AG Hannover

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Zitieren als:
AG Hannover, Beschluss vom 18.12.2018 - 44 XIV 259/18 B - asyl.net: M26893
https://www.asyl.net/rsdb/M26893
Leitsatz:

Unzulässiger Antrag auf Haftverlängerung zur Überstellung im Dublin-Verfahren:

1. Beruht die Verzögerung einer Rücküberstellung per Linienflug allein auf der mangelnden personellen Ausstattung des Landeskriminalamtes, ist dies der betroffenen Person nicht anzulasten und begründet einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot.

2. Plant die Ausländerbehörde auch nach vorherigem zweimaligen Scheitern wegen (angekündigten) Widerstands der betroffenen Person einen erneuten Überstellungsversuch mittels Linienflug mit Sicherheitsbegleitung, so stellt dies keine "angemessene" Handlung der Behörde dar und steht einer Haftverlängerung entgegen. Die Behörde hätte vielmehr Maßnahmen für einen Charterflug oder einen Transport auf dem Landweg treffen müssen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Überstellung, Abschiebung, Abschiebungshaft, Beschleunigungsgebot, Rücküberstellung, Widerstand, Haftverlängerung, Linienflug, Pilot, Verweigerung, Charterflug,
Normen: VO 604/2013 Art. 28 Abs. 2, VO 604/2013 Art. 2 Bst. n, AufenthG § 2 Abs. 15, AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 1, AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 5, AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 6, VO 604/2013 Art. 28 Abs. 3 UAbs. 3,
Auszüge:

[...]

Der Verlängerung der Abschiebungshaft steht zwar grundsätzlich Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin-III-Verordnung nicht entgegen. Nach dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13. September 2017 (Khir Amayry, C-60/16, EU:C:2017:675, Rn. 39) gilt die in dieser Vorschrift vorgesehene Höchstfrist von sechs Wochen, innerhalb deren die Überstellung einer in Haft genommenen Person erfolgen muss, nur in dem Fall, dass sich diese bereits in Haft befindet, wenn eines der beiden in dieser Bestimmung angeführten Ereignisse (Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs oder das Ende der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder der Überprüfung einer solchen Entscheidung) eintritt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 V ZB 81/17 und Beschluss vom 07.06.2018, V ZB 237/17). Vorliegend wurde die Haft jedoch erst danach durch Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 08.10.2018 erstmalig angeordnet. Darüber hinaus bestimmt das o.g. EuGH-Urteil auch nicht per se eine Höchstfrist der Überstellungshaft auf 2 Monate, da die dortige Prüfung sich fallspezifisch auf das schwedische Aufenthaltsgesetz bezieht und im Übrigen festgestellt wird, dass sich die Angemessenheit der Haftdauer im Hinblick auf die Merkmale des Einzelfalles bestimmt.

Zu beachten ist indessen der in Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 1 der Dublin III-VO festgelegte Grundsatz, wonach die Haft so kurz wie möglich zu sein hat und nicht länger sein darf, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung durchgeführt wird (vgl. oben EuGH). Weitere Indizwirkung für die Angemessenheit der Haftdauer hat insoweit der Beschluss des BGH vom 06.04.2017, V ZB 126/16. Steht danach bei Haftbeginn fest, dass die Überstellung spätestens innerhalb von sechs Wochen erfolgen kann, scheitert ihre praktische Durchführbarkeit aber aus Gründen, die die zu überstellende Person zu vertreten hat, wird eine erneute Sechswochenfrist in Lauf gesetzt. Der Betroffene hatte zunächst durch sein eigenes Verhalten am 06.12.2018 eine zeitnahe Überstellung innerhalb der zunächst angeordneten Haftdauer verhindert. Nach der erneuten Widerstandshandlung vom heutigen Tage könnte danach hier eine erneute Haftverlängerung bis zum Ablauf des 29.01.2019 unter weiterer Gewährung eines zweitägigen Puffers zwar grundsätzlich auch rechtmäßig sein.

Jedoch hat der EuGH in seiner o.g. Rechtsprechung festgestellt, dass (erst) eine dreimonatige bzw. zwölfmonatige Haftdauer, in denen die Überstellung effektiv vorgenommen werden konnte, den Zeitraum übersteigen dürfte, der bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, bis die Überstellung durchgeführt wird. Insoweit ist für den vorliegenden Fall - zunächst wertneutral - festzustellen, dass der Betroffene bei Ausschöpfung der nunmehr beantragten Haftdauer sich bereits mehr als drei Monate in Haft befinden wird (Ablauf der 3-Monatsfrist am 08.01.2019). Jedoch ist gegenwärtig völlig offen, ob eine Rücküberstellung bis zum 29.01.2019 mittels Linienflug überhaupt tatsächlich gewährleistet werden kann. Bereits für die am 06.12.2019 gescheiterte erste Rückführung bedurfte es aufgrund der erforderlichen Sicherheitsbegleitung eines Vorlaufes von nahezu zwei Monaten. Die aktuell gescheiterte Maßnahme war überhaupt nur durch einen "Tausch" möglich geworden. Auch ist gerichtsbekannt, dass aktuell begleitete Rücküberstellungsmaßnahmen auf Linienflügen (insbesondere nach Italien und Frankreich) auch in Haftfällen mangels Personaldichte beim Landeskriminalamt einen zeitlichen Vorlauf von regelmäßig acht bis zehn Wochen benötigen. Es ist daher gerade nicht zu erwarten - und damit aktuell völlig unklar -, dass die geplante Rücküberstellung mittels Linienflug in der beantragten Haftdauer auch tatsächlich erfolgen kann. Insoweit fehlen hier im Antrag bereits die erforderlichen Anknüpfungstatsachen.

Eine frühere Rücküberstellung mittels Linienflug ist aufgrund der fehlenden Kapazitäten beim Landeskriminalamt und der Sperrfrist des aufnehmenden Landes erkennbar nicht vorgesehen bzw. möglich.

Nach der Rechtsprechung des Landgerichts Hannover, siehe hierzu u.a. Entscheidung vom 17.01.2018 zum Aktenzeichen 8 T 4018, ist das Beschleunigungsgebot nicht gewahrt, wenn die Verzögerung im Wesentlichen auf der Auslastung der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen staatlichen Stellen, weiche der Betroffene nicht hinzunehmen hat, beruht. Die Vielzahl von Abschiebungen, die mit Sicherheitsbegleitung durch die Polizei erfolgen sollen und mithin Personaleinsatz in größerem Umfang erforderlich machen, rechtfertigt die lange Haftdauer nicht. Vorliegend ist davon auszugehen, dass mehrmals täglich eine Vielzahl von Flügen von verschiedenen Flughäfen in Deutschland nach Italien durchgeführt werden. Danach wäre eine kurzfristige Buchung geeigneter Flüge durchaus möglich. Das Passersatzpapier liegt ebenfalls vor. Über die nochmals geplante Sicherheitsbegleitung mit Linienflug hinaus sind hier daher auch keine weiteren vorbereitenden Maßnahmen zu treffen. Damit beruht die Verzögerung einer unverzüglichen Rücküberstellung per Linienflug, wie sie aktuell erneut von der Ausländerbehörde beabsichtigt ist, allein auf der mangelnden personellen Ausstattung des Landeskriminalamtes im Bereich der Abschiebung/ Rücküberstellung. Dieser Umstand, für sich genommen, ist dem Betroffenen bereits nicht anzulasten, so dass hier ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vorliegt.

Darüber hinaus scheitert im konkreten Einzelfall nach Wertung der Sach- und Rechtslage eine weitere Haftverlängerung hier insbesondere unter Berücksichtigung der o.g. EuGH-Rechtsprechung, wonach sich die Haftdauer danach zu bestimmen hat, in welchem Zeitraum die Überstellung effektiv vorgenommen werden kann bei angemessener Handlungsweise. Hier drängen sich für das Gericht maßgebliche Zweifel auf, dass ein weiterer Überstellungsversuch mit Sicherheitsbegleitung mittels Linienflug überhaupt noch zu einer tatsächlichen Rücküberstellung innerhalb angemessener Zeit führen wird. Insoweit belegt der am heutigen Tag gescheiterte Überstellungsversuch, dass selbst ohne aktiven Widerstand die bloße verbale Vorankündigung etwaigen Widerstands ausschließlich gegenüber den Polizeibeamten im weiteren Verlauf infolge des Anlegens von Handfesseln bereits dazu führen kann, dass der Pilot des Linienflugzeugs die Mitnahme verweigert. Dabei war, nach telefonisch vom Amtsgericht eingeholter Auskunft beim LKA Nds., auch die heutige Rückführungsmaßnahme vom LKA Nds. über das Bundespolizeipräsidium . Koblenz als Abschiebung mit Sicherheitsbegleitung eingeleitet und bei der Fluggesellschaft Euro-Wings - mithin für letztere erkennbar - gebucht worden. Dabei steht im Rahmen der Vollstreckung der Abschiebung mit Sicherheitsbegleitung regelmäßig auch der Einsatz von Hand-/Fußfesseln bzw. eines sog. Bodycuff für die an der Vollstreckungsmaßnahme Beteiligten zu erwarten. Vorliegend verweigerte der Pilot die Mitnahme des Betroffenen nicht wegen aktiven oder passiven Widerstand diesem gegenüber bzw. im Flugzeug sondern bereits frühzeitig infolge der Anlegung von Handfesseln bei dem Betroffenen wegen seiner Vorankündigung gegenüber der Polizei. Mithin hat hier der Pilot mit seinem "letzten Wort" auch im Falle der gebuchten Rücküberstellung mit Sicherheitspersonal über die Durchführbarkeit der Maßnahme bestimmt. Entsprechendes Verhalten inhaftierter Betroffener, wie im hiesigen Fall dargestellt, tritt als "Musterverhalten" mit der Konsequenz einer durch den Piloten ausgesprochenen Mitnahmeverweigerung besonders bei Dublin III-Überstellungen nach Italien und Frankreich - immer häufiger auf, was das Gericht weder verkennt noch billigt. Damit einhergehend dürften die für die Vollstreckung von Dublin-III-Rücküberstellungen inhaftierter Betroffener verantwortlichen Behörden auf Bundes-und Landesebene im Rahmen einer effektiven Handlungsweise jedoch gefordert sein, bei bereits vorangegangenem Scheitern (mindestens) einer sicherheitsbegleiteten Abschiebung mittels Linienflug sodann zeitnah auf (Sammel-) Chartermaßnahmen oder den Transport auf dem Landweg zurückzugreifen und diese Rücküberstellungsvarianten jeweils auch im ausreichenden Maße landes- oder bundesweit vorzuhalten, um eine effektive Handlungsweise - soweit tatsächlich angestrebt - überhaupt zu gewährleisten. Vorliegend hat die Ausländerbehörde entsprechende Maßnahmen für einen Charterflug oder einem Transport auf dem Landweg ersichtlich nicht getroffen; ersteres liegt dabei ersichtlich noch nicht einmal im Verantwortungsbereich der Antragstellerin, da zeitnahe Chartermaßnahmen nach Italien laut telefonischer Auskunft des LKA Nds. gegenüber dem Gericht auch nicht ersichtlich bzw. konkretisierbar sind. [...]