VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 05.11.2018 - 1 K 2920/18.TR - asyl.net: M26915
https://www.asyl.net/rsdb/M26915
Leitsatz:

Internationaler Schutz für Familienangehörige trotz Versagung von Familienschutz nach § 26 AsylG:

"Scheidet eine Zuerkennung internationalen Schutzes über [Familienschutz nach] § 26 (Abs. 5) AsylG  aus (hier wegen einer nicht unverzüglichen Antragstellung i.S.d. § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), sperrt dieser Umstand nicht zugleich auch eine stattgebende Entscheidung über das Rechtsinstitut der allgemeinen Reflexverfolgung."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Familienasyl, Familienflüchtlingsschutz, Sippenhaft, Reflexverfolgung, Familiennachzug, Unverzüglichkeit der Antragstellung, Sperrwirkung, Spezialnorm, Unverzüglichkeit,
Normen: RL 2011/95/EU Art. 4 Abs. 5 lit d), AsylG § 3, AsylG § 26, AsylG § 26 Abs. 5, AsylG § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

28 b. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Klägerin zu 2.) – was zutreffend ist –, ihren Asylantrag nicht im Sinne des § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG und § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB unverzüglich nach ihrer Einreise am 02.12.2017, sondern erst mit rund viermonatiger Verzögerung am 01.04.2018 gestellt hat. Der Umstand, dass damit der Anerkennungstatbestand des § 26 AsylG für die Klägerin zu 2.) gesperrt ist, führt im Umkehrschluss jedoch nicht dazu, dass diese sich auch im Übrigen nicht auf das Institut der flüchtlingsrechtlichen Reflexverfolgung als solches berufen könnte. Zwar handelt es sich bei § 26 AsylG ebenfalls um einen (gesetzlich explizit geregelten) Fall der Reflexverfolgung, in dessen Rahmen vor dem Hintergrund des Art. 6 GG auf die Geltendmachung individueller Fluchtgründe verzichtet wird (vgl. hierzu auch die Vorbemerkung Nr. 36 der Richtlinie 2011/95/EU); bei dem so erhaltenen internationalen Schutzstatus handelt es sich jedoch nicht um ein genuines, sondern lediglich um ein abgeleitetes Recht, das zudem akzessorisch mit dem (Weiter-)Bestehen des internationalen Schutzes eines Primärverfolgten verbunden ist (vgl. hierzu etwa: (BeckOK AuslR/Günther AsylG § 26 Rn. 4-5a, beck-online).

29 Umgekehrt vermittelt das nicht ausdrücklich normierte Rechtsinstitut der "Reflexverfolgung" einen genuinen Schutzstatus aufgrund eigener Fluchtgründe, die lediglich durch die familiäre Verbundenheit mit einem bzw. mehreren Primärverfolgten induziert werden. Bereits die damit feststehende, unterschiedliche Rechtsnatur der beiden Subtypen einer Reflexverfolgung verbietet es, die Ausschlusswirkung des § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG auch auf die Reflexverfolgung im Übrigen auszudehnen.

30 Hinzu kommt im konkreten Fall auch, dass sich die begründete Furcht der Klägerin zu 2.) vor einer flüchtlingsrelevanten Reflexverfolgung nicht nur aus einer Primärverfolgung des Zeugen ... ableitet, sondern aufgrund der familiären Besonderheiten auch von einer, den gesamten politisch aktiven Familienverbund treffenden, (Reflex-)Verfolgung, wie sie nicht zuletzt auch in der übereinstimmend-glaubhaften Schilderung der Tötung eines der Cousins des Zeugen ... durch syrische Sicherheitskräfte zum Ausdruck kam. Der Umstand, dass dieses Risikomoment von § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AsylG gar nicht erfasst würde, spricht ebenfalls gegen eine umfassende Ausschlusswirkung im vorgenannten Sinne.

31 Zuletzt hindert auch der im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung zu beachtende Art. 4 Abs. 5 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU nicht die Beachtlichkeit der durch die Klägerin zu 2.) geltend gemachten Fluchtgründe, da diese Vorschrift das Erfordernis einer unverzüglichen Antragstellung lediglich im Kontext einer dem jeweiligen Schutzsuchenden zuzubilligenden Beweiserleichterung aufstellt und daher bereits bei grammatikalischer Auslegung keinen Ausschlusstatbestand konstituiert. [...]