VG Greifswald

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Zitieren als:
VG Greifswald, Beschluss vom 17.04.2019 - 2 B 361/19 HGW - asyl.net: M27202
https://www.asyl.net/rsdb/M27202
Leitsatz:

Unmittelbare Geltung der EU-Aufnahmerichtlinie für die Änderung der Wohnsitzauflage:

1. Bei der Entscheidung über die Änderung einer Wohnsitzauflage gem. § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG sind die europarechtlichen Vorgaben von Art. 18 Abs. 6 Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU zu beachten. Danach haben die Mitgliedsstaaten und damit die für sie handelnden Ausländerbehörden dafür Sorge zu tragen, dass Asylsuchende nur dann in eine andere Einrichtung verlegt werden, wenn dies notwendig ist.

2.  Die Aufnahmerichtlinie hat seit Juli 2015 eine unmittelbare Rechtswirkung, da sie bis Juli 2015 nicht ins innerdeutsche Recht umgesetzt wurde.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Wohnsitzauflage, Umverteilung, unmittelbare Geltung, Umsetzungsfrist, Ermessen, Ermessensfehler, Anhörung,
Normen: AsylG § 60 Abs. 2 S. 1 Nr 2, AsylG § 75 Abs. 1, RL 33/2013 Art. 18 Abs. 6
Auszüge:

[...]

25 Der Antragsgegner hat seine Maßnahme zutreffend auf § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG gestützt. Danach kann ein Ausländer, der nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist (§ 2 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes), verpflichtet werden, in eine bestimmte Gemeinde, Wohnung oder Unterkunft umzuziehen.Da ein Ausländer, der um Asyl nachsucht, keinen Anspruch darauf hat, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG), setzt die Anordnung nach ihrem Wortlaut grundsätzlich keine weiteren Gründe voraus. Allerdings sind bei der Anwendung der Vorschrift die Vorgaben des Art. 18 Abs. 6 der Richtlinie 2013/33/EU zu beachten. Danach haben die Mitgliedsstaaten und damit die für sie handelnden Ausländerbehörden dafür Sorge zu tragen,

26 dass Antragsteller auf internationalen Schutz nur dann in eine andere Einrichtung verlegt werden, wenn dies notwendig ist. Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung), auch Aufnahmerichtlinie genannt, hat im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gemeinsame Normen für den genannten Personenkreis eingeführt. Zweck dieser Richtlinie ist nach Art. 1 der Richtlinie die Festlegung von Normen für die Aufnahme von Antragstellern auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten. Diese EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33 hat seit Juli 2015 eine unmittelbare Rechtswirkung, da sie bis Juli 2015 nicht ins innerdeutsche Recht umgesetzt wurde, d.h. sie kann vor jedem Gericht durchgesetzt werden. Die Europäische Kommission hat gegen die deutsche Regierung wegen Nicht-Umsetzung ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet (Pressemitteilung IP/15/6276 vom 23.9.2015).

27 Es kann hier offenbleiben, ob die Vorgaben des Art. 18 Abs. 6 der Richtlinie 2013/33/EU bereits den Tatbestand von § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG einschränken oder lediglich bei der Ausübung des Ermessens zur Anwendung kommen. Da das Gesetz den Antragsgegner ermächtigt ("kann"), nach seinem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 Satz 1 VwGO). [...]