OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 27.08.2002 - 3 Bf 415/01.A - asyl.net: M2740
https://www.asyl.net/rsdb/M2740
Leitsatz:

Ist der Herkunftsstaat des Ausländers unbekannt, darf das Bundesamt nicht feststellen, dass hinsichtlich des noch unbekannten Herkunftsstaats ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs.6 AuslG nicht vorliegt.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Burkina Faso, Nigeria, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Abschiebungshindernis, Herkunftsstaat, konkrete Herkunftsstaatbezeichnung, Zielstaatsbezeichnung, Identitätstäuschung, Rechtsschutzinteresse
Normen: AuslG § 53 Abs. 6; AsylVfG § 31 Abs. 3 S. 1
Auszüge:

 

Die positive oder negative Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse kann grundsätzlich nur in Ansehung der tatsächlichen Verhältnisse eines konkreten Staates getroffen und gerichtlich überprüft werden. Das ergibt sich für § 53 Abs. 6 AuslG schon daraus, dass die hierfür in § 41 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG angeordnete gesetzliche Rechtsfolge, die dreimonatige Aussetzung der Abschiebung "in den betreffenden Staat", eine eindeutige Angabe des Zielstaates erfordert. Hinsichtlich welcher Staaten danach über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zu entscheiden ist, ist nicht ausdrücklich geregelt. Das Gesetz geht erkennbar davon aus, dass die Feststellung des Bundesamtes zu § 53 AuslG sich in erster Linie auf den Herkunftsstaat des Asylbewerbers beziehen soll, im Hinblick auf den politische Verfolgung geltend gemacht wird und der sich bei Erfolglosigkeit dieses Begehrens vorrangig als Zielstaat für eine Abschiebung anbietet. Dagegen begründet das Gesetz keine Pflicht des Bundesamtes auf weltweite Prüfung von Abschiebungshindernissen. Eine derart weitgehende Pflicht kann insbesondere nicht aus dem nach § 50 Abs. 2 AuslG vorgeschriebenen allgemeinen Hinweis auf die Möglichkeit der Abschiebung in andere Staaten hergeleitet werden. Allerdings ist das Bundesamt berechtigt, von sich aus eine Feststellung zu § 53 AuslG auch bezüglich anderer, für die Abschiebung in Betracht kommender Zielstaaten gewissermaßen auf Vorrat zu treffen (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 4.12.2001, DVBl. 2002 S. 838, 840; s. auch Urt. v. 25.7.2000, BVerwGE Bd. 111 S. 343, 348; GK-AsylVfG § 34 Rdnrn. 48, 50).

Das Bundesamt hat in seinem Ablehnungsbescheid festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und dem Kläger die Abschiebung in seinen Herkunftsstaat angedroht. Eine solche Feststellung ist im Regelfall trotz ihrer allgemein gehaltenen Formulierung lediglich auf den in der Begründung der Entscheidung genannten Herkunftsstaat des Ausländers zu beziehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.12.2001, DVBl. 2002 S. 838, 839). Das gilt auch hier. In dem Bescheid heißt es, der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihm "bei Rückkehr in sein Heimatland" die in § 53 AuslG genannten Gefahren drohen. Ein bestimmter Herkunftsstaat ergibt sich indes aus dem Bescheid nicht. Die Staatsangehörigkeit des Klägers wird mit "unbekannt" angegeben. Seiner Behauptung, er sei burkinischer Staatsangehöriger, hat das Bundesamt keinen Glauben geschenkt. Es hat ausgeführt, der Kläger täusche über seine Staatsangehörigkeit und Herkunft (§ 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG). Danach ist der Bescheid nicht dahin zu verstehen, dass das Bundesamt das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen in Bezug auf den Staat geprüft und verneint hat, von dem der Kläger behauptet, er sei sein Heimatstaat, nämlich im Hinblick auf Burkina Faso. Das wird von den Berufungsführern auch nicht geltend gemacht. Vielmehr ist der Bescheid dahin zu verstehen, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG hinsichtlich des noch unbekannten Herkunftsstaates nicht vorliegt, welches auch immer dieser Herkunftsstaat sei.

Allerdings gibt es eine Besonderheit. In dem Ablehnungsbescheid heißt es nämlich weiter, auf Grund seines Dialektes könne es gut sein, dass der Kläger aus Nigeria stamme. "Auch" bei einer Rückkehr nach Nigeria seien keinerlei Abschiebungshindernisse ersichtlich. Dieser Zusatz soll, wie das Wort "auch" am Anfang verdeutlicht, die zuvor getroffene Feststellung nicht in Frage stellen oder etwa auf Nigeria beschränken. Vielmehr wird aus der offenen Zahl möglicher Herkunftsstaaten ein Staat, für den eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, exemplarisch herausgestellt und hervorgehoben, dass für ihn ein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG nicht vorliegt.

Der Mitteilung des Bundesamts unter Hinweis auf die eben behandelte Passage des angefochtenen Bescheids, es konkretisiere die Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, auf das Land Nigeria, ist nicht zu entnehmen, dass es die von ihm getroffene Entscheidung zum Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Nr. 3 des Bescheides vom 27. September 2000) teilweise aufhebt oder ändert. Andernfalls hätte es zugleich die Hauptsache insoweit für erledigt erklärt. Es ist auch nicht geboten, derartige Erklärungen der Beteiligten herbeizuführen oder das Bundesamt um eine Präzisierung im Hinblick auf den angefochtenen Bescheid zu veranlassen, weil sich dadurch am Ausgang des Rechtsstreits, auch was die Kostenverteilung anbelangt, substantiell nichts ändern würde.

Es begegnet nach dem oben Gesagten keinen Bedenken, dass die Beklagte das Bestehen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG exemplifizierend oder zusätzlich "auf Vorrat" für den möglichen Herkunftsstaat Nigeria verneint hat. Das Vorbringen des Klägers gibt keinen Anlass, hinsichtlich § 53 Abs. 6 AuslG in eine nähere Überprüfung dieser Feststellung einzutreten. Insoweit müssen damit die Berufungen Erfolg haben.

Soweit es um die Feststellung geht, dass in dem Herkunftsstaat des Klägers Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht bestehen, welches auch immer der Herkunftsstaat sei, fehlt der Klage nicht das Rechtsschutzinteresse. Ein Rechtsschutzinteresse besteht hinsichtlich aller Staaten, für die das Bundesamt festgestellt hat, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und damit eine Entscheidung zu Lasten des Klägers getroffen hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.12.2001, DVBl. 2002 S. 838, 839). Es ist nämlich zu besorgen, dass im Falle einer bestandskräftig gewordenen negativen Feststellung des Bundesamtes zu § 53 AuslG Abschiebungshindernisse gegenüber einer späteren Konkretisierung des Herkunftsstaates als Zielstaat der Abschiebung nur noch beschränkt geltend gemacht werden können, etwa in der Weise, dass diese nur nach Maßgabe des § 51 VwVfG zu prüfen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.7.2000, BVerwGE Bd. 111 S. 343, 349; GK-AsylVfG § 34 Rdnr. 46).

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht die Feststellung, dass hinsichtlich des Herkunftsstaates des Klägers, welcher Staat dies auch immer sei, ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht besteht, aufgehoben. Zwar ist das Bundesamt befugt, das Bestehen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich aller als Herkunftsstaat in Betracht kommenden Länder (z.B. hinsichtlich aller englischsprachigen Staaten Schwarzafrikas) zu prüfen, stets muss sich die Feststellung jedoch auf konkrete Staaten beziehen. Das ist hier, wie dargestellt, nur hinsichtlich Nigerias der Fall. Dass eine globale oder pauschale Verneinung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht gebilligt werden kann, zeigt hier bereits der vom Kläger in der Darstellung seines angeblichen Schicksals mehrfach genannte Staat Sierra Leone, für den das Bundesamt im Zeitpunkt der Entscheidung im Hinblick auf die unübersichtliche Lage von einer negativen Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG abgesehen hat (vgl. Schriftsatz v. 2.10.2000 in der Sache 3 Bf 191/99.A).

Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht deswegen gerechtfertigt, weil der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist und seine Herkunft verschleiert hat. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht hervorgehoben, dass der konkrete Zielstaat auch demjenigen Ausländer vor der Abschiebung in einer Weise mitgeteilt werden muss, dass er einen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Rechtsschutz erlangen kann, der keine oder falsche Angaben über seine Staatsangehörigkeit gemacht hat (vgl. BVerwG, Ort. v. 25.7.2000, BVerwGE Bd. 111 S. 343, 347).