VG Freiburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Freiburg, Beschluss vom 02.08.2018 - A 4 K 3698/18 - asyl.net: M26803
https://www.asyl.net/rsdb/M26803
Leitsatz:

1. Hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag als unzulässig abgelehnt, weil der Antragsteller internationalen Schutz bereits in einem anderen Mitgliedstaat erhalten habe, und erlässt es abweichend von § 36 Abs. 1 AsylG eine Abschiebungsandrohung mit einer Ausreisefrist von 30 Tagen ab Bestandskraft der ablehnenden Entscheidung, ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung nicht statthaft.

2. Dies gilt auch dann, wenn das Bundesamt keine Abschiebungsandrohung gemäß § 36 Abs. 1 AsylG  erlässt, um zu vermeiden, dass das Verwaltungsgericht einem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO stattgibt und damit die Rechtswirkungen des § 37 Abs. 1 AsylG eintreten.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Drittstaatenregelung, internationaler Schutz in EU-Staat, Abschiebungsandrohung, Unzulässigkeit, Rechtsmittelfrist, Rechtsmittelbelehrung, Rechtsschutzinteresse, Suspensiveffekt,
Normen: AsylG § 37 Abs. 1, AsylG § 36 Abs. 1, AsylG § 38,
Auszüge:

[...]

8 Insoweit ist nicht etwa darauf abzustellen, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Abschiebung nach § 38 Abs. 1 AsylG erlassen dürfte (was zweifelhaft ist), sondern darauf, ob es die Abschiebungsandrohung gestützt auf § 38 Abs. 1 AsylG und nach dessen Maßgaben (womöglich rechtswidrig) tatsächlich erlassen hat.

9 Soweit dies in der erstinstanzlichen Rechtsprechung teilweise und ohne nähere Begründung anders gesehen wird (VG Sigmaringen, Beschluss vom 19.06.2018 - A 5 K 1489/18 -, juris, Rn. 20 m.w.N.; VG Freiburg, Beschluss vom 14.05.2018 - A 5 K 2982/18 -, juris, Rn. 3), folgt dem die Kammer nicht. Der Wortlaut der Vorschrift ist insoweit keineswegs eindeutig. Eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift spricht eher für die hier gewählte Auslegung. Denn die Annahme, der Gesetzgeber habe die aufschiebende Wirkung einer Klage für Fälle ausschließen wollen, in denen eine Abschiebungsandrohung wegen ihrer durch die Behörde - wenn auch zu Unrecht - erfolgten Anknüpfung an die Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag gar nicht vorzeitig vollziehbar ist, liegt fern.

10 Aus dem Umstand, dass einem Antragsteller unter Umständen ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zustünde (so VG Sigmaringen a.a.O., dies verneinend VG Freiburg, Beschluss vom 04.07.2018 - A 5 K 3911/18 -, juris, Rn. 23 ff., jeweils m.w.N.), kann nicht darauf geschlossen werden, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft wäre. Insoweit ist die Rechtslage nicht anders, als wenn das Bundesamt in Fällen der vorliegenden Art überhaupt keine Abschiebungsandrohung erlassen und es bei der Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags belassen würde. Das Gleiche gilt etwa in den Fällen, in denen das Bundesamt einen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ablehnt, aber versehentlich eine Abschiebungsandrohung gemäß § 38 AsylG erlässt. [...]

13 Zwar erscheint es nicht als ausgeschlossen, ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch aus Gründen zu bejahen, die nichts mit der Vollziehbarkeit des angefochtenen Verwaltungsakts zu tun haben. Denn ein Rechtsschutzbedürfnis wird allgemein schon dann angenommen, wenn der Rechtsschutzsuchende mit seinem Klage- oder Antragsbegehren überhaupt schutzwürdige Interessen verfolgt. Insoweit kommt in Betracht, dass der Antragsteller die Beschleunigungswirkung des § 37 Abs. 1 AsylG auch für sich in Anspruch nehmen will.

14 Nach dieser Vorschrift werden die Entscheidung des Bundesamts u.a. über die Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG des Antrags und die Abschiebungsandrohung unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht. Das Bundesamt hat das Asylverfahren fortzuführen.

15 Die Vorschrift mag rechtstechnisch missglückt sein, ihr Wortlaut ist aber eindeutig. Sie kann auch nicht etwa unter Berufung auf den mit ihr verfolgten Beschleunigungszweck teleologisch reduziert werden mit der Begründung, die Fortführung des Asylverfahrens führe erneut zu einer Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (VGH-Bad.-Württ., Beschluss vom 20.02.2018 - A 4 S 169/18 -, juris).

16 Dies gilt schon deshalb, weil die Gründe, aus denen die Verwaltungsgerichte einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stattgeben können, vielfältig sind. In Betracht kommen sowohl Verfahrensmängel, etwa hinsichtlich der Pflicht des Bundesamts, den Asylantragsteller anzuhören, als auch tatsächliche oder rechtliche Bedenken hinsichtlich der der Abschiebungsandrohung zu Grunde liegenden Entscheidungen, den Asylantrag als unzulässig abzulehnen und Abschiebungsverbote für den (Dublin-)Zielstaat zu verneinen.

17 Insoweit bedeutet die Fortführung des Asylverfahrens nach § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG nicht etwa regelmäßig, dass das Bundesamt alsbald wieder gleichlautend entscheiden müsste. Vielmehr würde es ihm obliegen, Verfahrensfehler zu beseitigen und den vom Verwaltungsgericht jeweils aufgeworfenen Fragen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht weiter nachzugehen. Im vorliegenden Fall käme etwa in Betracht, dass das Bundesamt seine Erkenntnisse zur rechtlichen und tatsächlichen Lage von international Schutzberechtigten in Italien vertieft und vor allem auch aktualisiert. So nimmt die Begründung des angefochtenen Bescheids weitgehend auf Erkenntnismittel und Rechtsprechung Bezug, die die Zeit vor dem Jahr 2015 betreffen, in dem die Zahl der internationalen Schutz suchenden Personen in Italien stark zugenommen hat. Mit dem vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zum Anlass für seinen erwähnten Vorlagebeschluss vom 15.03.2017 (- A 11 S 2151/16 -, juris) genommene Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016 über "Aufnahmebedingungen in Italien" befasst sie sich überhaupt nicht (vgl. insoweit Beschluss der Kammer vom 10.01.2018 - A 4 K 6049/17 -, juris). [...]

19 Dieser vom Gesetzgeber wohl nicht bedachten Folge ließe sich freilich auch anders begegnen als durch eine (wohl) gesetzwidrige Anwendung des § 38 Abs. 1 AsylG. Zum einen kommt in Betracht, dass das Bundesamt jedenfalls in einem gewissen zeitlichen Umfang die Entscheidung im fortgeführten Verfahren zurückstellt bzw. dieses zur weiteren Klärung allgemeiner Fragen aussetzt. Sofern und soweit Unionsrecht, insbesondere Fristenregelungen der Dublin III-VO einer Zurückstellung Grenzen setzen, müsste das Bundesamt dem allerdings in der Weise Folge zu leisten, dass eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr möglich wäre. Unabhängig hiervon könnte das Bundesamt aber zur rascheren Klärung der anstehenden Fragen in anhängigen Klageverfahren beitragen, auch durch Beibringung von neuen Erkenntnismitteln und ggf. durch eine sachgemäße Einlegung von Rechtsmitteln.

20 Die Annahme, es bedürfe der Stattgabe eines Eilantrags, um die ggf. unvermeidlichen Rechtswirkungen des § 37 Abs. 1 AsylG herbeizuführen, erscheint der Kammer aber dennoch als zweifelhaft. Denn wenn das Bundesamt von sich aus unter Außerachtlassung der gesetzlichen Bindung des § 36 Abs. 1 AsylG eine Abschiebungsandrohung nach § 38 Abs. 1 AsylG erlässt, spricht Einiges dafür (und dies legt auch die Begründung der hier angefochtenen Entscheidung nahe), dass es lediglich die Rechtswirkung des § 37 AsylG umgehen will. In diesem Fall liegt es aber nahe, gerade auch deshalb, weil das Bundesamt für seine Auffassung § 80 Abs. 4 VwGO bemüht, § 37 Abs. 1 AsylG entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass die ablehnende Entscheidung und die Abschiebungsandrohung (mit ihrem Erlass) unwirksam sind und dass das Bundesamt deshalb das Verfahren fortzuführen hat (vgl. auch VG Sigmaringen, a.a.O., Rn. 18 am Ende, vgl. dazu auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.02.2018 a.a.O.), was zum Erfolg eines im Klageverfahren gestellten Feststellungs- und Aufhebungsantrags führte. [...]