VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.04.2018 - 11 S 311/18 - asyl.net: M26673
https://www.asyl.net/rsdb/M26673
Leitsatz:

1. Ordnet die Behörde nachträglich die sofortige Vollziehung an, so hat sie, sofern nicht Gefahr im Verzug vorliegt, die Betroffenen vorher anzuhören (Rn.4).

2. Der Verfahrensfehler kann aber in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG geheilt werden (Rn.4).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Sofortvollzug, Anhörung, Verfahrensfehler, Heilung, Verlust des Freizügigkeitsrechts, Unionsbürger, aufenthaltsbeendende Maßnahmen,
Normen: VwVfG § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, VwGO § 80 Abs. 3 S. 1, FreizügG/EU § 5 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

4 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügte, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Sie erfolgte aber verfahrensfehlerhaft, weil die Antragsteller nicht vorher angehört wurden. Jedenfalls im Falle einer isolierten Anordnung ist grundsätzlich eine vorherige Anhörung erforderlich. Zwar folgt dieses nicht aus § 28 VwVfG, weil die Anordnung nicht die Qualität eines Verwaltungsakts hat. Sie folgt aber aus dem Rechtsstaatsprinzip. Der für das Verwaltungsverfahren hieraus abzuleitende Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. Grünewald, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 5. Aufl., § 28 Rn. 1) hat die Funktion, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, vorher effektiv auf das Verwaltungsverfahren und dessen Ergebnis Einfluss zu nehmen. Dieser Aspekt ist eine Essentiale des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18.02.1993 - 2 BvR 1896/92 - InfAuslR 1993, 146, 149). Hierzu besteht, sofern nicht Gefahr im Verzuge ist, jedenfalls im Falle einer nachträglichen Anordnung schon deshalb Veranlassung, weil die Tatsache, dass zunächst keine Anordnung zusammen mit dem Verwaltungsakt erfolgt war, die Vermutung rechtfertigt, dass sich jedenfalls aus behördlicher Sicht die maßgeblichen Umstände seit Erlass der Grundverfügung geändert haben (so auch NiedersOVG, Beschluss vom 10.06.1992 - 7 M 3839/91 -, NVwZ-RR 1993, 585; Bader u.a., VwGO, 6. Aufl., § 80 Rn. 53 m.w.N. auch zur Gegenauffassung; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., § 80 Rn. 82). Allerdings ist dieser Mangel mittlerweile in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG geheilt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.12.2001 - 5 S 2274/01 - NVwZ-RR 2002, 818; Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 82). Die Antragsteller hatten in zwei Instanzen die Möglichkeit, ihren Standpunkt einzubringen, und der Antragsgegner hat sich hiermit auch auseinandergesetzt. [...]