VG Osnabrück

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Zitieren als:
VG Osnabrück, Urteil vom 17.09.2018 - 5 A 51/17 - asyl.net: M27324
https://www.asyl.net/rsdb/M27324
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für homsexuelle Person aus Venezuela:

Homosexuelle Handlungen sind in Venezuela nicht strafbar. Die Diskriminierung und Ausgrenzung homsexueller Personen in der venezolanischen Gesellschaft ist nicht so gravierend, dass sie eine Flüchtlingsanerkennung rechtfertigt. Sie führt aber dazu, dass homosexuelle Personen in der gegenwärtigen Krise ihren Lebensunterhalt nicht sichern können, weshalb ein Abschiebungsverbot festzustellen ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Venezuela, homosexuell, Diskriminierung, Existenzgrundlage, Abschiebungsverbot, soziale Gruppe, Flüchtlingsanerkennung, sexuelle Orientierung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4, AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Die Kammer geht aber davon aus, dass in Venezuela Homosexuelle vom Rest der Gesellschaft nicht im oben bezeichneten Sinne deutlich abgegrenzt werden. Zwar kann zum Beispiel die Kriminalisierung homosexueller Handlungen hierfür als Indiz herangezogen werden, sofern strafrechtliche Bestimmungen vorhanden sind, die spezifisch Homosexuelle bzw. homosexuelle Handlungen betreffen. Dies erlaubt dann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 07.11.2013, - C-199/12 - C-201/12 -, juris) die Feststellung, dass solche Personen in ihrem Herkunftsland vom Rest der Gesellschaft deutlich abgegrenzt werden. Das ist allerdings nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen in Venezuela gerade nicht der Fall. Aus dem Report oft he LGBTI Network of Venezuela, Human Rights of Lesbian Gays Bisexual Trans and Intersex Persons in Venezuela, Stand: Mai 2015, geht vielmehr hervor, dass es zwar eine latente Homosexuellenfeindlichkeit in der katholisch geprägten Gesellschaft Venezuelas gibt, Homosexualität ist danach aber in Venezuela nicht strafbar. Vielmehr wird wiederholt darauf abgestellt (vgl. beispielsweise Seite 9 und 10 des Reports), dass sexuelle Orientierungen in Venezuela gerade nicht strafbar sind. Es wird vielmehr bemängelt, dass entsprechende Übergriffe nicht offensiv durch staatliche Behörden verhindert werden. Weiter wird bemängelt, dass es keinen legalen Schutz für gleichgeschlechtliche Ehepaare gibt (Seite 31 des Reports) und dass es auch homosexuellenfeindliche Aussprüche von Regierungsmitgliedern gibt (vgl. z.B. Seite 27 des Reports).

Im Übrigen zeigt bereits der Umstand, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben seit er 15 war, seine sexuelle Orientierung auch ausgelebt hat, indem er eine Beziehung zu einem 19 Jahre alten Freund hatte, dass offensichtlich eine derartige Ausgrenzung der Homosexuellen als Gruppe in der venezolanischen Gesellschaft so nicht zu erkennen ist. [...]

Die Kammer geht allerdings davon aus, dass beim Kläger ein nationales Abschiebungsverbot
gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt.

Die Zuerkennung dieses Abschiebungsverbotes setzt voraus, dass im Zielstaat der Abschiebung - hier Venezuela - das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht ist. Das kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25/18 -) der Fall sein, wenn derjenige seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Dabei bedarf es der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls. Angesichts der außerordentlich prekären Versorgungslage, die inzwischen in Venezuela herrscht, geht die Kammer aufgrund des persönlichen Eindrucks, den die Kammer vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, davon aus, dass er bei einer Rückkehr nach Venezuela seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, wenn gleichzeitig bekannt ist, dass der homosexuell ist. Angesichts des Umstandes, dass der Kläger seine Homosexualität nach seinen eigenen Angaben auch zuvor in Venezuela durch das Ausleben einer homosexuellen Beziehung gelebt hat, geht die Kammer davon aus, dass der Kläger dieses auch bei einer Rückkehr nach Venezuela wieder versuchen würde. Der Kläger hat nachvollziehbar dargelegt, dass er seinem Vater nichts von seiner Homosexualität erzählt habe, vielmehr dieses vor ihm geheim gehalten habe. Auf die Unterstützung seiner Großmutter kann er zur Überzeugung der Kammer nicht verwiesen werden, weil diese nach seinen eigenen Angaben selbst Rentnerin ist und deshalb Schwierigkeiten haben dürfte, sich selbst zu versorgen. Auch geht die Kammer davon aus, dass der Kläger nicht auf die Unterstützung seiner in Deutschland lebenden Mutter verwiesen werden kann. Nach den Angaben des Klägers ist diese derzeit ledig und erwartet in Kürze in zweites Kind. Sie lebt offensichtlich von Sozialleistungen und unterstützt bereits ihre in Venezuela verbliebene Familie von Deutschland aus finanziell. Der Kläger hat selbst nachvollziehbar erklärt, dass dies seine Mutter aber nur sporadisch mache, weil sie sich mehr nicht leisten könne. Unter diesen Umständen hält die Kammer es für ausgeschlossen, dass die Mutter dann auch noch in der Lage wäre, auch noch den Kläger in Venezuela ausreichend zu unterstützen, zumal davon auszugehen ist, dass er aufgrund seiner sexuellen Orientierung latenten Repressalien ausgesetzt sein dürfte. [...]