VG Bayreuth

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Zitieren als:
VG Bayreuth, Beschluss vom 13.03.2019 - B 6 K 18.460 - asyl.net: M27461
https://www.asyl.net/rsdb/M27461
Leitsatz:

1. Eine räumliche Beschränkung gem. § 61 AufenthG aufgrund von Straftaten, die am Ort der räumlichen Beschränkung begangen wurden, ist selbst bei Wiederholungsgefahr keine geeignete oder erforderliche Maßnahme.

2. Liegen die Voraussetzung für die Verfügung einer räumlichen Beschränkung nicht vor, ist auch die Meldeauflage zur Überwachung der Einhaltung der räumlichen Beschränkung  rechtswidrig.

3. Ein Zwangsgeld von 450 € bei Verstoß gegen die Meldeauflage ist zu hoch bemessen, wenn der betroffenen Person monatlich nur 416 € zur Verfügung stehen.

(Leitsätze der Radaktion)

Schlagwörter: Meldeauflage, Verhältnismäßigkeit, räumliche Beschränkung, Verstoß gegen räumliche Beschränkung, Ermessen, Aufenthaltsbeschränkung, vollziehbar ausreisepflichtig, Ausreisepflicht, Straftat,
Normen: AufenthG § 61 Abs. 1c S. 1 Nr. 1, AufenthG § 61 Abs. 1c S. 1 Nr. 3
Auszüge:

[...]

bbb) Nach summarischer Prüfung spricht jedoch Einiges dafür, dass die Anordnung der räumlichen Beschränkung auf das Stadtgebiet ... materiell nicht rechtmäßig war.

aaaa) Gemäß § 61 Abs. 1c Satz 1 Nr. 1 AufenthG kann eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers angeordnet werden, wenn der Ausländer wegen einer Straftat, mit Ausnahme solcher Straftaten, deren Tatbestand nur von Ausländern verwirklicht werden kann, rechtskräftig verurteilt worden ist.

Zwar bedarf es für eine Aufenthaltsbeschränkung keiner besonders schweren Straftat. Vielmehr kann bereits eine Verurteilung zum Anlass genommen werden, die nicht lediglich geringfügig war und nicht bereits Jahre zurückliegt. Ermessensfehlerfrei kann die ordnungsrechtliche Maßnahme aber nur dann angeordnet werden, wenn eine hinreichend gewichtige Wiederholungsgefahr für Straftaten besteht, der mit einem bestimmten Ortsbezug begegnet werden kann (Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018 § 61 AufenthG Rn. 8).

Zwar wurde der Kläger wegen vorsätzlicher Straftaten, u.a. zu Geldstrafen von 80 Tagessätzen wegen Körperverletzung und 90 Tagessätzen wegen Vortäuschen einer Straftat verurteilt und hat damit nicht geringfügige Straftaten begangen. Da er nicht unerhebliche Straftaten über die Jahre hinweg bis in die jüngste Zeit in steter Folge beging, ist auch von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.

Der Kläger hat die Straftaten aber allesamt in ... begangen. Deshalb ist eine räumliche Beschränkung auf das Stadtgebiet ..., mit dem nur werden könnte zu verhindern, dass er außerhalb seines zugewiesenen Wohnsitzes straffällig wird, keine geeignete und erforderliche Maßnahme.

bbbb) Gemäß § 61 Abs. 1c Satz 1 Nr. 3 AufenthG kann eine räumliche Beschränkung auch angeordnet werden, wenn konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung gegen den Ausländer bevorstehen.

Selbst wenn dafür nur konkrete Maßnahmen zur Vorbereitung einer Abschiebung erforderlich sind und nicht bereits die Durchführung der Abschiebung unmittelbar bevorstehen muss (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Januar 2019, § 61 AufenthG Rn. 32), dürften im Hinblick darauf, dass für den Kläger noch weder ein Reisepass noch ein iranisches Laissez-passer zur Verfügung stand, für dessen Erteilung die Vorlage einer Geburtsurkunde notwendig ist, weder bei Erlass des Bescheides noch unmittelbar vor seiner Aufhebung konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen bevorgestanden haben.

cccc) Ob eine Aufenthaltsbeschränkung gestützt auf § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG in Betracht gekommen wäre, lässt das Gericht ausdrücklich offen, weil sich der Beklagte auf diese Sollvorschrift nicht berufen hat.

ccc) Nach summarischer Prüfung spricht außerdem Einiges dafür, dass die Anordnung der Meldepflicht bei der örtlichen Ausländerbehörde jeweils am Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag jedenfalls im entscheidungserheblichen Zeitpunkt unmittelbar vor dem Eintritt des erledigenden Ereignisses am 11.04.2019 ebenfalls nicht rechtmäßig war.

Gemäß § 61 Abs. 1e AufenthG können über die in § 61 Abs. 1b und c AufenthG sowie § 61 Abs. 1d AufenthG geregelte räumliche Beschränkung des Aufenthalts und die Wohnsitzauflage können weitere Bedingungen und Auflagen angeordnet werden.

Die Vorschrift soll es der Ausländerbehörde ermöglichen, Vorkehrungen und Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreisepflicht zu, treffen. Dazu ist es grundsätzlich auch zulässig, den vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer zu verpflichten, sich zur Überwachung des konkreten Aufenthalts und Verbleibs in bestimmten regelmäßigen Abständen bei der Ausländerbehörde zu melden (Meldeauflage), um sicherzustellen, dass eine räumliche Aufenthaltsbeschränkung oder eine Wohnsitzauflage eingehalten wird. Die Meldeauflage darf allerdings nicht in erster Linie Sanktionscharakter haben und sich vornehmlich als schikanös darstellen (VG Stuttgart, U. v. 21.10.2009 - 11 K 3204/09 - juris Rn. 25f. zum insoweit vergleichbaren 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG a.F.; Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 61 AufenthG Rn. 10).

Das Gericht kann, zumal in einer Kostenentscheidung gemäß § 161 Abs. 2 VwGO offen lassen, ob zwar nicht eine einmal wöchentliche, aber die engmaschige Meldeverpflichtung, die der Beklagte verfügt hat, verhältnismäßig war und nicht die Schwelle zur bloßen Sanktion überschritt. Dabei kann nicht außer Betracht zu bleiben, dass die iranische Auslandsvertretung zwar inzwischen für die Ausstellung eines Reisepasses keine "Freiwilligkeitserklärung" mehr verlangt und auch Konvertiten zum Christentum Ausweisdokumente ausstellt, der u.a. durch eine Geburtsurkunde zu führende erforderliche Identitätsnachweis aber erfordert, dass der Iraner, was von ihm verlangt werden darf, zur Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht bei der Beschaffung der Geburtsurkunde, ggf. im Heimatland und über Dritte, mitwirkt.

Denn die Voraussetzungen für eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts, die mit der Meldeauflage sichergestellt werden soll, liegen, wie bereits ausgeführt, nicht vor, so dass schon deshalb auch die Meldeauflage nicht rechtmäßig ist.

ddd) Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wäre die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage auch bezüglich der Zwangsgeldandrohung gemäß Art. 36 (Ziff. 3) anzuordnen gewesen.

aaaa) Dies ergibt sich in jedem Fall bereits deswegen, weil aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Anordnungen der räumlichen Beschränkung und der Meldeauflage, die das Gericht wieder hergestellt hätte, die Vollstreckungsvoraussetzung, dass die sofortige Vollstreckung angeordnet worden ist (Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 BayVwZVG) entfallen ist (VG Augsburg, B. v. 24.02.2012 - Au 5 S 12.154, Au 5 S 12.156 - juris Rn. 16; Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand Februar 2019, Art. 31 BayVwZVG, II,1).

bbbb) Darüber hinaus wäre im Einzelnen zu prüfen gewesen, ob die Zwangsgeldandrohung bestimmt genug ist.

Gemäß Art. 36 Abs. 5 BayVwZVG ist der Betrag des Zwangsgeldes in bestimmter Höhe anzuordnen.

Bei mehreren gebotenen selbständigen Handlungen, die mit Zwangsgeld durchgesetzt werden sollen, ist grundsätzlich für jede Maßnahme ein bezifferter Betrag anzugeben. Wird stattdessen ein einheitliches Zwangsgeld angedroht, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig, wenn sich aus der Verfügung nicht ergibt, welche Folgen sich für den Pflichtigen ergeben, wenn er ein einzelnes Gebot nicht erfüllt (VG Regensburg, U. v. 22.04.2010 - RO 5 K 09.1472- juris Rn. 30).

Nach summarischer Prüfung ist die verfügte Zwangsgeldandrohung hier noch bestimmt genug, weil sie der Kläger dahingehend verstehen konnte und musste, dass ihm jeweils ein Zwangsgeld von 450 EUR droht, sobald er das Stadtgebiet ... ohne Erlaubnis verlässt bzw. jedes Mal wenn er sich nicht an einem der genannten Werktage nicht um 10.00 Uhr beim Ausländeramt meldet.

cccc) Darüber hinaus bestehen aber Anhaltspunkte dafür, dass die Klage gegen die Zwangsandrohung deshalb Erfolg versprach, weil das Zwangsgeld zu hoch bemessen worden war.

Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG setzt als Rahmen für ein Zwangsgeld mindestens fünfzehn und höchstens fünfzigtausend Euro fort. Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BayVwZVG gibt vor, dass das Zwangsgeld das wirtschaftliche Interesse erreichen soll, das der Pflichtige an der Vornahme oder am Unterbleiben der Handlung hat.

Seine Beugefunktion kann das Zwangsgeld aber nur erfüllen, wenn der Pflichtige, realistisch betrachtet, auch in der Lage Ist, es zu zahlen. Deshalb ist das Zwangsgeld einerseits so zu bemessen, dass es vom Pflichtigen als Nachteil empfunden wird, andrerseits muss es jedenfalls grundsätzlich von ihm auch aufgebracht werden können. Deshalb darf die Behörde bei Empfängern von Asylbewerberleistungen Zwangsgeld nur in einer Höhe androhen und festsetzen, dass eine Beitreibung nicht von vornherein zwecklos ist (vgl. OVG Münster, B. v. 08.09.2009 - 19 A 971/09, 19 E 490/09 - juris Rn. 3-5: Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 600 EUR zusammen mit der Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 600 EUR bei einem Bezug von AsylbLG-Leistungen von 372,44 EUR zu hoch).

Nach diesen Grundsätzen ist die Festlegung des Zwangsgeldes auf 450 EUR für jeden einzelnen Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung und eine engmaschige Meldeauflage wohl nicht mehr ermessensgerecht. Zwar setzte das Landratsamt ... - Sozialhilfeverwaltung gegenüber dem Kläger, dem die Erwerbstätigkeit nicht (mehr) erlaubt ist, die AsylbLG-Leistungen ab 01.01.2018 auf (insgesamt) 953,51 EUR fest. In diesem Betrag sind jedoch 360,00 EUR für die Unterkunft und ein AOK-Beitrag von 177,51 EUR enthalten. Damit hat der Kläger monatlich 416,00 EUR tatsächlich zur Verfügung, um seine weiteren Ausgaben zu bestreiten und damit und somit auch ggf. ein Zwangsgeld zu zahlen. Die Beitreibung eines Zwangsgeldes, gerade auch für jeden einzelnen unentschuldigten Meldeverstoß, in Höhe von 460,00 EUR verspricht deshalb von vornherein wohl eher keinen Erfolg. Offen bleiben kann, zumal in einer Kostenentscheidung gemäß § 161 Abs. 2 VwGO, in welcher Höhe ein Zwangsgeld hätte bestimmt werden dürfen, insbesondere ob ein Zwangsgeld in Höhe von 30 % des Regelbedarfs, d.h. hier in Höhe von 953,51 EUR : 3 = 317,84 EUR angedroht werden darf (in diesem Sinne, sofern bei Festsetzung eine Ratenzahlung in Aussicht gestellt wird, VG Gelsenkirchen, B. v. 16.03.2016 - 17 L 355/16 - juris Rn. 38-40). [...]