Nur nationales Abschiebungsverbot bei Wehrdienstentziehung in Syrien:
1. Keine Flüchtlingsanerkennung für syrischen Christen aus der Hafenstadt Tartus, der sich durch Ausreise dem Wehrdienst in Syrien entzogen hat.
a. Die Sanktionierung der Wehrdienstentziehung durch den syrischen Staat knüpft nicht generell an eine vermutete oder vorhandene politische Überzeugung an.
b. Die Herkunft aus einer Oppositionshochburg kann als Ausdruck politischer Opposition angesehen werden; die Stadt Tartus, die Stützpunkt sowohl für die syrische als auch die russische Marine ist, war nie eine solche Rebellenhochburg.
c. Darüber hinaus gewährt ein Präsidialdekret vom 9.10.2018 syrischen Wehrdienstverweigerern und Deserteuren Straffreiheit.
2. Kein subsidiärer Schutz, da weder Todesstrafe, noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder individuelle Bedrohung durch bewaffneten Konflikt drohen.
a. Dem Antragsteller droht in Syrien weder Folter noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung. (Ausführungen dazu, dass aufgrund der Ausreise für längere Zeit und Asylantragstellung im Ausland keine Regimegegnerschaft durch den syrischen Staat unterstellt wird, obwohl die Verfolgung aus politischen Gründen keine Voraussetzung für den subsidiären Schutz ist.)
b. Der Antragsteller ist bei Rückkehr nach Tartus als Zivilperson nicht individuell von willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts betroffen. Das syrische Regime hat 2018 weite Teile des Landes zurückerobert, daher herrscht nicht mehr in allen Landesteilen ein bewaffneter Konflikt. Nur noch Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zors sowie die Kurdengebiete sind von Kampfhandlungen unterschiedlichen Umfangs betroffen.
3. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt vor.
a. Zwar droht dem Antragsteller in Syrien keine individuelle Gefahr durch einen konkret handelnden Akteur, so dass keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar ist (unter Bezug auf BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - asyl.net: M20529).
b. Aufgrund der derzeitigen humanitären Bedingungen in Syrien droht bei Rückkehr eine Art. 3 EMRK-Verletzung, da angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage ein Extremfall i.S.d. EGMR-Rechtsprechung vorliegt (unter Bezug auf EGMR, Urteil vom 21.11.2011, Nr. 11449/07 Sufi und Elmi gg. das Vereinigte Königreich).
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
1. und 2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter liegen nicht vor. [...]
Der Unterzeichner zweifelt nicht daran, dass der Antragsteller zum Wehrdienst in Syrien herangezogen werden sollte oder werden soll. [...]
Das für seine Antragstellung ursächlich vorgetragene Schicksal enthält keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine menschenrechtswidrige zielgerichtete Verfolgungshandlung, die in ihrer Intensität so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verlegung der grundlegenden Menschenrechte darstellt und die vorgetragenen Ereignisse den Schutzbereich des § 3 AsylG eröffnen.
In Syrien gilt eine Wehrpflicht für Männer vom 18. bis zum 42. Lebensjahr. An eine Wehrdienstentziehung, Desertion und/oder illegale Ausreise geknüpfte Sanktionen stellen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus die Betroffenen auch wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (siehe zuletzt BVerwG, Beschluss vorn 24.04.2017, Az.: 1 B 22.17, juris, unter Bezugnahme auf seine Urteile vom 19.08.1986, DVBl. 1987, 47; 06.12.1988, NVwZ 1989, 774 und 25.06.1991, InfAuslR 1991, 310; vgl. dazu ausführlich OVG Lüneburg, Beschluss vom 05.12.2018, Az.: 2 LB 570/18).
Davon ausgehend knüpft die Sanktionierung von Dienstentziehung/Desertion und illegaler Ausreise durch den syrischen Staat nicht generell an eine vermutete oder vorhandene politische Überzeugung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG an. Der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Konnex zwischen Verfolgungshandlung und einer (vermuteten) missliebigen politischen Überzeugung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG lässt sich gegenwärtig nach den Erkenntnissen des Bundesamtes nicht feststellen.
Als Ausdruck politischer Opposition oder regimefeindlicher, oppositioneller Gesinnung kann jedoch angesehen werden, wenn der Wehrpflichtige sich z.B. nachweisbar regimekritisch geäußert oder sonst politisch betätigt hat, Verbindungen zur Opposition hat, aus einer Oppositionshochburg oder aus Rebellengebieten kommt. Ein entsprechender Vortrag vom Antragsteller ist durch den Unterzeichner während der Anhörung nicht zu vernehmen gewesen. Der Antragsteller wohnte vor seiner Ausreise in Tartus. Dort befindet sich auch die Marinebasis Tartus, ein Marinestützpunkt, welcher sowohl von der syrischen als auch von der russischen Marine genutzt wird. Gegenwärtig ist es der einzige Stützpunkt, den die russische Marine im Mittelmeer kontinuierlich unterhält seit etwa 2012 und war weder eine Hochburg für die Opposition noch für die Rebellen. Somit stammt der Antragsteller auch aus keinem der angesprochenen Gebiete.
Abgesehen davon erließ das syrische Regime das Präsidialdekret Nr. 18/2018 am 09.10.2018, das syrischen Deserteuren und Wehrdienstverweigerern im In- und Ausland Straffreiheit gewährt. Diese Amnestie auf Strafen für Desertion und Wehrdienstverweigerung ändert jedoch nichts an der Wehrpflicht der Betroffenen, sie besteht fort.
Insofern sind nach Überzeugung des Unterzeichners keinerlei weitere Erkenntnisse vorliegend, weiche Verfolgungshandlungen oder eine landesweite Verfolgung durch den Staat für den Antragsteller befürchten lassen könnten. [...]
3. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus liegen nicht vor. [...]
Dem Antragsteller droht im Herkunftsland ebenfalls weder Folter, erniedrigende oder unmenschliche Behandlung oder Bestrafung gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
Es kann nach den Erkenntnissen des Bundesamtes nicht davon ausgegangen werden, dass der syrische Staat jedem für längere Zeit ausgereisten syrischen Staatsbürger, der im Ausland ein Asylverfahren betrieben hatte und wieder zurückkehrt, pauschal unterstellt, ein Regimegegner zu sein bzw. in engerer Verbindung mit oppositionellen Kreisen im Exil zu stehen und deswegen gegen ihn vorgeht. Hierzu müssen besondere zusätzliche Anhaltspunkte bzw. gefahrenhöhende Merkmale vorliegen. Hierzu wird im Hinblick auf den in Syrien abzuleistenden Wehrdienst und einem Entzug auf die Ausführungen zum Flüchtlingsschutz unter Ziffer 1. und 2. in diesem Bescheid verwiesen.
Der Antragsteller muss keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit befürchten, weil er als Zivilperson nicht von willkürlicher Gewalt im Rahmen eines in seinem Herkunftsland bestehenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts betroffen ist.
Zwar ist davon auszugehen, dass in Teilen von Syrien ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht oder zumindest nicht ausgeschlossen werden kann und der Antragsteller als Zivilperson sich daran nicht aktiv beteiligt hat.
Es drohen ihm jedoch bei einer Rückkehr nach Tartus/Syrien aufgrund der dortigen Situation keine erheblichen individuellen Gefahren aufgrund willkürlicher Gewalt. [...]
Der vorliegend festgestellte Grad willkürlicher Gewalt erreicht nicht das für eine Schutzgewährung erforderliche hohe Niveau, demzufolge jedem Antragsteller allein wegen seiner Anwesenheit im Konfliktgebiet ohne Weiteres Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG gewährt werden müsste.
Im Jahr 2018 hat das syrische Regime mit seinen Verbündeten Insbesondere weite Teile des Landes zurückerobert, daher kann derzeit nicht mehr für alle Landesteile Syriens von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ausgegangen werden. Von Kampfhandlungen unterschiedlichen Umfangs betroffen sind nach den Erkenntnissen des Bundesamtes nur noch Idlib, Teile Aleppos, Raqqas (Rakkas) und Deir ez Zors sowie die Kurdengebiete. [...]
4. Ein Abschiebungsverbot liegt vor.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG liegen hinsichtlich Syriens vor. [...]
Wie bereits im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG festgestellt, droht dem Antragsteller in Syrien keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. In Bezug auf Gefahren einer Verletzung des Art 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohen, ist daher keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar (vgl. BVerwG, U. v. 13.01.2013, 10 C 15.12).
Darüber hinaus kann nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) eine Verletzung des Art 3 EMRK ausnahmsweise auch dann in Betracht kommen, wenn der Antragsteller im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen (allgemeine Gefahren) zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt.
Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse kann danach nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen (vgl. BVerwG, U. v. 31.01.2013, 10 C 15.12, NVwZ 2013,1167 ff.; VGH BW, U. v. 24.07.2013, A 11 S 697/13 m.w.N. insbesondere zur einschlägigen EGMR Rechtsprechung).
Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Syrien führen zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt.
Bezogen auf Syrien wird derzeit nach den Erkenntnisseen das Bundesamtes angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage von einem Extremfall im Sinne der EGMR-Entscheidung vom 21.11.2011 (Sufi/Elmi v. UK) ausgegangen. [...]