VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 08.02.2019 - 3 A 387/17 MD - asyl.net: M27156
https://www.asyl.net/rsdb/M27156
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für kranken älteren Mann aus Armenien:

Für einen älteren Mann, der wegen seiner Krankheiten auf Medikamente angewiesen, aber kaum erwerbsfähig ist und auch keine Familienangehörigen hat, die ihn unterstützen könnten, ist ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG festzustellen. Denn eine medizinische Versorgung ist für ihn in Armenien dann bereits aus finanziellen Gründen nicht erreichbar.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Armenien, medizinische Versorgung, Zugang, Abschiebungsverbot, zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, Zuzahlungen, Finanzierbarkeit, Behandlungskosten,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf die Feststellung, dass zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Armeniens besteht (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. [...]

Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die durch die Abschiebung wesentlich verschlechtert würden. [...]

In Anwendung dieser Grundsätze geht das Gericht von einer erheblichen konkreten Gefahr für den Kläger aus gesundheitlichen Gründen im Fall seiner Rückkehr nach Armenien aus.

Für den Kläger ist in Armenien die für die Vermeidung des Eintritts einer wesentlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes notwendige medizinische (Grund)Versorgung nicht erreichbar. [...] Ob die Erkrankungen des Klägers im Falle seiner Rückkehr nach Armenien behandelbar sind, bedarf keiner weiteren. Vertiefung. Im Lagebericht des Auswärtigem Amtes vom 21. Juni 2017 (S. 18) wird auf Korruption als Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge und die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals hingewiesen, was dazu führe, dass die Qualität der medizinischen Leistungen des öffentlichen Gesundheitswesens in weiten Bereichen unzureichend sei (S. 18). In seinem Lagebericht vom 24. April 2015 hat das Auswärtige Amt in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es oft von der Durchsetzungsfähigkeit und Eigeninitiative der Patienten abhänge, ob es gelinge, ihr Recht auf kostenlose Behandlung durchzusetzen (S. 18, ebenso Länderinformation Armenien des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23. November 2015, S. 50). Weiteren Erkenntnismitteln zufolge sind Zahlungen "unter der Hand" für die offiziell kostenlosen Gesundheitsleistungen üblich (vgl. Antwort von Prof. Dr. Savvidis an den Hess. VGH vom 12. Mai 2016, S. 9 und 10 f.). Ein großer Teil der Bevölkerung sei nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen (vgl. Länderinformation Armenien des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23. November 2015, S. 51). Hiervon ausgehend ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die erforderliche medizinische Versorgung für den Kläger aus finanziellen Gründen nicht erreichbar ist. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der 58-jährige Kläger keine Angehörigen in Armenien hat und aufgrund seiner Erkrankungen kaum erwerbsfähig sein dürfte. Vor diesem Hintergrund ist es höchst zweifelhaft, ob er in einer Weise Fuß in Armenien fassen kann, dass zumindest eine Notversorgung seiner Krankheit zur Verhinderung einer wesentlichen Verschlechterung sichergestellt ist. [...]