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VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 07.01.2019 - 11 K 2731/18 - asyl.net: M27137
https://www.asyl.net/rsdb/M27137
Leitsatz:

Vorrang des Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung vor den Gesetzen der Religion:

"1. Die Achtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfordert, dass der Einbürgerungsbewerber die Befugnisse des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zur Rechtsetzung vorbehaltlos akzeptiert, und zwar auch dann, wenn das staatliche Recht in Widerspruch zu (vermeintlichen oder tatsächlichen) religiösen Geboten steht (Rn.52).

2. Ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung reicht zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (juris: RuStAG) nicht aus (Rn.54).

3. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss vielmehr auch inhaltlich zutreffen (Rn.54).

4. Ein vom Einbürgerungsbewerber abgegebenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung genügt den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (juris: RuStAG) nicht, wenn es sich hierbei um ein bloßes Lippenbekenntnis handelt, das nicht von einer entsprechenden inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers getragen wird (Rn.55).

5. Ein unzureichendes bloßes Lippenbekenntnis liegt beispielsweise vor, wenn der Einbürgerungsbewerber eindeutige Antworten auf Fragen des Gerichts, die einen Rückschluss auf sein Islamverständnis und auf seine Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung erlauben, vermeidet (Rn.65).

6. Bestehen begründete Zweifel daran, dass der Einbürgerungsbewerber sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt, so ist das nach § 8 Abs. 1 StAG (juris: RuStAG) auszuübende Ermessen negativ auf Null reduziert (Rn.67).

7. Eine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG (juris: RuStAG) setzt u.a. voraus, dass der Einbürgerungsbewerber sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt (Rn.51)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, freiheitliche demokratische Grundordnung, Scharia-Recht, Verfassungsfeindliche Bestrebungen,
Normen: StAG § 10
Auszüge:

[...]

52 Die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist gekennzeichnet u.a. durch die religiös weltanschauliche Neutralität des Staates, der die Religionsfreiheit seiner Bürger achtet und schützt, aber auf religiöse Legitimation verzichtet. Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat schafft durch Recht den Rahmen, in dem sich gesellschaftliches Leben und auch individuelle Religionsbetätigung entfaltet. Diese Ordnungsfunktion der freiheitlichen demokratischen Ordnung kann nur dann wirksam werden, wenn der Primat staatlich gesetzten Rechts vor religiösen Geboten auch im Falle eines Konflikts uneingeschränkt bejaht wird. Die Achtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfordert, dass der Einbürgerungsbewerber die  Befugnisse des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zur Rechtsetzung vorbehaltlos akzeptiert, und zwar auch dann, wenn das staatliche Recht in Widerspruch zu (vermeintlichen oder tatsächlichen) religiösen Geboten steht. Dies erfordert mehr als einen bloßen "Legalgehorsam" unter Beachtung insbesondere des Strafrechts. Die Achtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gilt auch in Bezug auf solche Regelungen, die der Staat zum Schutz der Freiheitsbetätigung seiner Bürger und ihres gleichen Ranges und Würde, etwa der Gleichberechtigung der Geschlechter oder des Schutzes individuell freier Willensbetätigung, geschaffen hat (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 29.05.2018 - 1 C 15/17 - juris -; HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Stand: 06.09.2018, Rn. 18 bis 23).

53 Der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegt darin, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in  Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich geschlossen werden, dass von ihm  auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht (vgl. zum Ganzen VGH Mannheim, Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 - VBlBW 2008, 277; HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, a.a.O., Rn. 27).

54 Ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung reicht zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG  nicht aus. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss vielmehr auch inhaltlich zutreffen, d.h. von einer inneren Überzeugung getragen sein; es stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 - a.a.O.; HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, a.a.O., Rn. 28 m.w.N.).

55 Ein vom Einbürgerungsbewerber abgegebenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung genügt den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht, wenn es sich hierbei um ein bloßes Lippenbekenntnis handelt, das nicht von einer entsprechenden inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers getragen wird. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Einbürgerungsbewerber sich durch sein Antwortverhalten einer Überprüfung seiner inneren Überzeugungen bewusst entzogen hat oder wenn das Antwortverhalten nur den Schluss erlaubt, dass der Einbürgerungsbewerber einbürgerungsschädliche Äußerungen, die seine Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte (vgl. zum Ganzen VGH Mannheim, Urt. v. 07.03.2013 - 1 S 617/12 - n.v. -; HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, a.a.O., Rn. 29 m.w.N.). Das Gericht muss sich in vollem Umfang die Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon verschaffen, dass das vom Einbürgerungsbewerber abgegebene Bekenntnis inhaltlich zutrifft (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, a.a.O., Rn. 31 m.w.N.). [...]