen Mitgliedstaat wenigstens einmal in materieller Hinsicht geprüft werden muss. Diese eindeutige Bestimmung (und damit eine Zielsetzung des Dublin-III-Abkommens) wird durch die Annahme eines "Pre-Dublin-Verfahrens" in der streitgegenständlichen Fallkonstellation unterlaufen, da der Antragsteller nicht als Dublin-Rückkehrer, sondern als auf sonstige Weise Zurückgeführter von Deutschland und Griechenland behandelt wird und der Antragsteller vorliegend Gefahr läuft, ohne einmalige Prüfung seiner materiellen Asylgründe nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Aufgrund der eindeutigen Regelung in Art. 18 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 5 Dublin-III-Verordnung kann davon ausgegangen werden, dass der europäische Gesetzgeber eine (wenigstens einmalige) Weiterreise eines Asylantragstellers innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedsstaaten nicht damit sanktionieren wollte, dass diese Weiterreise zu einem weitgehenden Ausschluss der Prüfung seiner materiellen Asylgründe führt.
41 Eine aus der anderen Ansicht folgende Ungleichbehandlung mit erheblichen Folgen zwischen denjenigen Drittstaatenangehörigen, die über die sog. "grüne Grenze" einreisen und denjenigen, die zufällig im Rahmen von zeitlich begrenzten Binnengrenzkontrollen aufgegriffen werden, scheint nach Ansicht des Gerichts nicht im Sinne des europäischen Gesetzgebers gewesen zu sein (im Ergebnis a.A. BeckOK, AuslR/Haderlein, AsylG, § 18 Rn. 22).
42 Selbst wenn weder die Verfahrensvorschriften der Dublin-III-Verordnung, noch der Richtlinie 2008/115/EG oder des Schengener Grenzkodex anwendbar sind und die Maßnahmen im vorliegenden Fall ausschließlich auf § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylG (ohne dessen europarechtliche Überformung) gestützt werden könnten, ist der Bescheid nach summarischer Prüfung voraussichtlich formell und materiell rechtswidrig. Der streitgegenständliche Bescheid gibt als Rechtsgrundlage § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylG an. Nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylG ist einem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn (...) 2. Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird (...).
43 Die Bundespolizeibehörde ist nach summarischer Prüfung sachlich unzuständig für das Einleiten eines Auf- und Wiederaufnahmeverfahrens im Sinne des § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylG.
44 Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin hegt das Gericht keine Zweifel daran, dass mit dem Begriff "Einleitung eines Auf- und Wiederaufnahmeverfahrens" im Sinne des § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylG ein Auf- und Wiederaufnahmeverfahren nach Maßgabe des Kapitels IV der Dublin-III-Verordnung gemeint ist. [...]
46 Das Gericht geht im Rahmen des Eilverfahrens zunächst mangels Auffindens einer anderen Zuständigkeitsbestimmung und der fein abgestimmten Regelungen in der AsylZBV davon aus, dass diese Verordnung auch für die Dublin-III-Verordnung gilt und § 1 Nr. 2 AsylZBV aus einem Redaktionsversehen nach Erlass der Dublin-III-Verordnung lediglich nicht angepasst wurde.
47 Bei Subsumtion des § 3 Abs. 1 AsylZBV ergibt sich, dass die Zuständigkeit der Bundespolizei sich nur ergibt, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Mitgliedstaat, aus dem der Drittstaatsangehörige einreist, oder ein anderer angrenzender Mitgliedstaat nach der Dublin-III Verordnung zuständig. Griechenland grenzt nicht an Deutschland. Diese Regelung ist auch sinnvoll, weil die Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin-III-Verordnung eine komplexe Materie darstellt, die von Nicht-Juristen bzw. darin ungeschulten Personen im Rahmen eines auf höchste Geschwindigkeit ausgelegten Einreiseverweigerungs- und Zurückschiebungsverfahren, nicht ausreichend geprüft werden können.
48 Im Verwaltungsabkommen zwischen Griechenland und Deutschland vom 17./18. August 2018 ist in Annex 1 Nr. 5 zwar geregelt, dass die Bundespolizeidirektion München zuständig sein solle für die Durchführung des Abkommens. Das Gericht hat allerdings Zweifel daran, dass sachliche Zuständigkeiten, die im Wege einer vom Bundesrat zustimmungspflichtigen Verordnung festgelegt werden müssen, vom Bundesministerium des Inneren über ein Verwaltungsabkommen abgeändert werden können.
49 Mithin handelte bei wichtigen Verfahrensschritten vor Bescheidserlass, nämlich der Einleitung eines Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahrens die sachlich unzuständige Behörde bzw. die notwendige Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist unterblieben (vgl. auch Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 18 Rn. 38).
50 Weiter ist weder aus der Bescheidsbegründung, noch aus der Behördenakte ersichtlich, dass die Antragsgegnerin § 18 Abs. 4 AsylG, d.h. die Zuständigkeit Deutschlands nach der Dublin-III-Verordnung überhaupt geprüft hat, obwohl der Antragsteller aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des § 26a AsylG, nämlich Österreich einreiste. § 18 Abs. 4 AsylG ist auch anwendbar, wenn eine Einreiseverweigerung oder Zurückschiebung nach § 18 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 AsylG stattfindet (Beck Onlinekommentar, Ausländerrecht, 22. Edition, Stand 1.5.2019, § 18 AsylG Rn. 31). Eine Regelung, wer für die Prüfung der Zuständigkeit Deutschlands im Sinne des § 18 Abs. 4 AsylG zuständig ist, ergibt sich nicht aus der AsylZBV. Für die Prüfung der Zuständigkeit Deutschlands nach der Dublin-III-Verordnung reichen die Angaben des Antragstellers bei der Einreisebefragung jedoch nicht aus, da mögliche Tatsachen, die auf eine Zuständigkeit nach Art. 9, 10, 12, 16 der Dublin-III-Verordnung schließen lassen könnten, im Verwaltungsverfahren gar nicht abgefragt wurden.
51 Die fehlende Prüfung des § 18 Abs. 4 AsylG stellt ein materieller und nicht bloß ein Verfahrensfehler dar. Weiter ist nicht ersichtlich, dass ein Zurückschiebungsverbot nach Griechenland nach analoger Anwendung des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG geprüft wurde. Ob Zurückschiebungsverbote bei einer Maßnahme nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylG geprüft werden müssen, ist ungeklärt und umstritten. Aus der Bindung staatlichen Handelns an das non-refoulement-Verbot, Art. 3 EMRK und Art. 3 der UN-Folterkonvention könnte sich eine solche Prüfung - auch wenn diese einfachgesetzlich nicht vorgeschrieben ist - ergeben, wobei diese Pflicht teilweise auf Sonderfälle, die der Antragsteller vorzutragen hat, beschränkt wird, Argument hierfür ist, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union als sichere Drittstaaten gelten (BeckOK AuslR/Haderlein AsylG § 18 Rn. 4; Bergmann/Dienelt/Winkelmann AsylG § 18 Rn. 29, 14 f.: nur in Sonderfällen). Dagegen spricht, dass bei Zurückweisungen an der Binnengrenze ohne Asylgesuch des Ausländers nach § 15 Abs. 4 S. 1 AufenthG (ohne Einschränkung bezüglich der Zielländer) eine entsprechende Anwendung der Absätze 5 und 7 des Art. 60 AufenthG zwingend angeordnet ist.
52 Eine Heilung oder Unerheblichkeit der vorgenannten Verfahrensfehler nach § 44 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 5 VwVfG oder § 46 VwVfG wird zum aktuellen Zeitpunkt nicht gesehen. Materielle Fehler von Bescheiden sind grundsätzlich nicht heilbar.
53 Unter Berücksichtigung der vorgenannten Ausführungen und vor allem der Vielzahl an Kritikpunkten geht das Gericht davon aus, dass sich in der Hauptsacheentscheidung herausstellen wird, dass der Antragsteller durch die hoheitlichen Maßnahmen der Antragsgegnerin in seinen subjektiven Rechten verletzt worden.
54 2.2 Für die Bejahung eines Folgenbeseitigungsanspruchs ist eine weitere Voraussetzung, dass ein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde, der weiterhin andauert.
55 Die Verbringung des Antragstellers nach Griechenland führte nach summarischer Prüfung zu einem rechtswidrigen Zustand, der wegen der dortigen Inhaftierung des Antragstellers weiterhin andauert.
62 Die Rechtsprechung ist bezüglich der Frage, ob das griechische Asylsystem auch aktuell noch systemische Schwachstellen aufweist, geteilt (bejahend bzw. bejahende Tendenz: VG Düsseldorf, U.v. 19.12.2017 - 12 K 15680/17.A -. juris Rn. 22 ff.; VG Dresden, B.v, 16.11.2017 - 6 L 1187/17.A - juris Rn. 22 f.; VG München, B.v. 17.7.2019 - M 11 S 19.50722 - juris Rn.54f.; verneinend: VG Regensburg, U.v. 3.1.2019 - RN 11 K 18.31292 - juris Rn. 15 ff, VG Ansbach, U.v. 20.9.2018 - AN 14 K 18.50495 - juris Rn. 23 ff., VG Köln, B.v. 19.2.2018 - 14 L 4188/17.A - juris Rn. 27 ff., VG München, B.v. 9.5.2019 - M 5 E 19.50027 - juris Rn. 52 ff.). Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ist zusammengefasst zu entnehmen, dass trotz einiger Verbesserungen seit 2011 durch u.a. eine unionsrechtskonforme Asylgesetzgebung sowie der Ausweitung der bestehenden Unterbringungskapazitäten weiterhin Mängel in der Umsetzung des unionsrechtskonformen Asylsystems sowie teilweise erhebliche Probleme bezüglich der Aufnahmebedingungen von Asylbewerbern vorliegen (Auswärtiges Amt, Länderinformation: Griechenland Stand Mai 2017; Recommendations by the Office of the UN High Commissioner for Refugees concerning the execution of judgments by the European Court of Human Rights in the cases of M.S.S. v. Belgium and Greece (Application No. 30696/09, Grand Chamber judgment of 21 January 2011) and of Rahimi v. Greece (Application No. 8687/08, Chamber judgment of 05 April 2011) vom 24.5.2019; Berichten des European Council an Refugees and Exiles (ECRE), abrufbar auf www.ecre.org; U.S. Departement of State, Greece 2018 human rights report; Report to the Greek Government an the visits to Greece carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 13 to 18 April and 19 to 25 July 2016 vom 26. September 2017; Amnesty International Griechenland 2017/2018 vom 22.2.2018). Ob diese Mängel noch systemischer Natur sind, kann im Eilverfahren nicht abschließend beurteilt werden. Vor dem Hintergrund der festgestellten menschenrechtswidrigen Verhältnisse in den Jahren bis 2016, der schwelenden griechischen Wirtschaftskrise und des weiterhin stark auf Griechenland lastenden Migrationsdruckes geht das Gericht im Rahmen einer Prognose im Eilverfahrens von dem Weiterbestehen systemischer Mängel aus (vgl. BVerfG, B.v. 8.5. 2017 - 2 BvR 157/17 - juris).
63 Soweit die Antragsgegnerin dem entgegenhält, dass systemische Mängel im Fall des Antragstellers schon deswegen nicht angenommen werden können, weil der Antragsteller nicht für eine materielle Asylantragsprüfung, sondern lediglich für die erheblich kürzere Zeitspanne der Durchführung des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Griechenland zurückgeführt wird, ist dem nicht zu folgen. Gravierende Menschenrechtsverletzungen, u.a. unmenschliche und erniedrigende Behandlungen nach Art. 3 EMRK, können auch innerhalb kürzester Zeitspannen auftreten. [...]