Dublinverfahren bei ablehnender Antwort des ersuchten Mitgliedstaates:
1. Lehnt ein Mitgliedstaat das Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch eines anderen Mitgliedstaats innerhalb der vorgesehenen Frist ab, kann der ersuchende Mitgliedstaat innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Ablehnung eine neuerliche Prüfung beantragen, wenn er der Meinung ist, das Gesuch sei zu Unrecht abgelehnt worden.
2. Der ersuchte Mitgliedstaat ist im Geist der loyalen Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten verpflichtet, das erneute Gesuch so schnell wie möglich - spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen - zu prüfen und zu beantworten.
3. Antwortet er nicht, hat dies keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit. Der ersuchende Mitgliedstaat bleibt zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens. Das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung ist dann endgültig abgeschlossen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
72 Gemäß Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung ist der ersuchende Mitgliedstaat, wenn er die Auffassung vertritt, dass die Ablehnung der Aufnahme oder Wiederaufnahme des Antragstellers durch den ersuchten Mitgliedstaat auf einem Irrtum beruht, oder er sich auf weitere Unterlagen berufen kann, berechtigt, vom ersuchten Mitgliedstaat eine neuerliche Prüfung seines Gesuchs um eine solche Aufnahme oder Wiederaufnahme zu verlangen. Diese Möglichkeit muss binnen drei Wochen nach Erhalt der ablehnenden Antwort des ersuchten Mitgliedstaats in Anspruch genommen werden. Dieser muss sich dann bemühen, binnen zwei Wochen eine Antwort zu erteilen. Durch dieses zusätzliche Verfahren ändern sich in keinem Fall die in Art. 18 Abs. 1 und 6 sowie Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Fristen, die den jetzt in Art. 22 Abs. 1 und 6 sowie Art. 25 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung vorgesehenen Fristen entsprechen.
73 Es ist festzustellen, dass die Möglichkeit für den ersuchenden Mitgliedstaat, den ersuchten Mitgliedstaat mit einem Ersuchen um neuerliche Prüfung zu befassen, nachdem Letzterer es abgelehnt hat, dem Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme nachzukommen, nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung ein "zusätzliches Verfahren" darstellt. Diese Vorschrift ist, da die Durchführungsverordnung gemäß ihrem ersten Erwägungsgrund die wirkungsvolle Durchführung der Dublin-II-Verordnung bezweckt, die durch die Dublin-III-Verordnung aufgehoben und ersetzt wurde, im Einklang mit den Vorschriften der letztgenannten Verordnung und den mit dieser verfolgten Zielen auszulegen.
74 Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung ist daher in der Weise auszulegen, dass die Dauer des zusätzlichen Verfahrens der neuerlichen Prüfung, bei dem es sich um ein fakultatives Verfahren handelt, eng und in vorhersehbarer Weise umschrieben wird, und zwar sowohl aus Gründen der Rechtssicherheit für alle betroffenen Parteien, damit seine Vereinbarkeit mit dem durch die Dublin-III-Verordnung geschaffenen genauen zeitlichen Rahmen gewährleistet ist und das mit dieser Verordnung verfolgte Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht untergraben wird. Ein Verfahren der neuerlichen Prüfung, das mit der Folge unbefristet wäre, dass die Frage, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, offen bliebe, und dass somit die Prüfung eines solchen Antrags erheblich, potenziell sogar zeitlich unbeschränkt hinausgezögert würde, wäre mit diesem Ziel einer zügigen Bearbeitung unvereinbar.
75 Das genannte Ziel, das auch Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zugrunde liegt, wird nach dem Wortlaut dieser Vorschrift durch einen strikten zeitlichen Rahmen mittels Festlegung einer Frist von drei Wochen, die dem ersuchenden Mitgliedstaat gewährt wird, um ein Ersuchen um neuerliche Prüfung an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten, und einer Frist von zwei Wochen für die etwaige Antwort von Letzterem auf dieses Ersuchen umgesetzt.
76 Somit geht erstens aus dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Durchführungsverordnung eindeutig hervor, dass von der durch diesen Art. 5 Abs. 2 dem ersuchenden Mitgliedstaat gebotenen Möglichkeit, um eine neuerliche Prüfung seines Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme beim ersuchten Mitgliedstaat zu ersuchen, innerhalb von drei Wochen nach Empfang der ablehnenden Antwort des ersuchten Mitgliedstaats Gebrauch gemacht werden muss. Folglich verliert der ersuchende Mitgliedstaat mit Ablauf dieser zwingenden Frist diese Möglichkeit.
77 Was zweitens die dem ersuchten Mitgliedstaat für die Beantwortung eines Ersuchens um neuerliche Prüfung zur Verfügung stehende Frist anbelangt, bestimmt Art. 5 Abs. 2 Satz 3 der Durchführungsverordnung, dass dieser Mitgliedstaat sich bemüht, binnen zwei Wochen eine Antwort zu erteilen. Mit dieser Vorschrift soll der ersuchte Mitgliedstaat dazu bewegt werden, mit dem ersuchenden Mitgliedstaat loyal zusammenzuarbeiten, indem er innerhalb der nach dieser Vorschrift vorgesehenen Frist das Gesuch des letztgenannten Mitgliedstaats um Aufnahme oder Wiederaufnahme des Betroffenen neuerlich prüft; jedoch bezweckt diese Vorschrift nicht, eine Rechtspflicht zur Beantwortung eines Ersuchens um neuerliche Prüfung mit der Folge zu begründen, dass im Fall der Nichtbeantwortung die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz auf ihn überginge.
78 Diese Feststellung wird durch den Umstand bestätigt, dass Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung im Unterschied zu Art. 22 Abs. 7 und Art. 25 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung nicht vorsieht, dass, wenn innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt wird, davon auszugehen ist, dass dem Gesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zöge, die betreffende Person aufzunehmen oder wieder aufzunehmen. [...]