VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 10.04.2019 - 6 A 2689/17 - asyl.net: M27270
https://www.asyl.net/rsdb/M27270
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für "Influencerin" aus dem Irak:

Schutzsuchende Frauen, die sich im Internet sehr "westlich" präsentieren, gehören zur sozialen Gruppe irakischer Frauen, deren Identität westlich geprägt ist. Hierzu zählt auch ein am westlichen Konsumdenken orientiertes Betreiben eines Youtube-Channels und Instagram-Accounts (hier: Schmink-Tipps und Vorstellen von Pflegeprodukten ohne Schleier, 23.000 Follower).

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf VG Hannover, Urteil vom 10.12.2018 - 6 A 6837/16 - asyl.net: M26982)

Schlagwörter: Irak, Frauen, geschlechtsspezifische Verfolgung, Verwestlichung, Youtube, Influencerin, Influencer, Instagram, Youtube-Channel, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit, westlicher Lebensstil,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 3a Abs. 1, AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4, AsylG § 3c, AsylG § 3d, AsylG § 3a Abs. 3, AsylG § 3b Abs. 2, EMRK Art. 3, AsylG § 28 Abs. 1a,
Auszüge:

[...]

Die Klägerin wäre aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe irakischer Frauen, deren Identität westlich geprägt ist (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 HS 1 AsylG), im Fall der Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylG durch staatliche Akteure ausgesetzt. [...]

Nach ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung ist die Einzelrichterin davon überzeugt, dass die Klägerin die von ihr gelebte westliche Lebensweise so tief in ihrer Persönlichkeit verinnerlicht hat, dass sie diese nicht mehr ablegen kann bzw. dies von ihr nicht mehr verlangt werden kann. Wenn auch diese westliche Lebensweise anders als im oben zitierten Urteil weniger intellektuell geprägt ist, sondern sich vielmehr vor allem am westlichen Konsumdenken und einer Darstellung in der Öffentlichkeit orientiert, so sind auch gerade diese Dinge Ausdruck eines - vor allem von jungen Leuten gelebten - westlichen Lebensstils. Die Klägerin vermochte die Einzelrichterin in der mündlichen Verhandlung jedenfalls davon zu überzeugen, dass ihr ihre Internetauftritte sehr wichtig sind, sie sogar darauf hofft, dies beruflich weiter zu betreiben und berühmt zu werden und dass sie nicht bereit ist, diese Tätigkeiten einzustellen, um den Vorstellungen ihrer Familie im Irak zu entsprechen.

Welcher Gefahr gerade solche Frauen ausgesetzt sind, die sich im Internet sehr westlich präsentieren, zeigen die oben angeführten Beispiele der Ermordung von ... u. a. "Social Media Stars". Die Einzelrichterin ist weiter davon überzeugt, dass die Klägerin mit ihren derzeit ca. 23.000 Followern auch bereits einer solchen ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre. Auch die Bedrohung durch die eigene Familie, vor allem durch den Bruder, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, so dass die Einzelrichterin hiervon überzeugt ist. [...]