SG Bremen

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Zitieren als:
SG Bremen, Beschluss vom 24.05.2019 - S 39 AY 46/19 ER - asyl.net: M27390
https://www.asyl.net/rsdb/M27390
Leitsatz:

Vorläufige Gewährung angepasster (höherer) Asylbewerberleistungen nach § 3 Abs. 4 AsylbLG:

1. Für die Leistungserhöhung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG braucht keine Bekanntgabe der angepassten Sätze durch das Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) abgewartet zu werden.

2. Ein auf Gewährung der angepassten Leistungen gerichteter Eilantrag ist begründet.  Ein Anordnungsgrund liegt auch für die isolierte Erhöhung der Leistungen vor, wenn die begehrte Erhöhung der existenzsichernden Leistungen mehr als 5 € beträgt.

(Leitsätze der Redaktion, ähnlich: M27467 und M27468)

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Sozialrecht, Sozialleistungen, Erhöhung, Inflationsanpassung, Teuerungsausgleich,
Normen: AsylbLG § 3 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Diese Erhöhung des Leistungsanspruchs ergibt sich direkt aus dem Gesetz. Die Regelbedarfshöhe
im AsylblG ist an die Erhöhung der Regelbedarf nach dem SGB XII gekoppelt. Soweit die Leistungsveränderungen nach dem SGB XII feststehen, sind die Leistungen nach § 3 AsylblG entsprechend anzupassen. Die Fortschreibung der Regelbedarfe dient der Dynamisierung der Leistungen, um ein jahrelanges statisches Festhalten an nicht mehr realitätsgerechten Festsetzungen zu vermeiden (Wahrendorf, AsylblG, Kommentar 2017, § 3 Rn. 67). Der Leistungsbezieher hat daher einen einklagbaren Anspruch auf Leistungen in angepasster Höhe. Eine vorherige Entscheidung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber ist nicht notwendig, da die Norm die Berechnung vorgibt und somit keine wesentliche Entscheidung zu treffen ist.

Aus § 3 Abs. 4 S. 3 AsylblG folgt nicht, dass vor der Anpassung der Leistungshöhe eine Entscheidung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) erfolgen muss. Das BMAS hat nur die Höhe der Bedarfe im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben. Eine unterlassene Veröffentlichung führt nicht dazu, dass die durch Gesetz vorgeschriebene Anpassung unterbleibt. Die Bekanntgabe ist nicht verbindlich, sondern dient der Transparenz und einheitlichen Gesetzesanwendung (Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 3 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 179). Sinn und Zweck der Bekanntgabe durch das BMAS ist daher lediglich die Sicherstellung einer einheitlichen Leistungsberechnung. Zweck der Vorschrift ist dagegen nicht, dass bei einer unterlassenen Bekanntgabe die gesetzlich vorgeschriebene Leistungserhöhung ausbleibt. Kommt das BMAS seiner Pflicht zur Bekanntgabe der höheren Leistungssätze nicht nach, kann der Zweck einer bundeseinheitlichen Leistungsgewährung eventuell nicht sofort erfüllt werden. In diesem Fall sind alle Leistungsträger dazu verpflichtet, die Leistungsberechnung unter Berücksichtigung der zwingenden gesetzlichen Anpassungsvorschriften selbst vorzunehmen. Die unterlassene Rechtsanwendung des BMAS kann nicht zulasten der Leistungsempfänger gehen.

Soweit § 3 Abs. 5 AsylblG vorschreibt, dass bei einer neuen bundesweiten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe der notwendigen persönliche Bedarf (§ 3 Abs. 1 AsylblG) und die Höhe des notwendigen Bedarfs (§ 3 Abs. 2 AsylblG) neu festgesetzt werden, führt dies nicht dazu, dass bei einer Unterlassung dieser Neufestsetzung keine Erhöhung nach § 3 Abs. 4 AsylbIG zu erfolgen hat. Bis zu einer tatsächlichen Neufestsetzung durch den Gesetzgeber ist weiterhin die gesetzliche vorgeschriebene Erhöhung nach § 3 Abs. 4 AsylblG durchzuführen (vgl. zum Vorstehenden: SG Stade, Beschluss vom 06.03.2019 - 19 AY 1/19 ER).

Dieser Gesetzesauslegung stehen auch nicht die Ausführungen des BMAS in der Stellungnahme vom 29.01.2019 entgegen. Insoweit nimmt das BMAS lediglich Bezug auf § 3 Abs. 5 AsylblG und stellt ohne jegliche Begründung die Behauptung auf, dass mangels Neufestsetzung nach § 3 Abs. 5 AsylblG auch eine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylblG ausscheidet.

Ebenso ist auch der Gesetzesentwurf, mangels Gesetzeserlass, nicht zu berücksichtigen. [...]