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VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Beschluss vom 04.03.2019 - A 2 K 7437/18 - asyl.net: M27131
https://www.asyl.net/rsdb/M27131
Leitsatz:

Anrufung des BVerwG zur Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts:

1. Bei einer Klage, die auf Dublin-Familienzusammenführung gerichtet ist (hier: auf Annahme des griechischen Aufnahmegesuchs durch das BAMF), handelt es sich um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz im Sinne von § 52 Nr. 2 S. 3 Hs. 1  VwGO. Demnach ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die betroffene Person verpflichtet ist sich aufzuhalten.

2. Falls wegen fehlender Aufenthaltsverpflichtung diese Zuständigkeit nicht gegeben ist, gilt § 52 Nr. 3 VwGO. Nach dessen S. 1 ist bei Anfechtungsklagen das VG zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde; wenn Bundesbehörden (hier: BAMF) handeln, ist nach § 52 Nr. 2 S. 3 Hs. 2 VwGO das VG zuständig, in dessen Bezirk die betroffene Person ihren Wohnsitz hat. Da es sich bei der Verweisung auf § 52 Nr. 3 VwGO um eine Rechtsfolgenverweisung handelt, findet diese Regelung auf alle Klagearten Anwendung (hier: allg. Leistungsklage auf zwischenstaatliche Erklärung).

3. Bei Personen, die sich in Deutschland aufhalten, ist daher das VG an ihrem Wohnsitz zuständig. Für Familienangehörige, die sich nicht in Deutschland befinden, gilt die Verweisung auf § 52 Nr. 5 VwGO, wonach das VG am Sitz des BAMF (also das VG Ansbach) zuständig ist.

4. Da somit unterschiedliche Gerichtsstände gegeben sind, es aber nahe liegt, dass die Familienangehörigen notwendige Streitgenossen sind, ist nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO ein gemeinsames VG durch das BVerwG zu bestimmten, welches das nächsthöhere übergeordnete Gericht ist, da Gerichtsstände in verschiedenen Bundesländern bestehen.

5. Der Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar, da es sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem AsylG handelt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Familienzusammenführung, Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Bundesverwaltungsgericht, Dublin-Familienzusammenführung, Streitigkeit nach dem Asylverfahrensrecht, Gerichtsstand, Streitgenossen, Unanfechtbarkeit, Beschwerdeausschluss, Asylverfahrensrecht,
Normen: VO 604/2013 Art. 9, VO 604/2013 Art. 21 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 17 Abs. 2, VwGO § 52 Nr. 2 S. 3 Hs.2, VwGO § 52 Nr. 2 S. 3 Hs.1, VwGO § 52 Nr. 3 S. 2, VwGO § 52 Nr. 3 S. 3, VwGO § 52 Nr. 5, VwGO § 53 Abs. 3 S. 1, VwGO § 53 Abs. 1 Nr. 3, VwGO § 64, ZPO § 62 Abs. 1, AsylG § 80,
Auszüge:

[...]

Am 28.09.2018 beantragte die Familie beim Verwaltungsgericht Sigmaringen den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung ihres Übernahmeanspruchs (A 2 K 5547/18). Mit in diesem Verfahren ergangenem Eilbeschluss vom 02.11.2018 wurde der Beklagten aufgegeben, die griechische Asylbehörde darum zu ersuchen, dass über die Asylanträge der Kläger zu 1 bis 6 vor einer unanfechtbaren Entscheidung über noch zu erhebende, auf die Verfahrensübernahme gerichtete Hauptsacheklagen nicht entschieden wird. [...]

II.

6 I. Das Gericht macht von der nach § 53 Abs. 3 Satz 1 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch, das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts anzurufen.

7 Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO liegen vor; der Gerichtsstand für den Rechtsstreit richtet sich nach § 52 VwGO und es kommen verschiedene Gerichte in Betracht. Für die Klagen der Kläger zu 1 bis 6 besteht eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach (dazu nachfolgend 1.), für die Klage des Klägers zu 7 ist das anrufende Gericht örtlich zuständig (2.). Es handelt sich um einen Fall (zumindest naheliegender) notwendiger Streitgenossenschaft, weshalb eine Zuständigkeitsbestimmung erforderlich ist (3.).

8 1. Hinsichtlich der Kläger zu 1 bis 6, die keinen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, besteht eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO.

9 a) Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit "nach dem Asylgesetz", die der Zuständigkeitsregelung des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO unterfällt. Die Kläger stützen den geltend gemachten Anspruch auf Übernahme ihrer Asylverfahren zwar nicht auf Vorschriften dieses Gesetzes, sondern auf Bestimmungen der Dublin III-VO. Auch ist der Anwendungsbereich des Asylgesetzes nicht unmittelbar eröffnet, weil die Kläger zu 1 bis 6 (noch) keinen Antrag auf internationalen Schutz in der Bundesrepublik gestellt haben (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Sinn und Zweck des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO gebieten jedoch ein weites Normverständnis. Die Zuständigkeitsregelung soll zum einen der Dezentralisierung asylrechtlicher Streitigkeiten dienen und zum anderen divergierende Zuständigkeiten für inhaltlich zusammengehörende Maßnahmen vermeiden (vgl. bereits zur Vorgängerregelung des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO in der Fassung des Gesetzes über das Asylverfahren vom 16.07.1982, BGBl. I S. 946 <953>: BVerwG, Beschluss vom 27.06.1984 - 9 A 1.84 -, Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 11; BT-Drs. 9/875 S. 27; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 52 Rn. 18). Erfasst sind daher alle Streitigkeiten, die den Zugang zum Asylverfahren, seine Durchführung und seine Rechtsfolgen betreffen und nach den Regeln des Asylgesetzes entschieden werden sollen (vgl. Bergmann, in: Bergmann/ Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 74 AsylG Rn. 11 m.w.N.).

10 Die vorliegende Klage ist auf die Annahme eines Aufnahmegesuchs der griechischen Asylbehörde durch die Beklagte bzw. auf die Erklärung eines Selbsteintritts (Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO) gerichtet; sie hat damit den Zugang zu einem Asylverfahren in Deutschland zum Gegenstand, das seinerseits den Regelungen des Asylgesetzes unterliegt. Der gesetzgeberischen Zielsetzung, Asylstreitigkeiten zu dezentralisieren und nicht mehrere Gerichtsstände für verschiedene Verfahrensabschnitte zu begründen, entspricht es, bereits die nach dem Regime der Dublin III-VO zu beantwortende Frage des Zugangs zum nationalen Asylverfahren als asylrechtliche Streitigkeit zu behandeln. Es fehlt auch nicht an einem dem Wortlaut des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO nach zu fordernden Zusammenhang zur Regelungsmaterie des Asylgesetzes. [...] Diese Erwägungen belegen, dass auch der Streit um die Übernahme des in einem anderen Dublin-Staat betriebenen Asyl - verfahrens als Streitigkeit nach dem Asylgesetz i.S.v. § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO zu qualifizieren ist.

11 b) Nachdem für die Kläger zu 1 bis 6 eine Zuständigkeit nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO wegen fehlender Aufenthaltsverpflichtung nicht gegeben ist, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwGO nach § 52 Nr. 3 VwGO. Dem steht nicht entgegen, dass es sich mangels Verwaltungsaktqualität der erstrebten zwischenstaatlichen Erklärungen nicht um eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (§ 52 Nr. 3 Sätze 1 und 5 VwGO), sondern um ein im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgendes Begehren handeln dürfte. Denn § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO enthält eine Spezialregelung für asylrechtliche Streitigkeiten, die sämtliche Klagearten umfasst (BVerwG, Beschluss vom 27.06.1984, a.a.O.). Halbsatz 2 dieser Vorschrift ist als Rechtsfolgenverweisung zu verstehen, weshalb in solchen Streitigkeiten auch die in Bezug genommenen Regelungen des § 52 Nr. 3 VwGO ungeachtet der Klageart Anwendung finden (ebenso im Ergebnis VG München, Beschluss vom 09.05.2012 - M 22 K 12.30228 -, juris Rn. 14; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 52 Rn. 21; wohl auch Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand 11/2014, § 74 Rn. 65). Für eine unterschiedliche inhaltliche Reichweite der Regelungen in den beiden Halbsätzen findet sich im Wortlaut des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO kein Anhaltspunkt. Die innere Systematik der Zuständigkeitsnorm (zusammenhängende Regelung für Asylstreitigkeiten) und der oben beschriebene Regelungszweck streiten für ein Verständnis als Rechtsfolgenverweisung. Mit der gesetzgeberischen Intention einer Dezentralisierung, d.h. einer Verteilung von Asylprozessen auf die nach dem Aufenthalt der Asylbewerber zuständigen Gerichte, ließe es sich schwerlich in Einklang bringen, wenn in den Fällen eines klageartbedingten Leerlaufens der Verweisung nicht der Sitz des Beschwerten (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), sondern stets derjenige der Beklagten (§ 52 Nr. 5 VwGO) zuständigkeitsbegründend wäre. [...]

14 d) Fehl geht demgegenüber die Argumentation der Kläger, das anrufende Gericht sei wegen der im Eilverfahren getroffene Sachentscheidung für die Klagen insgesamt örtlich zuständig. Eine gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG bindende Entscheidung zur örtlichen Zuständigkeit für das Klageverfahren liegt nicht vor. Die im Eilverfahren getroffene Entscheidung, die einen selbstständigen Ausspruch zur örtlichen Zuständigkeit des angegangenen Gerichts entsprechend § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG nicht enthält, vermag eine solche Bindungswirkung nicht zu entfalten. [...]

15 2. Für die Klage des Klägers zu 7 besteht hingegen eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Sigmaringen nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO. [...]

16 Für die Kläger zu 1 bis 6 einerseits und den Kläger zu 7 andererseits bestehen danach divergierende örtliche Gerichtszuständigkeiten.

17 3. Es liegt auch ein Fall des § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO vor. Bei Klagen notwendiger Streitgenossen (§ 64 VwGO, § 62 Abs. 1 ZPO) mit unterschiedlichen Gerichtsständen kommen verschiedene Gerichte in Betracht und ist ein gemeinsames Verwaltungsgericht zu bestimmen (BVerwG, Beschlüsse vom 10.04.2018 - 6 AV 1.18 -, juris Rn. 7, vom 12.10.2010 - 2 AV 1.10 -, juris, vom 17.07.2002 - 6 AV 1.02 -, Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 29, vom 22.11.1999 - 11 AV 2.99 -, NVwZ-RR 2000, 261, vom 07.05.1996 - 2 AV 1.95 -, juris, und vom 14.05.1992 - 4 ER 403.91 -, Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 18). Nach den zitierten Entscheidungen muss im Verfahren nach § 53 VwGO nicht feststehen, dass eine notwendige Streitgenossenschaft vorliegt. Es genügt vielmehr, dass ihre Annahme nicht fern liegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.05.1992, a.a.O.). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Es liegt nahe, dass eine Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Asyl - verfahren der klägerischen Familie gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 ZPO).

18 Zur Entscheidung nach § 53 VwGO ist das Bundesverwaltungsgericht als nächsthöheres gemeinschaftlich übergeordnetes Gericht berufen, weil Gerichtsstände in verschiedenen Bundesländern bestehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.05.1992, a.a.O.). [...]

20 Der Beschluss ist unanfechtbar. Dies folgt aus § 80 AsylG, wonach Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden können. Nach den vorangegangenen Ausführungen handelt es sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz. Die auf § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO bezogene Bewertung ist auf die im Asylgesetz selbst enthaltene, wortlautidentische Regelung des § 80 zu übertragen. [...]