Zeitliche Wirkung einer Verpflichtungserklärung:
Die Inanspruchnahme der Person, die die Verpflichtungserklärung abgegeben hat, ist ausgeschlossen, wenn die Ausländerbehörde es unterlässt, sie auf mögliche Fehlvorstellungen über die Dauer der Haftung hinzuweisen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Nach diesen Maßstäben ist die Erklärung des Klägers dahin auszulegen, dass die von ihm eingegangene Verpflichtung zur Erstattung von Leistungen bereits mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Flüchtlingsanerkennung an B.T. endete. Der Kläger hat gegenüber der Ausländerbehörde der Stadt C. deutlich gemacht, dass seine Erklärung diesen Inhalt haben sollte, ohne dass die Ausländerbehörde dem mit der gebotenen Belehrung über sein Fehlverständnis im Hinblick auf den objektiven Erklärungswert der Verpflichtungserklärung entgegengetreten wäre.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger weder bei Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung am 14. August 2014 noch zuvor telefonisch ausdrücklich und zutreffend über die zeitlich unbefristete und über die Flüchtlingsanerkennung hinausreichende Haftung aus der Verpflichtungserklärung hingewiesen wurde, obwohl dazu Anlass bestand, weil der Kläger seine Auffassung, wann die Haftung ende – nämlich mit Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Gewährung eines internationalen Schutzstatus – gegenüber der Ausländerbehörde kundgetan hat.
Nach der glaubhaften Einlassung des Klägers ist die Kammer davon überzeugt, dass er sich im Vorfeld der Abgabe der Verpflichtungserklärung intensiv mit der Dauer der Haftung auseinandergesetzt und zu dieser Frage auch mit einem Sachbearbeiter der Ausländerbehörde der Stadt C., dem Zeugen ..., telefoniert hat, der ihn auf entsprechende Nachfrage jedenfalls nicht darüber belehrt hat, dass die Haftung aus der Verpflichtungserklärung über die Anerkennung eines Schutzstatus für B.T. hinausreicht. [...]
Dafür, dass die Ausländerbehörde der Stadt C. den Kläger trotz Nachfrage jedenfalls nicht dahingehend belehrt hat, dass die Haftung aus der Verpflichtungserklärung mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Flüchtlingsanerkennung nicht endet, spricht auch seine glaubhafte Einlassung, dass er die Verpflichtungserklärung unter diesen Umständen gar nicht abgegeben hätte. [...]
Die Auffassung des Klägers über das Haftungsende aus der Verpflichtungserklärung ist – insbesondere aus damaliger Sicht – auch nicht überraschend, sondern lag im August 2014 nahe. Aus allgemein zugänglichen Quellen – inklusive den Unterlagen, die das MIK NRW im Internet zum Aufnahmeprogramm zur Verfügung stellte – konnte man sich zu diesem Zeitpunkt über die Auffassung, die Haftung aus einer im Rahmen eines humanitären Aufnahmeprogramms abgegeben Verpflichtungserklärung reiche über die Flüchtlingsanerkennung des Ausländers hinaus, nicht informieren. Denn diese Auffassung wurde in hinreichender Deutlichkeit zu diesem Zeitpunkt weder publiziert noch – mangels Rechtsstreitigkeiten zu diesem Zeitpunkt – judiziert.
Die Formulierung zur Dauer der Haftung ("bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck") wird im Rahmen eines humanitären Aufnahmeprogramms, das einen zeitlich unbestimmten humanitären Aufenthalt gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG ermöglichen soll, erläuterungsbedürftig. Das Aufenthaltsgesetz verwendet in § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG das Wort "Aufenthaltszweck" als Rechtsbegriff. Aufenthaltstitel werden zu bestimmten Aufenthaltszwecken erteilt. Während bei den bis zur Aufnahme des humanitären Aufnahmeprogramms für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge 2013 üblichen Verpflichtungserklärungen zum Zwecke des Studiums, des Spracherwerbs usw. ein Zweckwechsel, sowohl nach laienhafter als auch nach dem juristischen Verständnis bei nachfolgender Flüchtlingsanerkennung ganz außer Frage steht, war dies bei Verpflichtungserklärungen zu humanitärem Aufenthalt und späterer Flüchtlingsanerkennung bzw. internationaler Schutzstellung unklar. Zur Klärung hat erst die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 2017 (Az. 1 C 10.16) beigetragen.
Dass die Formulierung in der Verpflichtungserklärung nicht selbsterklärend war und im Zweifel erläutert werden musste, ergibt sich für die Kammer auch aus dem Umstand, dass seit Oktober 2014 unter den Innenministerien der Länder und des Bundes unterschiedliche rechtliche Auffassungen über das Ende der Haftung aus einer Verpflichtungserklärung im Rahmen humanitärer Aufnahmeprogramme für syrische Staatsangehörige bei Anerkennung als Flüchtling oder Schutzberechtigter schriftlich vertreten wurden (vgl. für Nordrhein-Westfalen: Landesanordnung zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge – Geltungsdauer von Verpflichtungserklärungen, RdErl. des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 122-39.12.03-1-13-346 (2603) vom 24. April 2015). Die verschiedenen Auffassungen wurden alle auf derselben textlichen Grundlage des bundeseinheitlichen Formulars diskutiert. [...]