1. Duldungsanspruch aus rechtlichen Gründen, wenn nachgewiesen ist, dass lebensnotwendige Hilfe und Pflege gegenüber einer schwer erkrankten Angehörigen erbracht wird. Das Bestehen eines förmlichen Betreuungsverhältnisses ist hierfür nicht erforderlich.
2. Der Schutz von Artikel 6 Abs. 1 GG gilt auch im Verhältnis volljähriger Kinder gegenüber ihren Eltern, wenn diese auf den Beistand der Kinder angewiesen sind.
3. Die Notwendigkeit der Hilfeleistungen wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Hilfe auch von einem Pflegedienst und/oder einer anderen Betreuungsperson erbracht werden könnte (unter Bezugnahme auf BVerfG 12.12.1989 - 2 BvR 377/88).
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die Abschiebung der Antragsteller ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil sie in unzulässiger Weise in den sich aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK ergebenden Schutz der familiären Bindungen des Antragstellers zu 2. zu seiner psychisch und physisch kranken und betreuungsbedürftigen Mutter eingreifen würde.
Der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 27.08.2010 - 2 BvR 130/10 -, Rn. 40, juris). Der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG gilt auch im Verhältnis eines volljährigen Kindes zu seinen Eltern, wenn diese auf dessen Beistand angewiesen sind. Die Notwendigkeit eines solchen Beistands mit der Folge eines Anspruchs auf Duldung für den Bezirk der Eltern ist nicht nur bei Pflegetätigkeiten an der Person, sondern auch bei anderen Beistandsleistungen im täglichen Leben unabweisbar, auf die die Betreuten angewiesen sind und ohne die sie in die Gefahr einer Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes geraten würden (OVG Bremen, Beschluss vom 13.07.2011 - 1 A 291/10 -, juris). Auch im Falle einer Beistandsgemeinschaft unter volljährigen Familienmitgliedern kommt es für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied erbrachte Lebenshilfe von anderen Personen erbracht werden kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12.12.1989 - 2 BvR 377/88 -, NJW 1990, 895).
Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass die Mutter des Antragstellers zu 2. allein nicht in der Lage ist, sich zu versorgen und deshalb auf tägliche Hilfeleistungen ihres Sohnes angewiesen ist, um ihr Leben bewältigen zu können (vgl. dazu OVG Bremen, Beschluss vom 13.07.2011 - 1 A 291/10 -, juris). [...]
Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass die Antragsteller täglich lebensnotwendige Hilfe für die Mutter bzw. Schwiegermutter leisten. Sie leben mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt. Dass die Mutter bzw. Schwiegermutter der Antragsteller tatsächlich betreut wird, ergibt sich aus den ärztlichen Stellungnahmen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Dritte die Betreuungsaufgaben übernommen haben. Einen Pflegedienst nimmt die Mutter bzw. Schwiegermutter der Antragsteller nicht in Anspruch. Ob der Antragsteller zu 2. durch einen entsprechenden Beschluss des Betreuungsgerichts zum Betreuer bestellt wurde, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Maßgeblich für die Schutzwürdigkeit familiärer Bindungen nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK ist, dass das Familienmitglied auf Lebenshilfe angewiesen ist und die erforderliche Hilfe von dem anderen Familienmitglied "tatsächlich erbracht" wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.12.1989 - 2 BvR 377/88 -, juris).
Die Notwendigkeit der Hilfeleistungen durch die Antragsteller wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die laut ärztlichen Bescheinigungen gebotene Hilfe möglicherweise auch durch Pflegedienste oder einen anderen Betreuer gewährleistet werden könnte. Wie bereits ausgeführt, kommt es für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied erbrachte Lebenshilfe von anderen Personen erbracht werden kann. Deshalb ist es für die Entscheidung unerheblich, ob der Antragsteller zu 2. Betreuer seiner Mutter ist oder unwahre Angaben über die Betreuereigenschaft gemacht hat. Ferner kann dahinstehen, ob die Trennung der Mutter des Antragstellers zu 2. von ihrem Sohn (selbst bei anderweitig gesicherter Betreuung) mit einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes verbunden wäre. [...]